Die Schockwelle
- dtv
- Erschienen: Januar 2013
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- Helsinki: WSOY, 2010, Titel: 'Shokkiaalto', Originalsprache
- München: dtv, 2013, Seiten: 464, Übersetzt: Stefan Moster
Dich können sie töten
Die Finnen haben in der europäischen Nachkriegsgeschichte eine absolute Sonderstellung – und nicht nur dort. In politischen Thrillern aus diesem Land wird das immer wieder thematisiert: Für uns hat das etwas Exotisches, vor allem wegen der Nähe Finnlands zu Russland, geografisch wie politisch. In Die Schockwelle spielt die Vergangenheit vor Mauerfall und Zusammenbruch der UdSSR eine gewaltige Rolle. So nimmt auch der finnische Krimi eine Sonderstellung ein, vor allem im Vergleich zu seinem wesentlich erfolgreicheren Pendant, dem schwedischen.
Fast sieht es so aus, als habe sich bei den Geheimdienstleuten seit circa 1990 gar nicht so viel verändert: Wo früher Macht und Blockpolitik Antrieb zu sein schienen, sind es heute Macht und Geld. Die Gestalten sind dieselben, ihre Motive haben sich den Zeiten angepasst. Die Verbindungen stehen nach wie vor, nur der staatliche Überbau fehlt. Heute ist es, was es damals eigentlich auch schon war: organisierte Kriminalität.
Die starke Anbindung Finnlands an die Sowjetunion, die hier eine der Grundlagen für den Plot bildet, ist tatsächlich bemerkenswert:
"Finnland war für den KGB in vieler Hinsicht ein spezielles Land, eine Art Hilfsstützpunkt, wo man wesentlich leichter operieren konnte als in anderen westlichen Ländern. Abgesehen von einigen Ausnahmen schlossen die Finnen die Augen vor dem Tun der Aufklärungsoffiziere. Helsinki wurde als Transitkorridor benutzt, wenn Illegale aus aller Welt zu Besuch kamen, und in Helsinki wurden brisante Treffen organisiert, denn Finnland wagte es nicht, einem Russen ein Visum zu verweigern, ganz gleich, um wen es sich handelte. Und vor allem konnte der KGB, wie auch der Militärgeheimdienst GRU, in Finnland ohne zu zögern Offiziere stationieren, die in anderen Ländern sofort aufgeflogen wären."
Finnland als sowjetischer Vasallenstaat
Okay, das liest sich recht trocken, ist aber für das Verständnis nicht unerheblich. Unter Präsident Urho Kekkonen, immerhin von 1956 bis 1982 im Amt, hatte Finnland ein gewaltiges Demokratiedefizit: Kekkonen "betrachtete die Pflege der Beziehungen zur Sowjetunion weitgehend als seine Privatangelegenheit", heißt es bei Wikipedia.
"Reagan hatte über die Sowjetunion und die übrigen Ostblockländer eine Handelssperre für Hochtechnologie verhängt. Moskau versuchte daraufhin, über Indien und Südkorea an die notwendige Technologie heranzukommen, teils auch über die DDR, vor allem aber über Finnland. Besonders an Informationstechnologie waren die Russen interessiert."
Soweit zum Hintergrund. Jetzt zum Hauptstrang des Plots: Riku Tanner ist Spezialist für Schwerstkriminalität in Helsinki. Er hat eine besondere Vergangenheit: Sein Vater, der mit den Geheimdiensten zu tun hatte, verschwand, als Riku noch klein war; angeblich ist er tot. Riku Tanner selbst steht seit einer Weile unter enormem Druck, bei seinem letzten Fall wäre er fast in den Knast gewandert, seine Glaubwürdigkeit ist nicht sehr groß. Jetzt steht er beim Mord an einer russischen Investigativ-Journalistin mitten in Helsinki stärker im Mittelpunkt, als es ihm lieb sein kann.
Tanner on the run
Schon bald muss Tanner fliehen, nachdem er einen Mann erschossen hat – es ist das gute, alte Klischee des einsamen Wolfes, der mit falschen Papieren zwischen den Ländern pendelt und gleich von mehreren Seiten bedroht wird. Und natürlich muss Tanner auf eigene Faust ermitteln, um zu beweisen, dass er weder korrupt noch kriminell noch ein Verräter ist.
Wie Tanner nach und nach herausbekommt, wer Dreck am Stecken hat, wer mit wem verbandelt ist und wie das alles mit den alten Verbindungen zwischen finnischem Geheimdienst, KGB und Stasi zusammenhängt, ist erstklassig gemacht. Die über siebzig recht kurze Kapitel fließen spannend ineinander. Darin tummeln sich nicht nur Ex-KGB-er und alte Stasi-Betonköpfe, sondern auch korrupte Polizisten – und Energielobbyisten.
Diese Energielobbyisten gehen auf eine zynische Art und Weise vor, die hier nicht erklärt werden soll – dazu kommt der perfide, besser gesagt: ziemlich überzogene Plan zu spät zum Tragen. Hier liegt auch die einzige echte Schwäche des Krimis: Was da im ungefähr letzten Drittel passiert, ist teilweise ziemlich unglaubwürdig und konstruiert, wenn nicht sogar comichaft. Mir hätte die Geschichte um Riku Tanner genügt, das Getue um ein Atomkraftwerk, das kurz vor der Einweihung steht, macht doch einiges kaputt.
So gibt es gleich zwei Showdowns, wo einer genügt hätte. Dramaturgisch ist das zwar alles prima gelöst, aber die Phantasie des Autors geht am Ende doch etwas zu sehr mit ihm durch. Etwas kleiner, realistischer und weniger brisant wäre besser gewesen. Remes haut dann doch zu stark auf den Putz.
Übersetzt hat das Buch übrigens Stefan Moster, der in Finnland lebt und schon etliche Romane bravourös ins Deutsche gebracht hat.
Ilkka Remes, dtv
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