Der Tote trägt Hut
- Goldmann
- Erschienen: Januar 2013
- 4
- New York: Minotaur, 2011, Titel: 'Killed at the whim of a hat ', Seiten: 374, Originalsprache
- München: Goldmann, 2013, Seiten: 460, Übersetzt: Jörn Ingwersen
Toller Start in eine neue Reihe
Die Reihe, die Colin Cotterill um den unvergesslichen Dr. Siri Paiboun schuf, hat viele Leute begeistert: "Auf genau diese Bücher wartet man" so begann Lars Schafft die Rezension des ersten Buches, das den deutschen Markt mit ein paar Jahren Verspätung erreichte. Sechs Bände sind es in relativ kurzer Zeit geworden bisher, ganze drei sind bei uns noch gar nicht erschienen. Auch seine immerhin fünf Stand-Alones warten noch auf ihre deutsche Veröffentlichung. Da kann noch einiges kommen. Da stimmt der Satz also im Wortsinn: Auf genau diese Bücher wartet man.
Leicht, locker, listig
Es genügt eigentlich schon, sich die User-Kommentare auf der Krimi-Couch anzusehen: "Leicht, locker, listig geschrieben, sarkastisch", "herrlich", "ein wahrer Glücksgriff", "absolut empfehlenswert" eher selten findet sich so etwas: "Ich fand das Buch nach all den Lorbeeren hier sehr enttäuschend". Manchen waren die verrückten, oft von Situationskomik geprägten Geschichten dann doch zu weit weg vom Genre des Kriminalromans.
Nun erschien im Sommer dieser Roman hier bei uns, der eine nächste Reihe eröffnet. Protagonistin ist die Mittdreißigerin Jimm Jeree, deren Karriere als Polizeireporterin einer thailändischen Zeitung schwer ins Stocken gerät. Einen Teil der Schuld daran trägt ihre überaus skurrile Familie vor allem die Mutter Mair, die gern mal für die komplette Familie entscheidet. Auch der Rest ist nicht ohne:
Am einen Ende des Küchentisches saß meine Schwester Sissi, die früher mein älterer Bruder Somkiet gewesen war. Den Platz am anderen Ende des Tisches nahm mein Bruder Arny ein. Er war das, was man allgemein als Bodybuilder bezeichnete, und heute Abend spannte sich das T-Shirt derart stramm über seine Muskeln, dass es wie aufgemalt aussah.
Das vermeintliche Karriereende wird zur großen Chance
An jenem Abend erfährt Jimm, dass ihre Mutter alles verkauft hat, weil sie "in eine zauberhafte Ferienanlage im Süden investiert" hat:
Mair leuchtete vor Stolz. "Wir werden es ganz bestimmt wundervoll haben. Ein Traum wird wahr."
Es war einer dieser Träume, die man bekommt, wenn man kurz vorm Schlafengehen scharf gewürztes Hoor Mok mit klebrigem Reis isst. Ich spürte den Knoten direkt. Im Süden? Im Süden sprengten sich die Leute gegenseitig in die Luft. Alle flohen nach Norden, aber wir sollten in den Süden ziehen.
"Wie weit südlich?", frage ich.
"Ziemlich weit", sagte sie.
Es ist das Ende für Jimm und ihre Karriere, das ist ihr sofort klar. Aber sie geht mit; der Familienverbund schlägt alles. Und natürlich ist es nicht das Ende. In Gegenteil. Für sie, für ihre Sippschaft und für uns beginnt das Abenteuer im unwirtlichen Süden erst richtig. In diesem Provinznest, das Jimm von ganzem Herzen verabscheut.
Schnell hat sie einen Fall, über den sie berichten kann auch weil sie sich als Koryphäe aus dem Norden aufspielt, die angeblich nur des Falles wegen in den Süden gekommen ist zu diesen minderbemittelten, bedauernswerten Geschöpfen. Der Fall ist so abgedreht, wie man es von Cotterill erwarten darf: Im Garten des alten Mels wird ein VW-Bus ausgegraben mit zwei Skeletten drin samt Hüten. Kurz danach geschieht ein Mord, von dem sie durch die Unbedarftheit eines Polizisten erfährt. Jimm ahnt einen großen Coup und klemmt sich dahinter.
Witzige Figuren, starke Dialoge, überraschende Wendungen
Mit Jimm Juree hat Cotterill eine Figur geschaffen, die leichter greifbar ist als Dr. Siri, weniger verschroben und offener das erleichtert die Identifikation. Und er hat ihr eine wirklich verrückte Familie verpasst, an die man sich im Laufe der Geschichte so sehr gewöhnt, dass sie als völlig normal durchgeht. Mitunter ignoriert der Autor allerdings das Risiko, dass die ungewöhnliche Sippe nicht nur der Journalistin, sondern auch der Leserschaft auf die Nerven geht aber er haut selten übers Ziel hinaus.
Was immer wieder sehr schön ist: Cotterill lässt Jimm plaudern, schimpfen, fluchen, mit sich ringen und über andere herziehen. Das ist oft herrlich politisch unkorrekt nicht nur die Menschen im Süden Thailands bekommen das zu spüren, auch Einwanderer wie Birmanen, "die alle auf der Straße laufen, als gäbe es in Birma keine Bürgersteige. Und sogar Deutsche.
So ist Der Tote trägt Hut ein großer Spaß mit überaus witzigen und bemerkenswerten Figuren, die oft gleichzeitig liebenswert und schrecklich sind. Die Dialoge sprühen vor Humor und Echtheit, die Geschichte überrascht mit ausgeklügelten Wendungen. Nur gelegentlich driftet der Roman etwas in Geschwätzigkeit ab.
Eine Nebenrolle nimmt übrigens George Walker Bush ein: Allen Kapitelanfängen steht ein Zitat des ehemaligen US-Präsidenten voran. Mein Lieblingszitat bezieht sich zwar nicht auf Thailand, dafür auf ein anderes asiatisches Land: "Seit nunmehr anderthalb Jahrhunderten bilden Amerika und Japan eines der großen, verlässlichen Bündnisse moderner Zeiten." Das sagte er 2002 in Tokio. In diesem Buch gibt es eine Menge Leute, die himmelschreibenden Mist erzählen. Aber der wahre Trottel, so wohl das Anliegen von Cotterill, ist der Mann, der für die Kapitelüberschriften sorgt. Ein schöner Trick, blödsinnige Aussagen kleiner Lichter zu relativieren.
Jetzt wird es Zeit, dass der zweite Band kommt, der im Original Grandad, There's a Head on the Beach heißt. Hoffentlich wieder in einer flüssigen, tollen Übersetzung von Jörn Ingwersen. Wie gesagt: Auf solche Bücher wartet man.
Colin Cotterill, Goldmann
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