Dunkle Gewässer
- Tropen
- Erschienen: Januar 2013
- 6
- New York: Little, Brown and Co., 2012, Titel: 'Edge of dark water', Seiten: 292, Originalsprache
- Stuttgart: Tropen, 2013, Seiten: 320, Übersetzt: Hannes Riffel
Schlangen, Strudel und echte Mistkerle
Der Oberlauf des Sabine River in Ost-Texas ist eine trostlose Gegend. Die Heranwachsenden hängen ihren Träumen nach, so auch Sue Ellen und ihre Freundin May Lynn, die eines Tages nach Hollywood gehen möchte. Als dann ihre Leiche beim Fischen aus dem Wasser gezogen wird, bekommt sie jedoch nur ein trostloses Begräbnis. Sue Ellen und ihre Freunde sind jedoch der Meinung, May Lynn habe es verdient, dass wenigstens ihre Asche in Kalifornien verstreut wird – wenn sie denn schon kein Filmstar mehr werden kann. Zusammen mit ihren Freunden Terry und Jinx durchstöbert Sue Ellen die Hinterlassenschaft ihrer toten Freundin, und die Jugendlichen stoßen auf eine Art Schatzkarte. May Lynns toter Bruder hat einst gestohlenes Geld vergraben, das sie jetzt ausbuddeln. Nachdem sie May Lynns Leiche exhumiert und verbrannt haben, setzen sich die drei Freunde mit der Asche und dem Geld im Gepäck auf ein Floß, um nach Süden zu fliehen – begleitet von Sue Ellens höchst labiler Mutter, die ihrem Elend ebenfalls entkommen will. Schon bald hat das Quartett einige Verfolger auf den Fersen, darunter der legendenumwobene Killer Skunk - der seinen Opfern angeblich die Hände abhackt.
Dunkle Gewässer war für mich der erste Roman von Joe R. Lansdale, aber ich muss gestehen, der Autor hat mich mit seiner Erzählweise sofort gefesselt. Wie einige seiner Bücher spielt auch dieser Krimi in Texas, in diesem Fall im östlichen Grenzgebiet zu Louisiana. Die Geschichte ist anrührend, faszinierend, spannend und macht am Ende wirklich nachdenklich. Denn Lansdale erzählt hier nicht nur von Mord und Totschlag, Diebstahl und anderen Verbrechen, sondern er schildert überaus eindringlich harte Schicksale einfacher Menschen, die teilweise unter die Haut gehen. Man muss ein wenig nachdenken, um sich zu erschließen, in welcher Zeit der Roman spielt, aber das ist kein Manko.
Die ziemlich skurrile Geschichte beginnt mit einem Szenario, das schon für Gänsehaut sorgt. Die Jugendlichen sind dabei, als die Leiche ihrer Freundin unter wenig schönen Umständen aus dem Wasser gezogen wird. Und dann präsentiert Lansdale gleich noch einige der Schurken des Buches. Da ist der korrupte und im Grunde kriminelle Constable Sy, da ist Sue Ellens Vater Don und weitere zwielichtige Figuren. Alle hängen an der Flasche, alle schlagen sich irgendwie durchs Leben, und alle sind völlig perspektivlos. Dem wollen die jungen Leute entgehen, und zugleich glauben sie, ihrer toten Freundin etwas schuldig zu sein.
Und so verfestigt sich die Idee, die Leiche auszugraben und zu verbrennen. Die Schilderung dieser makabren Aktion ist schon ein Meisterstück an sich, und in diesem Stil geht es während der gesamten Geschichte weiter. Die Schatzkarte führt das Trio auf einen Friedhof, und zuvor erleben die drei Freunde bereits einige düstere Momente im Haus von May Lynns Familie. Im Grunde ist es eine eher schlichte Geschichte, die Lansdale da zu Papier gebracht hat, aber er entpuppt sich als großartiger Erzähler. Denn man lernt als Leser viel über Texas. Hier geht es nicht um die staubige Gegend, in der Viehzüchter ihre Herden einst über Stacheldrahtzäune gejagt haben, um diese wieder einzuebnen. Sondern Lansdale siedelt seine Geschichte an der Grenze zu Louisiana an, und dort riecht es nach Verfall, Sumpf und Trostlosigkeit. Der Sabine River ist eben nicht der Mississippi, sondern im Oberlauf ein eher trübes Gewässer – und das entpuppt sich als prägend für den Verlauf der Handlung.
Denn da wird reichlich im Trüben gefischt, einzig die drei Jugendlichen und die sie begleitende Mutter von Sue Ellen stemmen sich gegen diesen Verfall und die Perspektivlosigkeit. Es wird noch richtig brutal im Laufe der Geschichte, der Autor baut hervorragend Spannung auf. Ob man ihn, wie offenbar bereits häufig geschehen, mit dem großen Mark Twain vergleichen kann und darf, mögen kundigere Experten beurteilen. Der Kampf zwischen den Guten und den Bösen wird von Lansdale jedenfalls lebensnah und authentisch geschildert. Und seine Figuren, auch wenn sie teilweise eher im Hintergrund bleiben, wie der von Legenden umwaberte Skunk, sind schon recht einprägsame Charaktere.
Das Buch hat "nur" 320 Seiten – das ist auch genug, denn bei der intensiven Erzählweise steht mehr drin, als bei anderen Autoren auf doppelt so vielen Seiten. Dunkle Gewässer ist ein Roman zum Genießen, nicht zum schnellen "weglesen". Und es ist ein Buch, das man durchaus mehrmals genießen kann, um alle Nuancen komplett zu erfassen.
Joe R. Lansdale, Tropen
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