Landgericht

  • Piper
  • Erschienen: Januar 2013
  • 2
  • München: Piper, 2013, Seiten: 320, Originalsprache
Wertung wird geladen
Andreas Kurth
65°1001

Krimi-Couch Rezension vonDez 2012

Abgründe hinter bürgerlichen Fassaden

Hauptkommissar Bernhard Hambrock hat von endlosen Ermittlungen und Überstunden die Nase voll und möchte endlich mal ein paar freie Tage genießen. Vor dem Landgericht muss er noch in einem Prozess gegen drei junge Männer aussagen, die auf dem Bahnhof von Gertenbeck einen Studenten aus gutem Hause scheinbar grundlos zu Tode geprügelt haben. Es gab genug Zeugen, sogar ein Handy-Video mit den flüchtenden Tätern. In Rückblenden wird parallel dazu berichtet, wie der getötete Marius Bahr die letzten Tage seines Lebens verbracht hat. Leser und Ermittler brauchen einige Zeit, um festzustellen, dass es offenbar doch noch ungelöste Fragen bei diesem Mordfall gibt.gHambrock wird durch eine zufällige Beobachtung vor dem Gericht zu erneuten Ermittlungen veranlasst, und bekommt schnell Zweifel daran, dass die ursprünglichen Resultate seiner Nachforschungen die Wahrheizt tatsächlich ans Licht gebracht haben.

Stefan Holtkötters Serie um den Münsteraner Hauptkommissar Bernhard Hambrock ist wirklich lesenswert. Der neue Band "Landgericht" gehört jedoch eindeutig zu den schwächeren in dieser Reihe. Während der Autor in "Bauernjagd" und insbesondere im Roman Düstermühle Land und Leute treffend beschreibt und die Sozigraphie eines Dorfes im Münsterland trefflich in seine Geschichte einfließen lässt, könnte Landgericht auch in Mecklenburg-Vorpommern oder sonst irgendwo in der Republik spielen. Das nimmt diesem Band der Reihe die prägende Charakteristik. Hinzu kommt, dass der neue Roman in meinen Augen nicht annähernd so spannend ist wie die Vorgänger.

Dennoch lohnt es sich, das Buch zu lesen, denn hier werden Protagonisten und ein Plot geboten, die auch bei mangelnder Spannung für ausreichende Faszination sorgen. Marius Bahr wird zwar gleich zu Anfang getötet, aber in dem rückblickenden Erzählstrang lernt der Leser den verzweifelten jungen Mann Stück für Stück kennen. Zum Zeitpunkt seines Todes sah er sein bisheriges Leben in Trümmern liegen, und ganz langsam zeigt sich, warum das so war. Sein tyrannischer Vater leitet Familie und Firma mit eiserner Hand, duldet dabei nicht den Hauch eines Widerspruchs. Marius ist dadurch völlig überfordert, insbesondere neben seiner durchsetzungsstarken Schwester Nicole wirkt er in geschäftlichen Dingen mehr als hilflos. Die wiederum kann es kaum ertragen, dass ihr vom traditionsbewussten Vater der offensichtlich in unternehmerischen Dingen unfähige Bruder vor die Nase gesetzt wird. Es ist ein klassischer Konflikt, der in dieser zutiefst bürgerlichen Unternehmer-Familie unter der Oberfläche schwelt. Die jüngeren und vordergründig unscheinbaren Brüder Roland und Nils komplettieren das seltsame Geschwister-Quartett.

Die Charaktere sind gut ausgearbeitet und entschädigen durchaus für die eher mangelhafte Spannung. Da wird gefühllos und überheblich wie blind um sich gebissen, und nur der Wille des Patriarchen hält die Familie noch irgendwie zusammen. Neben der absoluten Verlogenheit dieses "Familienlebens" wird auch der unterschwellige und zuweilen sogar offene Rassismus einiger Protagonisten thematisiert. Diese thematische Konstellation wird von Stefan Holtkötter gewohnt flüssig und gut lesbar erzählt. Entstanden ist so eine komplexe Geschichte, die zwar nur mäßig spannend, aber dennoch für den Leser durchaus fesselnd und interessant ist. Immerhin gibt es einige unvorhergesehene Wendungen, und das Ende ist durchaus überraschend, auch wenn man früh ahnen kann, aus welchem Umfeld der tatsächliche Mörder kommt. Beim nächsten Hambrock-Krimi darf der Autor dann gerne wieder "eine Schippe" drauflegen.

Landgericht

Stefan Holtkötter, Piper

Landgericht

Deine Meinung zu »Landgericht«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren