Kokain
- Folio
- Erschienen: Januar 2013
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- Wien: Folio, 2013, Seiten: 180, Übersetzt: Karin Fleischanderl
Prekäres Sniefen
Kokain, einst eine Partydroge für die Reichen und Schönen, ist auf dem besten Weg zur Droge für Menschen, die sich in prekären Arbeitsverhältnissen befinden. In beiden Fällen wurde Kokain zur Steigerung der Leistungsfähigkeit genommen, früher der sexuellen, der kreativen, heute der alltäglichen, um im miesen Job und Leben bestehen zu können wenigstens ein paar Jahre. Die Kokainbranche hat multinationalen Charakter und verbindet legale und illegale Sektoren miteinander. Die drei italienischen Krimiautoren Massimo Carlotto, Gianrico Carofiglio und Giancarlo De Cataldo erzählen in dem schmalen Band Kokain jeder eine Geschichte zum Thema.
Massimo Carlotto Campagnas Spur
Kommissar Campagna führt einen erfolglosen Kampf gegen Drogen in Padua. Er ist verheiratet, hat eine Tochter, ist nicht korrupt, sieht man einmal davon ab, dass er mit den Regeln Probleme hat, die nur für die sind, die sich daran halten. Da er aber grundsätzlich Regeln braucht, möchte er nach Abschluss des Falls zum Überfallkommando versetzt werden.
Doktor Lopez, Campagnas Vorgesetzter, erteilt ihm den Auftrag, über den Kokain-Dealer Roberto Pizzo an den bulgarischen Mafioso Tinko Bojev heranzukommen und dessen Organisation zu zerschlagen. Lopez hat persönliche Motive, weil Bojev für den Tod seines Freundes von der Polizeischule, Marcello Mantovani, verantwortlich ist, vermutlich diesen sogar selbst ermordet hat. Auch Campagna ist persönlich involviert, ist er doch mit Pizzo befreundet.
Die Figuren sind wenig mehr als Stereotype und von Carlotto eher definiert denn charakterisiert, die Hauptfigur in Teilen amüsant. So wird Campagna auf S.8 als "geradlinig und ehrlich" beschrieben, während wir auf S.11 erfahren, dass er Liebschaften hat und seine Frau betrügt. "Campagnas Spur" erzählt seine Geschichte lakonisch, bisweilen zynisch, auf das Wesentliche reduziert, steuert in einer klaren Linie, wie mit der Rasierklinge gezogen, auf das Ende zu.
Gianrico Carofiglio Schneller als der Schutzengel
Ein Schriftsteller lernt im Caffè del Pescatore Sara kennen, die frühere Leiterin eines Rauschgiftdezernats, die eine Dealerin liebte, in den Fokus polizeilicher Ermittlungen geriet, verurteilt wurde und ihren Job verlor. Sara erzählt ihre Geschichte an mehreren Abenden dem Schriftsteller.
Carofiglio hat seine Erzählung angelegt wie ein Interview. Anfangs ist Sara noch zurückhaltend, weiß nicht, wie sie den Schriftsteller einschätzen soll, dem sie vielleicht auch Material für seinen nächsten Roman liefern könnte. Das Gespräch lässt sich auch weitgehend wie ein Verhör lesen, knapp und immer auf den Punkt gebrachte Aussagen, durchsetzt mit Überlegungen darüber, wie etwas hätte anders laufen können und welche Folgen sich daraus hätten ergeben können, aber ohne Nostalgie, ohne Frustration ob eines verpfuschten Lebens, das letztlich nur eine verpfuschte Karriere bei einer Behörde war, bei der man in der Sache ohnehin nichts erreichen konnte.
Giancarlo De Cataldo Schneereigen
Die dritte Erzählung erweitert den Handlungsraum Italien auf den globalisierten Drogenmarkt, führt von Kalabrien über Peru, Mexiko und Kolumbien nach Mailand, Wales, London und auf die Caiman-Inseln. Eine Vielzahl von Akteuren, international vernetzt, organisiert den Kokainmarkt von der Produktion auf einer peruanischen Plantage bis an die Verteilstellen in der Europäischen Union, wo auch die Drogengelder gewaschen werden.
De Cataldo schreibt, das Problem mit der Legalität sei, sie funktioniere fast nie. Deshalb agieren verdeckte Ermittler an der Grenze zur Legalität im mexikanischen Drogenkartell oder in der kalabresischen Mafia. Ihre Arbeit findet meist ein unbefriedigendes Ende, wenn sie auffliegen oder aufhören müssen, weil die mit der Fortführung ihrer Tätigkeit verbundenen Rechtsverletzungen problematisch würden. Aber manchmal gelingt es doch, ein paar große Fische wie Don Achille Patriarca zu überführen.
Sinnloser Drogenkrieg
Die drei Geschichten spielen in einer Welt, die zum amoralischen Raum verkommen ist, vermutlich, nachdem mehrfach der Werteverfall beklagt und eine neue Wertediskussion eingefordert worden waren. Ohne Sentimentalitäten und große Gefühle, oft nicht einmal kleine Gefühle, werden die Fälle vorgetragen, bisweilen im Reportagestil. Wer sich täglich im Lebensraum des Drogenmonsters bewegt, in den dringt dieses Monster irgendwann ein, in Abwandlung eines bekannten Diktums eines alten deutschen Philosophen mit (nicht unbedingt belegter) Drogenerfahrung. Der Krieg gegen die Drogen ist verloren. Die Maßnahmen gegen kolumbianische Kartelle haben zur Übernahme des Marktes durch mexikanische Kartelle geführt. Und auch in Europa ist er verloren. Von all diesen Dingen erzählen die drei Autoren der Anthologie Kokain.
Giancarlo de Cataldo, Folio
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