Wer einmal lügt

  • Der Hörverlag
  • Erschienen: Januar 2013
  • 4
  • New York: Dutton, 2012, Titel: 'Stay close', Seiten: 387, Originalsprache
  • München: Der Hörverlag, 2013, Seiten: 2, Übersetzt: Detlef Bierstedt, Bemerkung: MP3
Wer einmal lügt
Wer einmal lügt
Wertung wird geladen
Marcel Feige
33°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2012

Thriller, die besser verschwunden bleiben

Glaubt man einschlägigen Statistiken, zum Beispiel bei Wikipedia, werden allein in Deutschland täglich zwischen 150 und 250 Personen als vermisst gemeldet.

In den USA ist die Zahl verschwundener Menschen ungleich höher: 2011 musste das FBI eigenen Angaben zufolge 678.860 Menschen in die Liste verschwundener Leute aufnehmen, das sind knapp 1.859 täglich. Andere Quellen gehen sogar von 2.300 vermissten Amerikanern pro Tag aus.

Zugegeben: Ein Großteil der Verschwundenen taucht früher oder später wieder auf oder wird von den Behörden aufgefunden, die meisten sogar quicklebendig.

Eine gewisse Anzahl der Vermissten bleibt allerdings verschwunden. Unklar, ob sie irgendwo ein neues Leben begonnen haben oder Opfer eines Verbrechens wurden – sie sind für immer wie vom Erdboden verschluckt.

So wie zum Beispiel Stewart Green, der vor 17 Jahren nicht nur dem Sündenpfuhl Atlantic City, sondern auch seiner Familie den Rücken kehrte. Von einer Nacht auf die andere brannte er mit der Stripperin Cassie auf Nimmerwiedersehen durch, zumindest deutet alles darauf hin.

Seit dem sind also 17 Jahre vergangen, in denen – geht man von der offiziellen FBI-Statistik aus – täglich 1.859 Menschen verschwunden und etliche davon sogar spurlos verschwunden geblieben sind.

17 Jahre, in denen nicht nur Stewarts Greens Ehefrau Jahr um Jahr verbitterter wurde, was man verständlicherweise nachvollziehen kann. Sondern auch der in diesem Vermisstenfall ermittelnde Detective Broome keine Ruhe fand, was man allerdings weniger nachvollziehen kann, denn es gab rein gar nichts, was in dem Verschwinden von Ehemann und Stripperin auf ein Verbrechen oder gar Mord hinwies.

Doch nach 17 Jahren, ich wiederhole: nach 17 Jahren!, in denen also laut FBI-Statistik jedes Jahr tausende anderer Frauen und Männer spurlos verschwunden sind, ist es ausgerechnet das Verschwinden des Lebemanns Carlton Flynn, der wohlgemerkt in keinerlei Verbindung zu Stewart Green oder zur Stripperin Cassie stand, der Broomes Aufmerksamkeit weckt. Wieso? Weshalb? Warum? Keine Ahnung, aber Broome denkt sich: Verdammich, wenn da mal nicht ein Zusammenhang besteht.

Harlan Coben wäre nicht Harlan Coben, wenn er es erstens nicht komplizierter und zweitens noch unglaubwürdiger machen würde: Denn Cassie ist tatsächlich nicht mit Stewart Green durchgebrannt, hat sich aber, nachdem sie unschöne Dinge miterleben musste, ein neues Leben aufgebaut. Seit 17 Jahren lebt sie als Megan Pierce mit nichtwissendem, aber treusorgendem Ehemann und zwei Kindern irgendwo in einer Vorstadt.

Ihre Tochter befindet sich in der Pubertät, was das Leben für Megan etwas, naja, sagen wir mal, anstrengend macht, weswegen sie sich – und jetzt’s kommt! – nach 17 Jahren plötzlich, von jetzt auf gleich, Knall auf Fall, nach ihrem alten Leben zurücksehnt: Clubs, Partys, heißer Sex. Diese sind für sie zwar seit 17 Jahren unauslöschlich mit Mord und Totschlag verbunden, denen sie für immer entfliehen wollte, aber trotzdem unternimmt sie einen Abstecher nach Atlantic City, nur ganz kurz, wie sie sich schwört.

Doch damit, wir ahnen es, beginnen erst die Probleme, denn in Atlantic City ermittelt ja wieder Detective Broome in der alten Vermisstensache ...

Es gab eine Zeit, da hat Harlan Coben den Krimimarkt mächtig aufgemischt: Kein Sterbenswort, Kein Lebenszeichen oder Kein böser Traum waren natürlich keine literarische Feinkost, aber Thriller mit so vielen überraschenden Wendungen wie Buchseiten. Zwar nahm der US-Autor es dabei mit der Logik nicht immer ganz genau, aber drückte derart aufs Tempo, dass man – ob man wollte oder nicht – von dem Sog der Geschichte mitgerissen wurde.

Irgendwann hat Coben die Masche seiner Bestseller jedoch totgeschrieben: Immer verschwand bei ihm irgendjemand spurlos (und wurde für tot erklärt), weswegen ein anderer, meist ein Angehöriger, ein paar Jahre später in Schwierigkeiten geriet, so dass er alles, was er bis dahin geglaubt hatte, neuüberdenken musste. Am Ende stand dann der vermeintlich Verstorbene mit einer hanebüchenen Entschuldigung wieder vor der Haustür.

Und hanebüchen sind die letzten Thriller von Coben allesamt, Wer einmal lügt ist ein neuerliches Beispiel dafür.

Woran nicht einmal die Ideen Schuld tragen, die Coben seinen Geschichten zugrunde legt – sie könnten durchaus funktionieren (obschon der immergleiche Plot um verschwundene Frauen, Männer oder Kinder auf Dauer nicht wirklich von Originialität zeugt). Dass sie trotzdem nicht zünden, liegt am Autor selbst, der mit zunehmendem Output jegliche Liebe zu seinen Figuren und – ganz wichtig – ihrer Motivation vermissen lässt.

Logische Löcher verzeiht man Coben gerne, wenn seine Charaktere glaubwürdig agieren. Handeln sie jedoch grundlos oder aus unverständlichen Gründen, können sie auch den miesesten Plot nicht mehr rausreißen. Dann folgt man als Leser nur noch kopfschüttelnd der Geschichte. Wenn man ihr denn überhaupt folgen mag.

Wer einmal lügt

Harlan Coben, Der Hörverlag

Wer einmal lügt

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Wer einmal lügt«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren