Letzte Ernte
- audio media
- Erschienen: Januar 2013
- 12
- München: audio media, 2013, Seiten: 6, Übersetzt: Gregor Weber
Der kochende Ermittler, dritte Runde
Judd mat Gaardebounen, Letzebuerger Huesenziwwi, Wäinzoossiss mat Moschtezooss, Quetscheflued mat Vanilleglace, dazu seltene Rivaner- und Rieslinglagen – willkommen in der sonderbaren und verrückten Welt von Xavier Kieffer. Zum dritten Mal innerhalb von rund drei Jahren bringt Tom Hillenbrand seinen verhinderten Meisterkoch dazu, als nicht gerade professioneller Privatdetektiv Luxemburg auf den Kopf zu stellen.
Nach synthetischen Geschmacksverstärken und Rotem Thun hat der dritte Band der beachtenswerten Reihe um den verschrobenen Koch aus Luxemburg die Finanz- und IT-Branche zum Thema. Aber auch hier geht es um Essbares – um die künstliche Verknappung von Lebensmitteln am Weltmarkt.
Es beginnt, nach einer Art Prolog, der hier angenehm einfach das erste Kapitel darstellt, relativ harmlos: Kieffer will auf der Schueberfouer, einem lokalen Volksfest, am eigenen Stand Gromperekichelcher zubereiten – also Kartoffelpuffer. Alles ist vorbereitet, da kommt, neben einer schnell gegenwärtigen Bedrohung, der clever gelegte Hinweis auf den eigentlichen Plot: Die Kartoffelsorte, für die Kieffer sich entschieden hat, ist komischerweise fast über Nacht teurer geworden – sein deutscher Lieferant gibt sich machtlos und faselt etwas von Order und Limit. Na ja, so ist das halt, wenn etwas plötzlich gefragt ist. Dann wird alles teurer.
Besoffener Antialkoholiker auf der Schueberfouer
Die Story kommt in Fahrt, als es an Kieffers Stand plötzlich laut wird: Ein seltsamer Kerl taucht pöbelnd auf, ganz offensichtlich betrunken und von merkwürdigen Gestalten verfolgt. Er drückt Kieffers Freundin Valérie Gabin ein(en) Schlüsselbund in die Hand und eine ominöse Keycard. Am nächsten Tag ist der Pöbler tot: Selbstmord, ganz offensichtlich. Kieffer bezweifelt das – und hat neben Keycard und Schlüsselbund wieder einen Fall am Hals.
Es stellt sich heraus, dass der Tote ein Zahlengenie war, ein Herrscher über Algorithmen und Hedgefonds, fast autistisch und überzeugter Antialkoholiker. Also kann er gar nicht betrunken gewesen sein. Dieser Aron Kats hatte das Geheimnis der Finanzwelt nahezu entschlüsselt und eine Software entwickelt, mit der er den Weltmarkt im Alleingang beeinflussen kann.
Weltmarkt – das ist natürlich starker Tobak. Kieffer kommt Kats nach und nach auf die Schliche; zunächst wird er gemeinsam mit Valérie wegen derer Dickköpfigkeit in Paris überfallen – und dann lauern, wegen seiner Eigensinnigkeit, überall Gefahren. Für beide.
Krimi oder Infotainment?
Wie in den ersten beiden Büchern Kieffer überfährt Hillenbrand uns schier mit einer Vielzahl an Rechercheergebnissen. In Teufelsfrucht, dem ersten Band der Reihe, hielt er die Balance nahezu perfekt. In Rotes Gold gab es Momente, in denen die Ausführungen über die Bedrohung des Thunfischs durch internationale Machenschaften manchmal schon ermüdeten. Das passiert in Letzte Ernte auch gelegentlich – aber seltener. Was allerdings hier geschieht, und das geht eigentlich gar nicht: Hillenbrand will seine Leser bilden. Er liefert nicht einfach Hintergrundinformationen, damit beispielsweise ich als Wirtschaftslaie die Story kapiere. Nein, er zwingt mich phasenweise, einen Text mit der erotischen Kraft des FAZ-Wirtschaftsteils zu lesen. Und das ist für Leute, deren Zeitung in aller Regel aus Politik, Feuilleton und Sportteil besteht, eine wahre Zumutung. Natürlich schadet es nicht, mal etwas über Hochfrequenzhandel zu erfahren. Wer nun aber Infotainment mag, soll das kriegen – aber dann, bitte, soll das auch auf dem Cover stehen.
Nein, das ist ein bisschen zu hart. Schließlich verpackt Hillenbrand den Wust an Informationen in ganz gut gebauten Dialogen, sodass es selten oberlehrerhaft rüberkommt – aber halt nicht immer. Und dass Kieffer genauso unbeleckt ist wie ich und bestimmt viele andere Leser, kann man auch als faulen Trick brandmarken. Dafür ist die Entwicklung der Geschichte besser gelungen als in den beiden Vorgängern, und sprachlich bleibt der Autor meistens auf dem Teppich.
Vertraute Gestalten, vertraute Umgebung
Das ist das Schöne an solchen Reihen: Dass man Figuren wiedertrifft, die man ein bisschen kennt. So richtig funktioniert die Beziehung zwischen Kieffer und Valérie Gabin zwar immer noch nicht, aber ich empfand es jetzt nicht mehr als störend wie noch bei Rotes Gold. Dann ist da natürlich wieder Pekka Vatanen, der finnische EU-Beamte, der seinem Leibkoch immer wieder unter die Arme greift. Immerhin taucht eine neue Kommissarin auf.
TV-Koch-Dissing inklusive
Als etwas nervig empfand ich ein Nebengleis des Hauptstrangs: Kieffers alter Kollege Esteban, der Pampaprinz, bereitet eine Samstagabend-Show im ZDF vor – und setzt auf die Unterstützung sowohl von Kieffer als auch von Valérie. Im Verlauf dieses Strangs tauchen deutsche Spitzen- und Fernsehköche auf, wobei Hillenbrand gerade in den Dialogen und Dialektimitationen viel zu sehr auf den Putz haut. Da wäre etwas weniger wirklich mehr gewesen. Denn hier wird schnell klar, dass es sich um eine persönliche Geschichte des Autors handelt: Denen will er eins auswischen. Muss nicht sein.
Dass weniger mehr gewesen wäre, gilt auch für das überbordende luxemburgische Lokalkolorit und das permanente Aufzählen traditioneller Gerichte der Region: Natürlich will Hillenbrand dort und in der Eifel gut verkaufen, aber ganz so auffällig hätte er es nicht machen müssen.
Klingt schon wieder zu hart. Denn Letzte Ernte macht in erster Linie viel Spaß – und Lust auf einfache, aber raffinierte Küche.
Tom Hillenbrand, audio media
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