Beute / Prey
- Blessing
- Erschienen: Januar 2002
- 42
- München: Blessing, 2002, Seiten: 445, Übersetzt: Ulrike Wasel & Klaus Timmermann
- Augsburg: Weltbild, 2003, Seiten: 445
- München: Goldmann, 2004, Seiten: 445
- München: Goldmann, 2005, Seiten: 445
- Köln: Random House Audio, 2006, Seiten: 6, Übersetzt: Hannes Jaenicke
Höhepunktlose Routine nach Crichton-Billig-Schema
Das Leben des globalisierten Arbeitnehmers der Gegenwart kann schon sehr spannend sein ... Noch vor kurzem gehörte Jack Forman zu den Prinzen von Silicon Valley. Mit seinen vierzig Jahren zwar schon ein wenig zu angegraut, um mit den jugendlichen Selbstausbeutern Schritt zu halten, galt er trotzdem noch als brauchbares Arbeitspferd aufgrund seiner naturwissenschaftlichen Vorbildung. Forman koordinierte die Erstellung komplexer Programme, mit denen sich biologische Prozesse simulieren lassen. Die Erschaffung eines digitalen Ameisenstammes war schon weit gediehen, als Jack seinen Chef bei krummen Geschäften erwischte. Er verletzte den Ehrenkodex seiner Branche, als er diesen anschwärzte, wurde zur Strafe entlassen und auf eine Schwarze Liste geschäftsschädlicher Wahrheitsapostel und Spielverderber gesetzt.
Seither spielt Jack den Hausmann für seine drei Kinder und Gattin Julia, die in der Zwischenzeit als Karrierefrau bei Xymos Technologies glänzt, einer Firma, die in "molekularer Produktion" macht, was nichts anderes als die Herstellung sogenannter Nanomaschinen bedeutet - Apparate von der Größe einzelner Moleküle, so winzig, dass sie z. B. in Kameragestalt durch die Körper kränkelnder Menschen geschickt werden können, um dort vor Ort nach dem Rechten zu sehen. Allerdings ist der Stand der Technik noch längst nicht so weit, dass diese verheissungsvolle Vision Realität werden könnte. Xymos will es jetzt allerdings geschafft haben, was Jack jedoch nur bedingt mit Stolz auf seine erfolgreiche Ehefrau erfüllt. Julia benimmt sich nämlich seit einiger Zeit merkwürdig, ist schroff und abweisend zur Familie und praktisch ständig im Büro. Sie erklärt dies durch Stress in der Firma, doch Jack vermutet eine Affäre, nachdem er sie bei einigen Lügen ertappt hat.
Dass die Wahrheit auch dieses Mal irgendwo da draussen zu finden ist, merkt Jack indes erst, als sich die Ereignisse überschlagen. Xymos heuert ihn als Berater an, denn in der geheimen Fertigungsstätte der Firma in der Wüste von Nevada geht Unheimliches vor. Genialität, Gleichgültigkeit und menschliches Versagen haben hier einen digitalen Golem geschaffen: Von ungeduldigen Geldgebern unter Druck gesetzt, haben Xymos- Wissenschaftler auf dem Weg zur funktionstüchtigen Nanomaschine einige Abkürzungen genommen. Sie lassen sich bei der Produktion jener Rohmoleküle, aus denen die kleinen Wunderwerke montiert werden, durch manipulierte Bakterien unterstützen. Der Einfachheit wegen wählte man eine Spezies, die sehr gut in den Eingeweiden warmblütiger Lebewesen existieren kann. Was dabei entsteht, wissen die modernen Frankensteine selbst nicht so genau, was fatal ist, da ein ganzer Schwarm dieser seltsamen Nanomaschinen durch einen technischen Defekt ins Freie gelangte. Dort hat er nicht nur "überlebt", sondern zeigt deutlich, dass er über Intelligenz verfügt. Die einzelnen Maschinchen arbeiten als Verbund, und sie sind brandgefährlich: Xymos bastelte nämlich auch an molekülkleinem Kriegsgerät, das jetzt seine Effizienz nicht im Nahen Osten bei der Bekämpfung terroristischen Natterngezüchts, sondern in Gottes Vereinigten Staaten unter Beweis stellt ...
Wie bekämpft man einen Feind, den man nicht sehen kann? Gar nicht, wie jedermann (und jede Frau) bestätigen wird, der (oder die) wieder einmal von Schnupfenviren attackiert wurde, gegen die immer noch kein Kraut gewachsen ist. Unsichtbar bedeutet also längst nicht ungefährlich, und das ist die Prämisse, auf der Bestsellerautor Michael Crichton seinen neuen, mit Spannung erwarteten Wissenschafts-Thriller fußen lässt.
Es fängt auch gut an: als stimmiges Psychogramm eines Mannes, der sich als hoch bezahlter Spezialist stets über die Widrigkeiten des arbeitenden Pöbels erhaben fühlte, bis ihm die Rezession, vor der heute alle gleich sind, schliesslich doch ein Bein stellte. Nun liegt er verwirrt am Boden und bemüht sich, die Scherben seiner Existenz zusammenzukehren. Crichton ist boshaft und witzig genug, ihn dies politisch höchst unkorrekt als Hausmann nicht überwinden, sondern durchleiden zu lassen - der ewige, heute ängstlich unterdrückte, aber offensichtlich weiterhin präsente Albtraum des (amerikanischen) Mannes vor dem matriarchalischen Ende der Welt.
Allmählich mischen sich Vorzeichen unguten Treibens in die ohnehin brüchige Familienidylle. Wieder einmal haben Wissenschaftler Gott gespielt und sich dabei denkbar dämlich angestellt. Das scheint Crichton, der Schriftsteller, imitieren zu wollen, indem er keine Spuren legt, die sacht für Thrill und Stimmung sorgen, sondern ausnahmslos jede zukünftige Verwicklung so durchsichtig anlegt, dass noch der dümmste Leser merkt, in welche Richtung dieser (schlappe) Hase läuft. Da gibt es nicht die kleinste Überraschung, stumpf arbeitet sich der Verfasser von A nach B vor, dann weiter nach C ... und dann ist eigentlich Schluss: Sobald wir die einsame Forschungsstation in der Wüste erreicht haben, bricht die Geschichte zusammen. Man merkt förmlich, wie Crichton die Lust verliert. Öde Hollywood Routine dominiert nun die erst recht vorhersehbare Handlung. (Zur Erinnerung: Michael Crichton ist auch ein durchaus erfolgreicher Drehbuchautor und Filmregisseur, dem 1972 mit "Westworld" sogar ein ewiger Klassiker des Science Fiction-Kinos glückte.) Da wird viel gerannt und gestorben, doch daraus entstehen nur noch Leerlauf und Langeweile.
Wie immer ist Crichton den alten Sünden verfallen: Er hat nicht nur einen Roman, sondern gleich die Drehbuch-Vorlage für den bereits geplanten Film geschrieben. Normalerweise sind das zwei recht unterschiedliche Medien, aber wieso sich die Arbeit unnötig schwer machen, wenn man auch so doppelt abkassieren kann? Die zum Himmel schreiende Ungerechtigkeit, mit der Crichton seine gutgläubigen Leser oder Zuschauer ausnutzt, wird dem fassungslosen Leser offenbar, wenn er (oder sie) mit einem Finale abgespeist wird, dass an hirnloser Dürftigkeit nichts zu wünschen übrig lässt. Sinnlose Taten, dämliche Dialoge, leblose Action-Szenen - Crichton will nur noch irgendwie zum Ende kommen; er hat längst aufgegeben, dies in Würde und einigermaßen logisch zu schaffen, und schämt sich nicht einmal, früher aufwändig begonnene, dann irgendwann abgewürgte Handlungsstränge in einem angeklebten Nachwort zu "erklären".
Crichton-Sünde Nr. 2 ist das schamlose Plagiat des eigenen Werkes. Dieser Mann scheint über ein nur begrenztes schriftstellerisches Talent zu verfügen, vor allem aber unter einem gravierenden Mangel an Fantasie zu leiden. Immer wieder staubt er dieselben wenigen Ideen ab, schraubt sie in etwas veränderter Reihenfolge zusammen und meint ernsthaft, dies werde niemand merken. "Beute" ist nichts als eine Neuauflage des Crichton-Frühwerks "The Andromeda Strain" (1970, dt. "Andromeda - Tödlicher Staub aus des All"), verquickt mit der Drehbuch zum Crichton-Film "Runaway" (1984, dt. "Runaway - Spinnen des Todes"). High-Tech-gerüstete Forscher, die ihr blaues Wunder erleben, konnten (oder mussten) wir zum ersten (und besten) Mal in "Congo" (1980, dt. "Expedition Kongo") und seither immer wieder ("Sphere", dt. "Die Gedanken des Todes", natürlich in beiden "Jurassic Park"-Teilen oder in "Timeline") verfolgen.
Die desaströse Schlampigkeit der zweiten Buchhälfte lässt sich auch in der Figurenzeichnung verfolgen. Während Jack Forman als sympathischer Protagonist sorgfältig aufgebaut wird und überzeugen kann, agieren in der Wüste Nevadas ausschliesslich eindimensionale Pappkameraden. Die nanotechnisch aufgerüstete Julia ist eine reine Lachnummer, ihr Ende nicht tragisch, sondern plump auf den (Schau-) Effekt getrimmt und absolut kalt lassend.
So gibt es auch nach dem wirren "Timeline" rein gar nichts Positives oder gar Neues aus dem Crichtonversum zu berichten. Das ist im Grunde auch gar nicht nötig: Der Verfasser und seine Werke haben längst einen Status erreicht, der sie über schnöde Kritik erhebt. "Beute" hat wie jedes Buch von Michael Crichton spätestens ab "Jurassic Park" mehr mit der Wunderwelt der maßgeschneiderten Mikro-Maschinen gemeinsam, als dies auf den ersten Blick sichtbar wird. Auch dieses Werk wurde kühl am Reissbrett entworfen; schon lange, bevor es überhaupt geschrieben war, wurde es schon beworben. Sogar die Filmrechte gingen schon für eine Fantasiesumme an Hollywood, was endgültig den Status von Michael Crichton dokumentiert, der nicht einfach nur ein Schriftsteller, sondern ein ziemlich mächtiger Mann in der Unterhaltungsindustrie ist. Dabei spielen Inhalt oder gar Qualität von "Beute" innerhalb des Marketing-Konzeptes nicht die geringste Rolle: Dieses Produkt wurde weltweit als Bestseller für den Weihnachtsmarkt des Jahres 2002 entwickelt. In dieser Hinsicht hat die Branche viel von Hollywood gelernt. Dort ist man schon seit Jahren dazu übergegangen, selbst mittelprächtige Filme in möglichst hoher Kopienzahl in die Kinos zu pressen: Der erste Ansturm der Neugierigen sorgt dann für hohe Besucherzahlen, bevor die Mundpropaganda womöglich ihr kassengiftiges Werk tut.
Diese Strategie funktioniert auch auf dem Buchmarkt: "Beute" erscheint praktisch in allen Industriestaaten dieser Erde gleichzeitig. Kein niederträchtiger Kritiker aus USA kann so z. B. dem deutschen Verlag in die Suppe spucken. Daher wurden auf "Beute" auch gleich zwei Übersetzer los gelassen, um ja keine Zeit zu verlieren. Sie haben ihre Arbeit zur angenehmen Abwechslung zumindest so erledigt, dass sich das Ergebnis ohne lautes Leser-Stöhnen lesen lässt, das üblicherweise solche Hauruck-Aktionen begleitet. Womöglich überwiegt aber auch einfach die Enttäuschung über die zum Medienhype aufgeblähte Zeit- und Geldverschwendung, die dieses krude Werk darstellt.
Michael Crichton, Blessing
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