Kalte Macht
- Der Hörverlag
- Erschienen: Januar 2013
- 9
- München: Der Hörverlag, 2013, Seiten: 2, Übersetzt: Kai Wiesinger, Bemerkung: MP3
In der Machtzentrale ist es einsam
Natascha Eusterbeck ist eine junge Bundestagsabgeordnete - und einigermaßen überrascht, als ihr die Kanzlerin eine Stelle als Staatssekretärin im Bundeskanzleramt anbietet. Die intelligente und ehrgeizige Nachwuchspolitikerin ist noch politische Idealistin, und so tritt sie Stelle mit großem Engagement an. Doch die Euphorie erhält einen ersten Dämpfer, als ihr die Kanzlerin neben der offiziellen Aufgabe, Strukturreformen in der Mammut-Behörde vorzubereiten, noch einen inoffiziellen Auftrag erteilt. Sie soll für die mächtigste Politikerin der Welt heimliche Seilschaften und verborgene Machtstrukturen finden. Doch im Haifischbecken der Alpha-Tiere wird sie sofort das Ziel von Mobbing-Attacken, sie wird überwacht, in Fallen gelockt und gedemütigt. Ihre Widersacher und Feinde sind ohne jeden Skrupel, und als sie einem lange zurückliegenden Komplott auf die Spur kommt, gerät Natascha Eusterbeck sogar in Lebensgefahr. Sie kann niemandem mehr trauen, da sogar ihr eigener Mann sie betrügt – schließlich bleibt ihr nur ihre langjährige Sekretärin und Vertraute als Verbündete.
Angesichts der Ankündigung des Verlages, es handele sich bei Kalte Macht um einen Insider-Roman, sind die Diskussionen unter Rezensenten und Lesern vorprogrammiert. Da wird über den Realitätsgehalt gestritten werden, und die Meinungen werden erheblich auseinander gehen. Jan Faber – dabei handelt es sich um ein Pseudonym – soll über intime Kenntnisse aus Wirtschaft und Politik verfügen. "Die wahre Identität von Jan Faber ist selbst den Mitarbeitern des Verlages nicht bekannt." Diese Behauptung aus einem überdrehten Marketing-Konzept ist dem Autor nicht anzulasten, aber in den Verlagsetagen sollte man mal darüber nachdenken, ob dieser Unsinn nicht eher kontraproduktiv ist. Es soll offenbar der Eindruck erweckt werden, das Buch entspringe nicht dichterischer Freiheit, sondern ein Insider habe einen Schlüsselroman geschrieben. Dazu trägt bei, dass zwar andere Namen verwendet werden, aber die Personen anhand ihrer Funktionen und der jeweiligen Vita klar erkennbar sind. Das ist für mich auch in Ordnung, denn der Roman ist mindestens gut recherchiert, was die Strukturen und Befindlichkeiten im Kanzleramt angeht. Aber dafür muss man kein Insider sein, sondern die meisten Fakten dürften frei recherchierbar sein, der Rest ist dazu gedichtet. Und das überaus gut und in meinen Augen auch glaubhaft gelungen – Recherche und Dichtung. Der Übertreibungen seitens der Marketing-Abteilung hätte es also gar nicht bedurft.
Kalte Macht ist ein wirklich lesenswerter und spannender Roman. Die darin ausgebreitete Verschwörungstheorie ist in anderer Form schon häufiger zu lesen gewesen, wird hier aber als perfekte Grundlage für einen Roman verwendet. Handlung und Dialoge sind nach meiner Auffassung durchaus Realitätsnah gestaltet, die Protagonistin und ihr Umfeld wirken erfrischend idealistisch und naiv, bis sie in den Mühlen der Macht zerrieben werden. Das Buch spielt überwiegend im Kanzleramt an der Willy-Brandt-Straße, und die Moral – oder Unmoral – im Macht-Zentrum der deutschen Politik wird ziemlich authentisch geschildert.
Natascha Eusterbeck kann dabei durchaus als Prototyp der ehrgeizigen, naiv-idealistischen Nachwuchspolitikerin betrachtet werden – rein optisch hat man ständig die aktuelle Familienministerin vor Augen. Ihre Arbeitstage, die zunehmend vor die Hunde gehende Ehe und vieles mehr liegen wohl dichter an der Wahrheit, als man es sich manchmal vorstellen möchte. Wer im Kanzleramt derart weit oben als Quereinsteiger anfängt, wird sicherlich schnell von möglichen Rivalen eingeschüchtert. Die Romanfiguren tragen Fantasienamen, aber wer das politische Geschehen in Deutschland einigermaßen verfolgt hat, erkennt schnell, dass es um Angela Merkel, Helmut Kohl, Josef Ackermann, Wolfgang Schäuble und um den Mord an Alfred Herrhausen kurz vor dem Zusammenbruch der DDR geht. Einige Kleinigkeiten werden geschickt eingebaut, die man als nur mäßig an Politik interessierter Leser leicht überlesen kann, aber der Polit-Thriller dürfte für das durchschnittliche Krimi-Publikum ohnehin eher uninteressant sein.
Mir hat auf jeden Fall gefallen, dass eine solche Geschichte endlich mal nicht in Washington oder Whitehall angesiedelt ist, sondern eben im Berliner Regierungsviertel. Und der bei solchen Büchern immer wieder auftretende Streit um die Realitätsgehalt ist ermüdend – wird allerdings durch die geschilderten Einlassungen der Marketing-Abteilung des Verlages befeuert. Wem diese Haarspalterei egal ist, der findet hier eine gute und leicht zu lesende Story, mit interessanten Protagonisten. Das offene Ende lässt ein wenig Raum für eigene Spekulationen, was mich zunächst etwas ratlos gemacht hat, aber bei weiterem Nachdenken fand ich es dann doch passend. Einige Fragen bleiben auch unbeantwortet. Spannend wird nun sein, ob es unter dem Pseudonym Jan Faber weitere Bücher dieses Kalibers geben wird.
Jan Faber, Der Hörverlag
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