In der Nacht
- Diogenes
- Erschienen: Januar 2013
- 5
- New York: William Morrow, 2012, Titel: 'Life by night', Seiten: 401, Originalsprache
- Zürich: Diogenes, 2013, Seiten: 592, Übersetzt: Sky Nonhoff
In der Nacht ist der Mensch nicht gerne allein
Der Aufruhr jener Tage ist langsam verklungen, doch innerhalb der Familie Coughlin findet er noch seinen Widerhall. Thomas Coughlin ist 1926 stellvertretender Polizeichef in Boston, Sohn Danny, die Hauptfigur des voran gegangenen Romans, ist aus dem Polizeidienst ausgeschieden, und versucht sein Glück in Hollywood. Erst als Stuntman, dann als Drehbuchautor. Er wird In der Nacht, der das Schicksal des jüngsten Sohnes Joe zum Inhalt hat, am Rande auftauchen und dafür sorgen, dass Joe nicht vergisst, im Schatten zweier starker Männer – und einer wenig fassbaren Frau – aufgewachsen zu sein.
Dennis Lehanes Roman beginnt (scheinbar?) mit seinem Ende. Joe Coughlin, erst jugendlicher Rebell, der sich zum ehrbaren Gesetzlosen stilisiert, bevor er im Gefängnis landet; dann aufstrebender, später etablierter Gangsterboss, steckt klassisch mit beiden Beinen in einem zementgefüllten Fass, auf hoher See, kurz davor unfreiwillig über Bord zu gehen. Und lässt sein aufregendes, abwechslungsreiches Leben Revue passieren.
Das gerahmt wird von zwei starken Frauen: Der femme fatale Emma Gould sowie der idealistischen und resoluten Graciela. Die eine lernt er in seinen Tagen als junger Straßengangster kennen, sie wird zum Symbol unerfüllter, leidenschaftlicher Sehnsucht, die andere erdet Joe als er zum Mogul von Ybor (Tampa, Florida) aufgestiegen ist.
Es ist eine geradezu exemplarische "vom Tellerwäscher zum Millionär"-Geschichte, die Dennis Lehane erzählt. Mit zahlreichen historischen Details versehen, werkelt sich Joe Coughlin vom geschundenen Kleinkriminellen, mit sehr ambivalentem Familienhintergrund, zum clever agierenden Schwarzbrenner mit kleinem Königsreich hoch. Seine große Kunst: Er betrachtet Verbrechen als Geschäft, als finanziell lukrative Möglichkeit Bedürfnisse zu befriedigen, die oft erst durch Verbote wie die Prohibition exzessiv geweckt werden. Coughlin ist eine moderne Figur (neben dem Allround-Talent und Geschäftspartner Esteban) in einem altertümlichen Gefüge. Außer in Liebesdingen kennt er keine übertriebene Gier und Rassismus ist ihm fremd; eine glänzende Voraussetzung in einem melting pot wie Ybor Erfolg zu haben. Was Fanatikern jeder Couleur natürlich nicht gefällt, weshalb alternde und eifersüchtige Mobster sowie der Ku Klux Klan unsanft florierende Geschäfte torpedieren.
In der Nacht ist erneut ein Roman, in dem Zeitgeschichte eine wichtige Rolle spielt. Kenntnisreich schildert Lehane Begebenheiten (Rassismus, religiöser Fanatismus, der Kampf in Südamerika – und speziell Kuba – gegen Diktaturen und Unterdrückung), die das 20 Jahrhundert prägen werden. Selbst Hitlers Machtergreifung findet Erwähnung. Angereichert um etwas plakative philosophische Exkursionen, in denen das menschliche Wesen und Verhalten erörtert wird. Das mag nicht unbedingt filigran sein, wird aber auch nicht derart aufdringlich präsentiert, dass es die einnehmende(n) Erzählung(en) übertüncht oder gar erschlägt.
Dennis Lehane erweist sich einmal mehr als hervorragender Autor, der sich in Historie und Kulturgeschichte auskennt, der um die so fragile wie prägende und zerstörerische Relevanz des Topos "Familie" weiß, und dem es gelingt, bekannte Versatzstücke äußerst eloquent zusammenzusetzen, sodass man ihm mit wachsendem Vergnügen folgt. Die Innovation, die die Kenzie/Gennaro-Reihe, nicht nur für das Genre des Hardboiled-Krimis, darstellte, geht dem cleveren In der Nacht ab. Als kraftvolle, hochspannende Ballade vom langsamen Aufstieg eines Gangsters und der eigenen, kurz gehaltenen, Interpretation seines Falls – wenn denn überhaupt einer vorliegt – funktioniert der Roman (auch in der deutschen Übersetzung) ausgezeichnet.
Dennis Lehane, Diogenes
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