Black Box

  • Droemer Knaur
  • Erschienen: Januar 2014
  • 4
  • New York: Little, Brown and Co., 2012, Titel: 'The black Box', Seiten: 403, Originalsprache
  • München: Droemer Knaur, 2014, Seiten: 432, Übersetzt: Sepp Leeb
  • München: Knaur, 2016, Seiten: 439
Black Box
Black Box
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Jürgen Priester
78°1001

Krimi-Couch Rezension vonNov 2013

Harry Bosch kommt in die Jahre

Michael Connellys Dauerbrenner-Serienheld Hieronymus "Harry" Bosch hat just seinen sechzigsten Geburtstag gefeiert. Nach vierzig Jahren Polizeidienst hat er spätestens damit das Pensionsalter erreicht. Wie man so liest, scheiden die meisten seiner Kollegen sehr viel früher aus.

Nach zwei Jahren als einfacher Soldat in der Grünen Hölle Vietnams begann er Anfang der 1970er im Streifendienst der Polizei im Großraum Los Angeles. Die Stationen seines beruflichen Werdegangs sind so zahlreich, dass man sie alle gar nicht aufzählen kann. Im Vorgänger-Roman des vorliegenden Black Box hatte Bosch mit seinen Vorgesetzten einen Nachschlag ausgehandelt, einen sogenannten DROP, so auch der amerikanische Originaltitel des Romans. Die vier Buchstaben sind ein Akronym von "Deferred Retirement Option Plan"  -  frei übersetzt:eine Dienstzeitverlängerung unter bestimmten Konditionen. Schon gegen Ende seiner regulären Dienstzeit arbeitete Harry in der Abteilung: Offen/Ungelöst. Wie der Name schon sagt, werden hier alte Fälle, die aus welchen Gründen auch immer nicht aufgeklärt werden konnten, neu aufgerollt. Alle relevanten Unterlagen und Beweisstücke  sind entsprechend ihrem Umfang in große Schachteln archiviert. Diese werden wie die Flugschreiber im Luftverkehr, der auch alle wichtigen Informationen speichert, "Black Boxes" genannt. Die nächste Black Box, die Harry öffnet, stammt aus dem Jahre 1992.

Hintergrund dieses alten Falles sind die "LA-Riots" zu Beginn der 1990er Jahre. 1991 wurde der Afro-Amerikaner Rodney King bei seiner Festnahme durch vier hellhäutige Polizisten schwer misshandelt. Das brutale Vorgehen wurde von einem Amateurfilmer festgehalten. Trotz dieses Videobeweises wurden die angeklagten Polizisten freigesprochen. Noch am Tag der Urteilsverkündung kam es in South Central, einem Stadtteil LA's mit überwiegend schwarzer Bevölkerung, zu Ausschreitungen, die sich schnell zu bürgerkriegsähnlichen Unruhen ausweiteten. Polizei und paramilitärische Streitkräfte wie die Nationalgarde waren rund um die Uhr im Einsatz. Viele Tote waren zu beklagen:

"Am Ende waren 53 Menschen direkt und indirekt durch die Ausschreitungen ums Leben gekommen, 35 durch Schussverletzungen, acht durch Autounfälle, fünf sind verbrannt, jeweils zwei Menschen wurden erschlagen bzw. erstochen und ein Mann wurde erwürgt. [...] 22 Todesfälle sind bis heute ungeklärt. Zehn Tötungen durch Schusswaffen erfolgten durch die eingesetzten Sicherheitskräfte." [Quelle: wikipedia]

Laut Gesetz müssen Mordermittler jeden Tatort begutachten. Das geschah damals aber nur unzulänglich, weil den Detectives vor Ort durch die Häufung der Todesfälle einfach die Zeit fehlte, sich auf einen Fall zu konzentrieren.

Vor diesem Problem steht auch unser fiktiver Romanheld. Harry Bosch, damals noch Detective bei der Mordkommission des LAPD, wird zu einem Tatort in South LA gerufen. In einem Hinterhof hat ein Nationalgardist die Leiche einer weißen Frau mittleren Alters gefunden. Einschuss- und Austrittswunde am Auge bzw. am Hinterkopf lassen keinen Zweifel über die Todesursache aufkommen. Ein Presseausweis identifiziert sie als Anneke Jespersen, Journalistin für eine europäische (dänische wie sich später herausstellen wird) Zeitung. Bosch und Kollegen finden in der näheren Umgebung noch eine frisch ausgeworfene Patronenhülse, dann müssen sie schon zum nächsten Fall hetzen.

War Anneke Jespersen zur falschen Zeit am falschen Ort? Oder wurde sie gezielt getötet? Die Ermittlungen verliefen damals im Sande. Nun, zwanzig Jahre später, nimmt Harry sich des Falles noch einmal an.

Krimis verkaufen sich besser, wenn sie mit der Bezeichnung "Thriller" etikettiert sind. Eine Behauptung, die der Rezensent nicht mit Zahlen belegen kann, doch der inflationäre Einsatz dieses Etiketts lässt darauf schließen, dass mehr als Glauben dahinter steckt. Michael Connellys Harry-Bosch-Romane sind trotz des falschen Etiketts keine Thriller, sondern grundsolide Polizeiromane (police procedurals) in Hardboiled-Tradition. Es gab gute, bessere und herausragende Folgen in dieser Reihe. An einen Ausrutscher nach ganz unten kann sich der Rezensent nicht erinnern. (Der Rezensent teilt nicht die Meinung seines Kollegen Marcel Feige zu Der Widersacher.) Doch gerade in den letzten beiden Bänden (Der Widersacher und Black Box) hat sich eine Routine breitgemacht. Das Adjektiv "routiniert" ist im Allgemeinen positiv besetzt, aber schon allein das kurze Adverb "zu" vorangestellt, verändert die Konnotation.

Reduziert man den Inhalt eines Kriminalromans auf sein Gerüst, kann man auf die schlichte Formel kommen: ein Verbrechen geschah, wer ist der Täter? Natürlich sorgen dann Abertausende von Variationsmöglichkeiten für die erwartete oder zu erwartende Spannung. Doch letztendlich wird in der Regel der Täter überführt. Der Polizeiroman beschäftigt sich selbstredend mit der Arbeit der Polizei, sprich Tatort-Analyse, Spurensicherung, Datenabgleich, Tätersuche, usw. Viel Routine halt, sowohl im Roman als auch im richtigen Leben.

Michael Connelly hat vor seiner hauptberuflichen Schriftstellerei lange Jahre als Polizei- und Gerichtsreporter gearbeitet. Nach wie vor kennt er sich bestens mit den Abläufen und Verfahren bei Polizei und Justiz aus. Seine Plots wirken daher immer sehr realitätsnah, was ihn aber stets fordert, die Monotonie des Alltagsgeschäfts zu durchbrechen. Bis auf die beiden letzten Romane ist ihm das auch hervorragend gelungen. Vertrackte Fälle, die immer wieder mit Überraschungen und Wendungen gefallen konnten, und ein abwechslungsreiches Personal sorgten dafür, dass es nie langweilig wurde. Vom Typ her ist Harry Bosch zwar der "einsame Wolf" schlechthin, aber ihm zur Seite standen starke Persönlichkeiten wie die Kollegen Jerry Edgar, Kiz Ryder oder die FBI-Agentin Rachel Walling. Boschs Privatleben wurde bis auf einige kurzlebige Affären lange nur nebensächlich ausgeleuchtet. Das änderte sich erst, als unerwartet der Halbbruder Michael Haller und Boschs Tochter Maddie die Bühne betraten.

Während der Halbbruder die Bühne seltsamerweise schnell wieder verließ, ist die Tochter bestimmendes Element in Harrys Leben geworden. Seit dem Tod ihrer Mutter in Neun Drachen lebt er mit ihr zusammen in LA. Die neue Vaterrolle und die damit verbundenen Ängste eines Vaters um das Wohl der Tochter verdeutlichen den weichen Kern des sonst so harten Cops. Diese emotionale Facette könnte man jetzt als Bereicherung der Figur Harry Bosch empfinden, doch Connelly strapaziert diesen Aspekt über die Gebühr. Das sonst eher dezente Privatleben des Helden wird dominant und die Qualität der zu lösenden Kriminalfälle lässt nach. Diese Verschiebung in der Gewichtung raubt den letzten Plots einiges an Spannung.

Wir sehen auf der einen Seite einen alternden Mann, der den Zenit seiner Schaffenskraft wohl überschritten haben dürfte, der sich zunehmend in Sentimentalität isoliert. Auf der anderen Seite ist Bosch auch durch die tägliche Konfrontation mit dem Verbrechen härter zu sich und seinem Umfeld geworden. Rigoros maßt er sich an, nur sein eigenes Rechts- oder Gerechtigkeitsempfinden gelten zu lassen. Für Fans der Serie ist diese Entwicklung zwar nachvollziehbar, aber Harry büßt eine Menge Sympathiepunkte ein. Andersherum macht es wieder neugierig auf die nächsten Folgen.

Was Black Box und auch dem Vorgänger Der Widersacher fehlt, sind richtig spannende Fälle, wie wir sie von früher kennen. Hier muss der Autor die sich eingeschlichene Routine durchbrechen, sonst wird unser Held im Mittelmaß verschwinden wie viele seiner Roman-Kollegen.

Black Box

Michael Connelly, Droemer Knaur

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