Untat
- Conte
- Erschienen: Januar 2013
- 1
- St. Ingbert: Conte, 2013, Seiten: 140, Originalsprache
Es geschah in Ihrer Nähe
Oscar ist ein Phänomen. Ein kleiner, dreckiger, stinkender Mann von bescheidenen Manieren, der aber eloquent genug ist, andere zum Schweigen zu verdammen, zur Untätigkeit. Der Pornos schaut, Bier trinkt, Chips isst, Geschichten erzählt und Menschen umbringt, Kinder entführt, misshandelt und missbraucht. Ein Mann der Menge, einer von uns, mit Vergangenheit, Gegenwart und ungewisser Zukunft. Im medialen Scheinwerferlicht zweier (ja was eigentlich?) Journalisten, Biographen, Praktikanten eines x-beliebigen Mediums? WIR sind Papst, WIR sind Deutschland, WIR sind Erzähler. Wir träumen gemeinsam, machen uns gemeinsam Sorgen, haben Angst; gehen gemeinsam zur Toilette und wollen berichten, von dem was geschehen ist, was geschieht oder doch bloß geschehen sein könnte? Mit dem Finger zeigen: Der Herr Oscar war’s. Wieso sollen die Verbrechen auf uns selbst zurückfallen? Wie kann das sein, wir sind doch bloß Beobachter, Zuschauer in einem abgefeimten Spiel, und wir haben versucht zu helfen. Haben wir. Bestimmt?
Mit Untat erweist sich Guido Rohm einmal mehr als ein höchst origineller Autor. Unsicherheit ist sein Metier. Die Unsicherheit des Erzählens ebenso wie die permanente Infragestellung der Situation, in der sich die Protagonisten befinden. Rohm lässt offen, wer sich hinter dem "Wir" der/des Erzähler/s verbirgt. Behauptet wird Journalisten, doch ein eindeutiger Beleg findet sich im Text nicht. Und ist "Oscar" tatsächlich das räudige, cholerische, manieristische und gleichzeitig so charismatische Subjekt, dem seine Chronisten pflichtbewusst folgen – soweit er es zulässt? Morde, Entführungen und Missbrauch geschehen im Off. "Wir" bekommen nur mit, was "wir" sehen sollen. Oder doch wollen?
Immer wieder verschwindet Oscar aus der Erzählung, lässt seine Biographen rat- und hilflos zurück. Eine weitere Lesart erscheint möglich: Es existiert gar kein Oscar, kein "Wir", sondern lediglich ein einziger Erzähler mit einer Persönlichkeitsstörung. Der Verbrechen begeht und sich gleichzeitig distanziert, multipel zersplittert und keine Therapie in Sicht. Bis er aufgehalten wird.
Liest man Untat als galligen Kommentar auf einen gewissen- und gedankenlosen Medienbetrieb, kommt unweigerlich der Ahne "Mann beißt Hund" in den Sinn. Jener Film, in dem eine Filmcrew einem Killer hautnah erst folgt, dann in seine Taten (begeistert) involviert wird um schließlich auf derselben Abschussliste wie der Killer zu landen. Die Kamera fällt, das Sterben beginnt. Schwärzester Noir, (zu Beginn) getarnt als flapsige, schwarzhumorige Komödie, bei der das Lachen hinter dem kalt abgefilmten Grauen erstirbt.
Untat erreicht in diesem Punkt die beißende - was sonst - Intensität des belgischen Films nicht ganz, ist allerdings thematisch auch weit offener und vermeidet glücklicherweise jene dumpf polemisierende Medienverteufelung á la Michael Haneke ("Bennys Video", "Funny Games"). Erzählt stattdessen von den Schattenseiten eines Erlebens, das sich beständig selbst reflektieren möchte, um doch nur die eigene Unfähigkeit/Untätigkeit geschildert zu sehen.
Dem gerade mal 134 Seiten langen Roman gelingt es, eine beklemmende, geradezu klaustrophobische Atmosphäre zu schaffen, die für ein beträchtliches Maß an Spannung sorgt und gleichzeitig genug Raum schafft für Diskurse, die über den bloßen Text weit hinausgehen (können). Sprachlich pointiert, ohne überflüssigen Ballast und garniert mit finsterem Witz. Onkel Dieter-Paul kommentiert kurz und knapp: "Friss das Fitzek"!
Guido Rohm, Conte
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