Familienpoker
- Grafit
- Erschienen: Januar 2013
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- Dortmund: Grafit, 2013, Seiten: 320, Originalsprache
Amüsanter Plot vor ernstem Hintergrund
Der indische Privatdetektiv Vijay Kumar aus Zürich hat chronische Geldsorgen und überlegt daher den Beruf zu wechseln. Als ihm dann bei einem gut dotierten Fall von Versicherungsbetrug sein Fotoapparat und damit die Belege seiner Arbeit abhanden kommen, wird es finanziell eng. Dennoch schickt er die sechszehnjährige Noemi unverrichteter Dinge wieder nach Hause, nachdem diese ihn gebeten hat herauszufinden, wer ihre wahren Eltern sind. Ein klarer Fall von Pubertät denkt Vijay und lehnt dankend ab. Kurz darauf hilft Vijay seiner Freundin Manju, die einen Cateringservice betreibt und dringend einen indischen Kellner benötigt. Bei dem Fest trifft er erneut auf Noemi und hat plötzlich Mitleid mit ihr. Am nächsten Tag besucht er sie zuhause und nachdem er ihre vermeintliche Mutter, Irene Winter, unter Druck setzt, gibt diese zu, dass sie nicht die leibliche Mutter sei.
Irene Winter und ihr vermögender Mann konnten keine Kinder bekommen, woran die Ehe zu scheitern drohte. Da Irene aus einfachen Verhältnissen stammt nahm sie das Angebot einer Schwester an und flog für einige Monate nach Madrid, wo in einem katholischen Orden alles geregelt werden sollte. Nachdem eine Mutter bei der Geburt ihres Kindes starb, wollte man dieses in eine wohl situierte Familie übergeben, damit es dort eine gute Zukunft hatte. Die entsprechende Geburtsurkunde wurde kurzerhand gefälscht. So wurde Irene damals die Mutter von Noemi. Irene bittet Noemi inständig, ihrem "Vater" nichts zu verraten, da dieser sich für den leiblichen Vater hält. Noemi ist einverstanden unter der Bedingung, dass Vijay nach Spanien fliegt, um dort ihre leiblichen Eltern zu suchen.
"Ich konnte mich nicht entscheiden, ob ich Irene Winter verachten oder bemitleiden sollte. Die Emanzipationsbewegung schien sie jedenfalls nicht mitbekommen zu haben, stattdessen ließ sie sich auf ewige Fünfundzwanzig straffen und kaufte nebenbei ein Kind, nur damit ihr Mann sie nicht verließ. Alice Schwarzer hätte aufgejault."
Vijay fliegt zusammen mit seinem spanischen Freund José nach Madrid, wo sich beide auf die Suche machen und auf einen großen Skandal stoßen, denn der Verkauf von Noemi an Irene war offenbar kein Einzelfall, sondern Teil eines Jahrzehntelangen Kinderhandels…
Sunil Mann, im wahren Leben Flugbegleiter, legt mit Familiepoker bereits seinen vierten Roman der Vijay-Kumar-Reihe vor, die sich vor allem durch großen Sprachwitz auszeichnen. Neben seinem alten Freund José gibt es natürlich auch ein Wiedersehen mit weiteren "guten Bekannten". Da wäre Vijays Mutter, deren Lebensmittelgeschäft kräftig floriert, während der an Depressionen leidende Vater noch immer in Mumbai lebt. Manju, die bei seiner Mutter aushilft und abends einen Cateringservice leitet, ist inzwischen die Frau an Vijays Seite, was angesichts seiner lebhaften Vergangenheit überraschen mag. Gleichwohl gäbe es da noch eine Sache, die noch aussteht. Ebenfalls wieder mit von der Partie ist der transsexuelle Gustavo, der sich nach dem Einbringen von Brustimplantaten schon längere Zeit Miranda nennt, und wieder für reichlich Durcheinander sorgt. Ihr Leben als Prostituierte hat Miranda aufgegeben und möchte sich nun mit einem Restaurant selbstständig machen. Zu allem Überfluss erwartet sie den Besuch ihrer erwachsenen Tochter (sie stammt noch aus der Zeit als Gustavo), von deren Existenz sie erst vor einem Jahr erfahren hat. Diese freut sich ebenfalls, allerdings hatte sie von ihrem "Vater" verständlicherweise eine andere Vorstellung.
Familienpoker ist ein lustiger, zum Schmunzeln und Lachen anregender Krimi, der dennoch ein ernsthaftes Thema beleuchtet. Seit Jahrzehnten wurden offenbar Kinder aus sozial-schwachen oder instabilen Familien an gut situierte, katholische Familien "vermittelt", damit sie dort eine bessere Zukunft finden. Interessant und beklemmend gleichermaßen zu lesen.
"Habt ihr Oberschwester Maria kennen gelernt?"
"Von ihrer besten Seite."
"Offiziell hat sie keine andere."
Neben dem aufgezeigten Inhalt gibt es natürlich wieder große Auslassungen über die Themen unserer Zeit.
"Der Begriff ´Gentrifizierung’ wurde dabei geradezu inflationär eingesetzt, selbst von Leuten, die üblicherweise Mühe mit mehrsilbigen Wörtern bekundeten."
Vijay Kumar hat mit seiner lustig-chaotischen Art die große Chance zum Kult-Detektiv. Nicht nur in der Schweiz.
Sunil Mann, Grafit
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