Ich bin unschuldig
- Osterwold Audio bei Hörbuch Hamburg
- Erschienen: Januar 2013
- 8
- Hamburg: Osterwold Audio bei Hörbuch Hamburg, 2013, Seiten: 6, Übersetzt: Julia Nachtmann, Bemerkung: Bearb. und Regie: Margrit Osterwold, gekürzte Lesung
Der allzu schöne Schein
Gaby Mortimer ist das Gesicht der britischen Fernsehsendung Mornin'All, jeder kennt sie, oder glaubt zumindest sie zu kennen. Einen Teil von ihr, den sie der Öffentlichkeit zeigt. Sie ist Anfang vierzig, Mutter einer achtjährigen Tochter, die sie über alles liebt, glücklich verheiratet mit Philip Mortimer, hat ein Kindermädchen und eine Putzfrau und ein schickes Haus mit Garten im Londoner Süden.
Das Laufen ist ihre Leidenschaft – man sagt ja trendbewusst nicht mehr "Joggen", sondern "Laufen". Am liebsten abends, wenn sie den Tag verarbeiten kann, aber manchmal auch in den frühen Morgenstunden, wenn die Stadt noch zu schlafen scheint. Auf einer dieser Runden findet sie die Leiche einer jungen Frau. Verstört und geschockt alarmiert sie die Polizei, wartet den Blick gebannt auf den leblosen Körper gerichtet.
Aber die Show muss ja weitergehen. Also erzählt sie vorerst niemandem von ihrem Fund, lässt sich von ihrem Chauffeur zum Sender fahren, sitzt vier Stunden lang vor der Kamera, lächelt, flirtet, interviewt und berichtet. DC Perivale und seine Kollegin Morrow lassen nicht locker und stehen ein paar Stunden später wieder vor Gabys Tür. Diese verheddert sich in ihrer Aussage bei ein paar Details – eigentlich nur menschlich. Als dann aber in der Wohnung der toten Ania eine Hand voll Indizien auch noch auf die Fernsehmoderatorin zeigen, lässt Perivale sie kurzerhand verhaften. Das Ende. Das Ende ihrer Karriere, das Ende ihrer Ehe, gar das Ende dessen, was die Wahrheit ist oder zu sein scheint?
Sabine Durrant lässt ihre Protagonistin aus der Ich-Perspektive erzählen. Ungefiltert wie gleichermaßen chaotisch und bruchstückhaft formt sich beim Lesen das Bild einer Frau, die ihr Leben in diversen Rollen verlebt, für jeden die passende "Gaby" mimend. Und doch steckt hinter all dem eine Unsicherheit und Zerbrechlichkeit, wie sie fast glaubwürdiger nicht sein könnte.
Die Detailverliebtheit, mit der Gefühle, Orte und Personen beschrieben werden, hat etwas Frisches und Unverbrauchtes. Da gibt es keine ausgelutschten Metaphern und Vergleiche, da ist eine Person, die auf der anderen Straßenseite im Halbdunkel hinter einem Auto steht "nur ein Stück von seinem Kopf, einen Arm, eine Veränderung in Licht und Textur, eine Bewegung hinter Glas, eine Trübung des Silbers, ein Fleck aus Stahl". Gabys Gedanken sind sprunghaft, lebendig, teilweise verworren. Ja, Konzentration fordert Durrant durchaus bei ihren Lesern.
Die ganze Geschichte hätte auch kürzer erzählt werden können, stellenweise ist es mehr ein Psychogramm denn ein spannungstreibender Krimi. Aber gerade das Bruchstückhafte, die tausend kleinen Puzzleteile, die Zweifel, die man mit oder auch entgegen Gabys Gedankengängen gegen die übrigen Personen hegt, machen den Sog der Geschichte aus. Zusammen mit der fälschlich beschuldigten Zeugin rollt man die Geschichte um das Opfer und einen möglichen Täter von einer anderen Seite auf. Wer dann 80 Seiten vor dem Ende der knapp 350 Seiten langen Geschichte immer noch nichts von der Auflösung gelesen hat, und meint, er wisse bereits seit der Mitte des Buches Bescheid, wird auf den letzten Metern eines Besseren belehrt.
Glauben Sie mir: Sie wären nie und nimmer auf den Schluss gekommen, den Sabine Durrant da für Sie bereit hält. Und nein, sie zaubert ihn nicht unglaubwürdig aus dem Hut. Wenn sie auch in kommenden Thrillern mit solch geschickten Ideen aufzuwarten weiß, dann kann man nur ungeduldig dem entgegen sehnen.
Sabine Durrant, Osterwold Audio bei Hörbuch Hamburg
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