Unbescholten

  • Hörbuch Hamburg
  • Erschienen: Januar 2013
  • 9
  • Stockholm: Norstedt, 2012, Titel: 'Den andalusiske vännen', Seiten: 500, Originalsprache
  • Hamburg: Hörbuch Hamburg, 2013, Seiten: 8, Übersetzt: David Nathan
Unbescholten
Unbescholten
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Matthias Kühn
73°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2013

Radikaler Action-Thriller im Geschwindigkeitsrausch

Wenn es stimmt, was zu lesen ist, wird Unbescholten nicht einfach ein schwedischer Fernsehkrimi, sondern richtig großes Kino: Angeblich ist Ridley Scott an den Filmrechten dran. Der Film könnte dann ein rasanter Hollywood-Thriller werden noch schneller als das Buch.

Denn Unbescholten verblüfft vor allem durch eine wahrlich neue Qualität an radikalem Tempo. Autor Alexander Söderberg, bisher als Drehbuchautor fürs schwedische Fernsehen aktiv, ist ein internationaler Erfolg gelungen; der Erfolg kommt nicht zufällig. Denn Söderberg beherrscht sein Metier; er weiß, welche Zutaten ein rundum packender, rasend schneller und immer wieder überraschender Thriller braucht. Vielleicht weiß er das etwas zu genau. Denn bei aller Qualität, die dieser Roman zweifellos besitzt, bleibt immer wieder das Gefühl, dass das Buch komplett auf Erfolg getrimmt ist klar kalkuliert, wie es sich für eine verdammt gut konzipierte Marketingaktion gehört.

In vielen Thrillern der letzten Jahre gab es Figuren, bei denen es lange nicht klar war, ob sie zu den Guten oder den Bösen zählten. In Unbescholten wird dieser Trick an seine Grenzen geführt: Niemand ist wirklich gut, auch wenn es anfangs so scheint. Die Polizisten sind nicht einfach verkorkst, schmuddelig oder verpeilt, nein sie haben praktisch allesamt eine Menge zu verbergen und sich gegenseitig in der Hand; die Bandenrivalität wird mit allen, aber auch wirklich allen Mitteln ausgefochten; und die Drogen- und Waffenhändler sind skrupelloser als bei Dashiell Hammett. Bei der Gruppe der Polizisten versucht Söderberg wieder durch einen Trick, die gehäufte kriminelle Energie der Beamten zu erklären: Kommissarin Gunilla Strandberg hat eine Schar gestrandeter Cops um sich versammelt, die ihre Karriere eigentlich bereits gründlich vermasselt hatten. Jetzt kriegen sie durch Gunilla eine letzte Chance. Einigermaßen sympathisch wenigstens sind höchstens zwei Leute im weitgefächerten Personal des international angelegten Thrillers. Aber unbescholten, wie es der Titel nahelegt?

Unbescholten? Von wegen!

Unbescholten ist die Krankenschwester Sophie zumindest ein paar Seiten lang. Sie kümmert sich ein wenig zu sehr um den schönen Patienten Hector, der außerdem noch sehr gebildet und vertrauenswürdig erscheint. Sophie hat privat nicht viel Glück gehabt; ihren 15-jährigen Sohn Albert erzieht sie allein, ihr Leben ist eher karg und einsam. Dass dieser angefahrene Hector auf ihr Engagement eingeht, das weit über den pflegerischen Standard hinausgeht, muss sie also verwundern: Kaum ist Hector entlassen, wird Sophie zu seinem Geburtstag eingeladen. Spätestens danach weiß sie: Dieser Mann steckt in der organisierten Kriminalität.

So verfängt sich Sophie im Handumdrehen in den Fallstricken einer abenteuerlichen und abstrusen Geschichte. Eine Kommissarin beobachtet diese Entwicklung, ohne wirklich zu wissen, was da passiert. Und als Sophie als Informantin angeworben werden soll, um Hector ans Messer zu liefern, steckt sie schon zu tief in der Sache drin.

Action statt Psychologie

Das alles geht sehr schnell mir etwas zu schnell, denn da bleibt dann doch die Psychologie zugunsten von Action und Ballerei auf der Strecke. Dass nahezu jede Figur ihre dunklen Seiten hat, wirkt manchmal aufgesetzt und fast schon beliebig; dass eine eigentlich unbescholtene Frau in Verbrecherkreise rutscht und am Ende mehr Angst vor der Polizei als vor der Mafia haben muss, ist nicht so neu solche Motive gabs bei allen Generationen von Hardboiled-Autoren. Meistens treffen da Menschen in der Überzeugung, genau das Richtige zu tun, völlig falsche Entscheidungen.

Aber hier tauchen nach solchen Entscheidungen dermaßen viele überraschende Wendungen auf, dass die Geschichte leider immer wieder an Glaubwürdigkeit einbüßt. Eher beschlich mich das Gefühl, der Autor überlegte krampfhaft: Wie kann ich jetzt wieder eine Überraschung einbauen? Um dann zu jubilieren: Eine hab ich noch! Dazu passt auch, dass Söderberg bei Bedarf schnell mal eine seiner Figuren über die Klinge springen lässt. Ist es zu viel verraten, dass allzu viele Leute den Roman gar nicht überleben?

Vom Bösen ins Böse

Die Krankenschwester Sophie Brinkmann freilich überlebt. Muss sie ja auch, denn die ganze Geschichte ist als Trilogie angelegt. Kein schlechter Trick, in einem Krimi eine vormals unbescholtene Frau aus einem Pflegeberuf zur Protagonistin zu machen. Mal abgesehen davon, dass Sophie etwas zu wenig reflektiert und sich eben zu schnell mit ihrer neuen Rolle abfindet, funktioniert das auch gut.

Ich persönlich ziehe selbst bei actiongeladenen Thrillern ein behutsameres Tempo vor. Aus einem klaren Grund, der bei Unbescholten für einen gewissen Punktabzug sorgt: Je schneller ein Krimi ist, desto höher die Gefahr, dass er ins Comichafte abdriftet. Und genau das passiert Söderberg mehr als nur eine Handvoll Male.

Unbescholten ist also ein äußerst spannender, extrem lesbarer, aber mit scheinbar raffinierten Tricks übermäßig aufgemöbelter Highspeed-Actionthriller. Es ist die Geschichte einer Flucht vor dem Bösen die mitten in ein anderes Böse hineinführt.

Unbescholten

Alexander Söderberg, Hörbuch Hamburg

Unbescholten

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