Galgenberg
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2013
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- Johannesburg: Jonathan Ball, 2011, Titel: 'Gallows hill', Seiten: 349, Originalsprache
- München: Blanvalet, 2013, Seiten: 416, Übersetzt: Christoph Göhler
Manche Knochen bleiben frisch
Eine Obdachlose stirbt auf einer Baustelle im südafrikanischen Kapstadt. Was für die Polizei zunächst wie ein Routinefall aussieht, entwickelt sich zum Albtraum: Unweit der Leiche wühlt der Hund der Toten ein altes Massengrab frei. Vor zweihundert Jahren verscharrte man hier diejenigen, die an den Galgen von Gallows Hill, Kapstadts einstiger Richtstätte, starben.
Dem Bauherrn kommt der Fund höchst ungelegen. An dieser Stelle sollen Luxuswohnungen für Parlamentsmitglieder entstehen. Weder beim Grundstückskauf noch bei der Auftragsvergabe ging es mit rechten Dingen zu; Politik und Wirtschaft bilden in Südafrika eine durch Korruption verschmolzene Einheit.
Da der störrische und vor allem unbestechliche Captain Riewaan Faizal von der Einheit für organisierte Kriminalität den Fall übernimmt, wird die Sache nicht unter den Teppich gekehrt. Stattdessen bringt die Untersuchung des Massengrabes eine Holzkiste zum Vorschein, in der das Skelett einer erst vor zwei Jahrzehnten erschlagenen Frau liegt.
Diese Leiche führt in die Zeit der Befreiungskämpfe zurück. Schon in seinen letzten Zügen liegend, hatte das einstige Apartheitsregime besonders grausam und unrechtmäßig politische Gegner verfolgen und umbringen lassen. Viele Mitglieder der gefürchteten Sicherheitspolizei wurden nie zur Rechenschaft gezogen. Sie haben vor dem Ende ihrer Terrorherrschaft ein solides Netzwerk aufgebaut, das sie noch heute schützt. Wer gegen sie ermittelt, begibt sich in Lebensgefahr.
Das erfahren sowohl Faizal als auch seine Lebensgefährtin und Kollegin, die Profilerin Clare Hart. Zu den alten Verbrechern gesellen sich neue, noch skrupellosere Kriminelle, die um jeden Preis ihre einträglichen Geschäfte weiterbetreiben wollen ...
Pulverfass am Galgenberg
Südafrika ist ein Land mit bewegter Geschichte. Das trifft zwar auf die meisten Länder dieser Erde zu. Der entscheidende Faktor sind die wirklich unerfreulichen historischen Epochen. Viele Staaten haben buchstäblich ihre Leichen im Keller. Dies verliert an Sprengkraft, je weiter die Zeit des massenhaften Todes zurückliegt. Zeugen, Familienangehörige und Freunde, die nicht nur die Erinnerung an die Opfer erhalten, sondern auch die Bestrafung der Schuldigen fordern, sterben irgendwann und geben Ruhe. Vor der Erfindung der Fotografie gab es auch keine Bilder, die geschehenes Grauen bewahrten: Aus den Augen, aus dem Sinn.
Schon seit mehreren Jahrzehnten können sich Täter nicht mehr auf dieses kollektive Vergessen verlassen. In Südafrika gibt es noch mehr als genug Menschen, die sich sehr gut und bitter an die Zeit der Apartheit erinnern: Eine Minderheit weißer Machthaber hielt trotz Ächtung durch den Großteil der Restwelt die Mehrheit ihrer schwarzen Mitbürger von demokratischer Mitbestimmung fern - scheinheilig legal und später, als die Macht zu bröckeln begann, auch mit brutaler Gewalt.
Die ersten freien Wahlen erlebte Südafrika 1994. Davor lagen Jahre, in denen sich das Regime und diverse Freiheitsbewegungen erbittert bekämpften. Unrecht geschah auf beiden Seiten, doch die Minderheitsregierung war ihren Gegnern in dieser Hinsicht einige Jahrzehnte voraus. Sie verlängerte damit eine ohnehin unrühmliche Geschichte, denn schon Südafrika als niederländische und später britische Kolonie missbrauchte die einheimische Landesbevölkerung als Sklaven und ab 1833 als billige Arbeitskräfte und schloss sie von jeglicher Mitbestimmung aus.
Selbst recht junge Menschen erinnern sich an 1994. In Südafrika herrscht nicht zuletzt dank Nelson Mandela Frieden. Allerdings ist die Vergangenheit weder aufgearbeitet noch vergessen. Groll und Ängste sind unter der Oberfläche präsent. Margie Orford weiß dies selbst gut. Als junge Frau und Gegnerin des Regimes wurde sie verhaftet und musste ein Jahr im Gefängnis sitzen. Auf diese Weise vergiften zahllose, nie gesühnte Verbrechen sowie konserviertes Unrecht den gemeinsamen Neubeginn.
Frau mit Mission und Sinn für Spannung
Margie Orford schreibt einerseits spannende Kriminalromane. Gleichzeitig ist diese Spannung der Zucker, mit dem sie ihren Lesern diverse bittere Wahrheiten versüßt. Orford ist politisch zu aktiv, um sich auf die Rolle der reinen Unterhaltungsautorin zu beschränken. Mit dem "Mama-Afrika"-Kitsch, wie ihn beispielsweise Alexander McCall Smith in seiner "Mma-Ramotswe"-Serie verbreitet, hat sie nichts im Sinn. Orford nimmt dem Slum-Alltag der ausgegrenzten Armen jeden malerischen Zauber. Sie ist zudem Journalistin und Filmemacherin und deshalb gewohnt, ihr Publikum zu unterhalten, dadurch abzulenken und nebenbei zu belehren.
Dagegen ist nichts einzuwenden, wenn es geschickt geschieht. Mit "Galgenberg" erreicht Orford erfolgreich beide Ziele. Nur manchmal schießt sie - verständlicherweise - über ihr Ziel hinaus, lässt die Botschaft ein wenig zu deutlich durchschimmern und nimmt der Handlung ihre Bodenhaftung. Dies lässt sich verschmerzen, denn Orford punktet durch ihre offensichtliche Ortskenntnis, die über normales Lokalkolorit weit hinausgeht. Ihre kritische Haltung hat sich die Autorin bewahrt. Nicht nur Clare Hart, sondern auch Riewaan Faizal sind ihre Alter Egos und Sprachrohre.
Die historische Hypothek wird durch aktuelle Missstände vergrößert. Das neue Südafrika boomt. Wer davon profitiert, blendet die Vergangenheit problemlos aus. Geld wird in der Gegenwart verdient, parallel dazu freie Bahn für eine lukrative Zukunft geschaffen. Recht und Moral sind dabei Hindernisse oder werden als Instrumente missbraucht. Orford beschreibt eine Oberschicht, in der Politiker, Geschäftsleute und organisierte Verbrecher kaum voneinander zu trennen sind.
Die Stimme des Rechtes
Faizal und Hart spielen nicht mit und zahlen dafür ihren Preis. Er ist in seiner Karriere steckengeblieben; ein Captain wird Faizal bleiben, obwohl er zu Höherem fähig wäre. Wie ihm ergeht es vielen anderen mahnenden Spielverderbern, die von der korrupten Führungsschicht sorgfältig der Macht ferngehalten werden. Immer wieder konfrontiert Orford Faizal mit Handlangern, die ihn bedrohen und einzuschüchtern versuchen, während die Auftraggeber unsichtbar bleiben. Sie können sich darauf verlassen, Schläger und Mörder wie Waleed "Hond" Williams zu finden, die bereit sind, sich für ein Stück vom Kuchen die Hände schmutzig bzw. blutig zu machen.
Clare Hart stand lange an Faizals Seite, ist aber inzwischen ausgebrannt. Als wir sie in diesem vierten Band der Serie wiedersehen, versucht sie nach langer Krankheit die Rückkehr in eine Normalität, die es für sie in dieser Umgehend nicht geben kann. Folgerichtig gleitet Hart bald wieder in vertraute und gefährliche Bahnmuster zurück; wie Margie Orford kann sie gar nicht anders.
Die beiden Hauptfiguren sind ein wenig zu gut, um sympathisch zu sein. Charakterliche Schwächen oder Kanten haben sie nicht. Des Nachts wird ein bisschen gekuschelt, um die Seifenoper-Fraktion der Leser/innen zufriedenzustellen, doch ansonsten gilt es gegen das Unrecht zu kämpfen, sich zu sorgen und zu entrüsten. Entschlossene, widerstandsbereite Männer und entsprechend motivierte Frauen müssen den Strolchen die Stirn bieten, so Orford, denn nur so lassen diese sich beeindrucken. Kann dies wirklich funktionieren? Wohl nur bedingt, das weiß auch Orford, weshalb sie Faizals Assistentin stellvertretend für ihren Chef einem Mordanschlag zum Opfer fallen lässt: Die alte/neue Elite hat den Terror nicht verlernt.
Margie Orford, Blanvalet
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