Der Tote am Lido

  • Aufbau
  • Erschienen: Januar 2013
  • 1
  • Berlin: Aufbau, 2013, Seiten: 343, Originalsprache
Der Tote am Lido
Der Tote am Lido
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Peter Henning
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonAug 2013

Berlin, Ferrara

Der frühverstorbene Frankfurter Krimischriftsteller Jörg Fauser beschrieb sich als "Textproduzent" und seine Tätigkeit als "Feldstudien in den Biotopen der Gesellschaft"; sein Kölner Kollege Hans-Werner Kettenbach nennt sein Schreiben lapidar "Seins-Erschließung". Beides trifft wahlweise auch auf die Arbeiten des 1968 in Bad Kissingen geborenen und seit 1995 in Berlin und im italienischen Ferrara lebenden Christian Försch zu. Einen Autor, der zu Unrecht noch immer eine Art Schattendasein führt auf der dicht besiedelten Landkarte deutscher Kriminalschriftstellerei. Denn seine beiden bislang vorliegenden Romane Acqua Mortale und Der Tote am Lido verfügen über alles was heutige anspruchsvolle Kriminalliteratur ausmacht: einen Protagonisten, in dessen latent aufgewühlter Seele sich sämtliche Widersprüche heutigen Seins und Fühlens vereinen; dazu Figuren, die das Gegenteil von Abziehbildern sind und Plots, die man sich leicht auf Kinoleinwänden vorstellen kann. Denn Försch, der seine als tiefgründelnde Gesellschaftsromane getarnten Krimis wiederholt vor der eindrucksvollen Kulisse der italienischen Po-Ebene anrollen lässt, weiß, wovon er schreibt.

Eingeklemmt wie zwischen den Backen eines Schraubstocks, der sich langsam zu schließen droht, agiert Förschs Alter Ego Kaspar Luna zwischen den Schauplätzen Berlin und Ferrara; ein aufrechter Moralist, der regelmäßig über die gesellschaftlichen Abgründe italienischen Unwesens späht – und dabei oftmals mehr verliert als nur seine Contenance. Denn Lunau, dessen Verwandte im Geiste die einsamen Spürhunde der großen Angelsachsen sind, all die Phil Marlows und Sam Spades, die sich in dieser durch und durch versauten, korrumpierten, heuchlerischen Welt regelmäßig für ein lächerliches, als Ermittlungshonorar getarntes Schmerzensgeld die Nase blutig schlagen lassen, ist einer, der nicht anders kann. Ein Mensch gewordenes Blatt im Wind, das es in immer neuen Wirbeln über die italienischen, von dunklen Machenschaften bestimmten Weiten treibt – und das sich mit aller Macht dagegen stemmt, unterzugehen.

Es sind komplexe, in rasante Plots verpackte Gesellschaftsanalysen des heutigen Italien, die dieser Autor mit der Wucht und Ruhe eines kühlen Diagnostikers hervorstößt,- Romane, die ihren Drive und – fernab der flachbrüstigen Italo-Krimis einer Donna Leon - ihre unverwechselbare Tönung allem voran aus der Atmosphäre beziehen, in denen Försch seine Endspiele inszeniert: dem Italien der sogenannten "Kleinen", gleichwohl nicht eben immer gesetztestreuen "Leute"; Fischern, sinistren Muschelzüchtern, fliegenden windigen Händlern. Darin erinnert er an die fabelhaften Romane des Italo-russischen Schriftstellers Giorgio Scerbanenco, dem "italienischen Simenon", und dessen Ermittler Duca Lamberti.

Auch Förschs neuer Roman wurzelt dort, wo das Verbrechen gerne und gut gedeiht: in jenem trüben Subklima, in dem schon mal einer unfreiwillig sein Leben lassen muss, wenn er nicht spurt. Dabei überlässt dieser Autor und besessene Rechercheur in seinen Romanen nichts zu dem Zufall: alles ist bis ins Kleineste stimmig, lässt sich in der von ihm beschriebenen Wirklichkeit spielend wiederfinden

Doch worum geht es in Förschs neuem Roman? Lunau, der eigentlich einen entspannten Badeurlaub mit seiner Freundin Silvia und deren Kindern an der italienischen Adriaküste verbringen möchte, kommt nicht mal dazu das Badehandtusch auszurollen. Denn als die Leiche eines jungen Afrikaners am Strand gefunden wird, sind seine Instinkte geweckt – und die Urlaubsstimmung ist dahin. Als kurz darauf auch noch seine kleine Stieftochter Sara entführt wird, hat Förschs temporeicher Roman bereits Betriebstemperatur erreicht – und Lunau gerät in einen mächtigen Sog aus ebenso gefährlichen wie unberechenbaren Machenschaften – verkörpert von Typen, die für ihre illegalen Geschäfte über Leichen gehen. So schlägt sich der unbeugsame Mann im Folgenden mit Lebensmittelskandalen, mafiösen Strukturen und den Ausbeutern illegaler Einwanderer im nördlichen Italien herum. Bis ihn zu allem Überfluss auch noch seine Liebste vor die Tür setzt – und Lunau alles auf eine Karte setzten muss.

Aus all diesen Ingredienzien hat Christian Försch einen Kriminalroman gemacht, der ebenso gekonnt Kettenbachs Gedanke der Seins-Erschließung einlöst wie er sich Fausers Spuren folgend durch die Biotope gesellschaftlichen Agierens und Hintertreibens bewegt; ein Buch, das vieles zugleich ist: Gesellschaftsanalyse, Menschenstudie, Pageturner,- kurz: große Unterhaltung. Dass er uns zudem immer wieder mit langen eindrucksvollen, so noch nicht erlebten literarischen Kamerafahrten durch die Po-Ebene beschenkt, das macht Christians Förschs Roman Der Tote vom Lido auch zu einem kulinarischen Genuss, zu einem rasanten Film aus Worten.

Der Tote am Lido

Christian Försch, Aufbau

Der Tote am Lido

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