Gone Girl - Das perfekte Opfer
- Argon
- Erschienen: Januar 2013
- 57
- New York: Crown, 2012, Titel: 'Gone girl', Seiten: 419, Originalsprache
- Berlin: Argon, 2013, Seiten: 2, Übersetzt: Christiane Paul & Matthias Koeberlin, Bemerkung: MP3
Szenen einer Ehe
Gone Girl ist der dritte Roman aus der Feder der jungen amerikanischen Autorin Gillian Flynn und es ist - das ist jetzt schon klar - ihr bisher erfolgreichster. Seit dem Veröffentlichungstag des amerikanischen Originals im Juni 2012 sind dort über 2,7 Millionen Exemplare des Hardcovers verkauft worden. Der Titel belegte wochenlang vorderste Plätze auf der New Times-Bestsellerliste. US-Kritiker von New York bis San Francisco, von Miami bis Seattle übertrafen sich in ihren Lobpreisungen. Selbst Schriftstellerkollegen wie Kate Atkinson oder Karin Slaughter stimmten in den allgemeinen Lobgesang mit ein. Ein Mega-Film-Deal war so zwangsläufig wie ein Naturgesetz. Damit der deutsche Leser, wohl eher Leserin, auch gleich weiß, welch ein Kaliber auf sie wartet, wird er/sie auf den ersten 4-5 Seiten des Buches entsprechend indoktriniert. Und diese Werbemaßnahme verfehlt nicht ihre Wirkung, auch in Deutschland erklimmt Gone Girl Das perfekte Opfer die Höhen der Büchercharts.
Freunden unseres Genres sei gleich gesagt, dass Gone Girl weder Krimi noch Thriller ist. Es gibt ein paar, eher wenige, spannende Szenen und die Autorin versteht es geschickt, falsche Fährten auszulegen. Doch in toto ist der Roman wohl eher das Psychogramm einer Ehe, das nicht wirklich berührt. Das mag Gillian Flynns Eigenart geschuldet sein, als Hauptprotagonisten nicht gerade Sympathieträger ins Rennen zu schicken. Dieser Eindruck stellte sich beim Rezensenten schon bei Flynns Debüt Cry Baby und ganz besonders beim nachfolgenden Roman Finstere Orte ein. Auch Amy und Nick hier in Gone Girl wirken eher wie die Abstraktion zweier sogenannter Dinks (Double Income, No Kids). Als Leser tut man sich schwer, ihren Gefühlen, welcher Art auch immer, zu folgen.
Die Eheleute Amy und Nick Dunne, in den Dreißigern und beide als Journalisten in New York berufstätig, erfreuten sich der Annehmlichkeiten des Lebens, die der "Big Apple" dem gehobenen Mittelstand zu bieten hat. Alles war augenscheinlich wunderbar, bis beide kurz hintereinander von ihren jeweiligen Redaktionen freigestellt wurden. Neue Jobs zu finden, war angesichts des Niedergangs der Printmedien gar nicht so einfach, doch die beiden zeigten sich auch nicht besonders engagiert. Ein Anruf von Nicks Schwester Margo, ihre Mutter - unheilbar an Krebs erkrankt - läge im Sterben und sie könne die Betreuung nicht alleine managen, weckte Nick und Amy aus ihrer Lethargie. Sie beschlossen der eine froh, eine neue Aufgabe zu haben, die andere eher missmutig New York zu verlassen und in Nicks alte Heimat, einem kleinen Kaff in Missouri zu ziehen. Das geschah vor zwei Jahren.
Die aktuelle Gegenwartsgeschichte beginnt am Morgen ihres 5. Hochzeitstages. Amy bereitet das Frühstück, was Nick etwas seltsam vorkommt. Er verlässt zeitig das Haus; mittags taucht er in der Bar auf, die er zusammen mit seiner Schwester betreibt. Dort meldet sich alsbald ein Nachbar der Dunnes telefonisch, deren Haustüre stünde sperrangelweit offen und die verwöhnte Hauskatze streune durch die Gärten. Nick fährt eilig zu ihrem Haus, das etwas außerhalb des Stadtzentrums liegt. Er findet die offene Haustür, ein verwüstetes Wohnzimmer, von Amy weit und breit keine Spur.
Gillian Flynn erzählt ihren Roman aus zwei Ich-Perspektiven. Während Nick Dunne die Gegenwartsgeschichte vorantreibt, kommt Amy in Form von immer wieder eingestreuten Tagebucheinträgen zu Wort. Sie blickt zurück auf ihre Kindheit und Jugend als verwöhnte Tochter eines Schriftsteller-Ehepaares, das mit einer Kinderbuch-Reihe, "Amazing Amy"(!) sehr erfolgreich war. Erzählt von der ersten Zeit mit Nick, der Hochzeit und den Jahren ihrer Ehe bis hin zu dem schicksalhaften 5. Hochzeitstag.
Den wird auch Nick niemals vergessen, denn er ist in das Visier der Polizei geraten. Aus deren Sicht hat Nick nur ein dürftiges Alibi für die Tatzeit und nähere Angehörige sind ja stets verdächtig. Amys Verschwinden löst selbstredend bei Nick viele Erinnerungen an Amys Eigenheiten und an besonders einprägsame Situationen in ihrer gemeinsamen Zeit aus. Aus seiner Sicht stellen sich viele Begebenheiten ganz anders dar.
Es liegt wohl in der Natur des Menschen sich bei sich widersprechenden Meinungen, Perspektiven oder Erfahrungen für die Seite zu entscheiden, die einem näher oder sympathischer ist. Gillian Flynn macht es dem Leser schwer, für die Eine oder den Anderen Partei zu ergreifen. Amy und Nick sind nicht die Gute und der Böse oder umgekehrt. Man erlebt zwei unsichere Menschen, die in ihrem Zusammensein nicht ehrlich zu einander sein können, nicht miteinander kommunizieren, die sich selbst belügen. Mehr Schein als Sein. Konflikte sind da schon vorprogrammiert.
Gillian Flynn hat die Szenen einer Ehe raffiniert umgesetzt. Die äußere Form gebiert die Spannung. Der Plot ist so gestrickt, dass man auf das perfide Spiel nicht näher eingehen kann, ohne den Clou zu verraten. Gone Girl ist gute abwechslungsreiche Unterhaltungsliteratur, aber von einem Thriller weit entfernt. Bis auf zwei wirklich überraschende Volten ist der Handlungsablauf vorhersehbar, die falschen Spuren sind zu offensichtlich und das Ende ist naheliegend und enttäuschend. Die beiden Hauptfiguren wirken spröde, abstrakt gezeichnet. Man kann sie weder richtig lieben noch hassen. Und eine empathische Verbindung zwischen Leser und Protagonisten sind doch eine Voraussetzung, um Spannung zu empfinden. Was den Roman letztendlich rettet, ist Flynns hintergründiger Humor, von dem man gerne mehr gehabt hätte, denn so richtig ernst nehmen kann man dieses Ehedrama, vielleicht besser Ehe-Tragikomödie, nicht.
Als Fazit kann der Rezensent festhalten, Gone Girl muss der Krimileser nicht zwingend auf dem Einkaufzettel haben. Es ist nicht der Reißer, wie er in den amerikanischen Medien dargestellt wurde. Gehobenes Mittelmaß für den Gehobenen Mittelstand. Kann man lesen.
Gillian Flynn, Argon
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