Der Nachtwandler
- Droemer Knaur
- Erschienen: Januar 2013
- 57
- München: Droemer Knaur, 2013, Seiten: 352, Originalsprache
Was passiert, wenn nachts das Licht ausgeht?
Leon Nader ist ein junger Architekt. Beruflich und privat durchaus erfolgreich, bis er eines Morgens eine seltsame Begegnung mit seiner Frau Nathalie hat. Leon wacht vermeintlich aus dem Schlaf auf und sieht, wie sie – körperlich und seelisch lädiert - ihre Koffer packt und die gemeinsame Wohnung verlässt. Er läuft ihr zwar hinterher, kann sie jedoch nicht aufhalten. Für Leon beginnen mit diesem plötzlichen Verschwinden seiner Frau einige Tage voller Grauen und Verzweiflung. Als junger Mensch litt er unter seinen Anfällen als Schlafwandler, denn offenbar wurde er bei seinen nächtlichen Ausflügen durchaus auch gewalttätig. Sein damaliger Psychiater hatte ihn als geheilt bezeichnet, aber einige Vorfälle und Entdeckungen lassen ihn nun erheblich zweifeln. Er fragt sich, ob er im Schlaf wieder seltsame Dinge treibt, und für den Zustand seiner Frau verantwortlich ist. Eine Spezial-Kamera, die Leon auf dem Kopf trägt, soll ihm bei der Aufklärung der Rätsel helfen. Als er hinter seinem Schlafzimmerschrank den Eingang zu einem versteckten Labyrinth findet, beginnt für Leon ein schier auswegloser Alptraum.
Sebastian Fitzek hat bei seinem neuen Psychothriller Der Nachtwandler ziemlich tief in die Werkzeugkiste des routinierten Erzählers gegriffen, und sich damit nicht nur Lob eingehandelt. Etliche Leser monieren, dass der Berliner zu schnell neue Bücher schreibt, dabei zu wenig Sorgfalt walten lässt, und so das Niveau der Romane sinkt. Zunächst einmal ist mir der Vorwurf, dass ein Autor nichts Neues bringt, etwas zu billig. Romane, in denen nur Dinge passieren, die es bisher nicht gegeben hat, sind doch recht seltene Perlen. Irgendwie hat man als Vielleser doch ständig das Gefühl, das eine oder andere schon mal gelesen zu haben. Ein seltsames Haus mit geheimen Türen und einem versteckten Labyrinth gehört sicher dazu, Edgar Allan Poe lässt grüßen.
Und dann die alte Frau mit ihrer Katze, ein überaus merkwürdiger Postbote und der Psychiater mit seinem vermeintlichen Doppelspiel. Alles nicht wirklich neu, aber in meinen Augen durchaus stimmig komponiert und gut in die Geschichte eingepasst. Und natürlich einige Menschen, die plötzlich verschwinden und irgendwie wieder auftauchen. Das sind Elemente, die in viele Psychothrillern auftauchen können, ebenso wie die Themen Kontrollverlust und dunkle Schatten aus der Vergangenheit. Daraus zu schließen, dass Sebastian Fitzek seine Bücher weniger sorgfältig schreibt, ist für mich eine gewagte Schlussfolgerung.
Die Nachbarin mit der schwarzen Katze trägt den Namen Ivana Helsing – natürlich denkt man da an den Vampirjäger. Und die Alte raunt herum, dass es in dem Haus nicht mit rechten Dingen zugeht. Das sorgt schon für Gänsehaut-Feeling, und solche Anspielungen sind in meinen Augen durchaus legitim. Der Verlust jeglicher Kontrolle über Raum und Zeit bei Leon Nader wirkt nicht zu konstruiert, sondern gibt in meinen Augen tiefe Einblicke in eine zutiefst verstörte Psyche. Der Protagonist findet auf seinem eigenen Handy Fotos seiner Frau. Nathalie wurde bei sado-masochistischen Sexpraktiken offenbar übelst zugerichtet. Da ist es kein Wunder, wenn der junge Mann immer tiefer in die Verzweiflung getrieben wird.
Die kryptischen Andeutungen seiner Nachbarin passen hervorragend in die Geschichte, sorgen für weitere Verwirrung und bringen neue Dynamik in die Handlung, die spannend und stimmig erzählt wird. Zuweilen trägt Sebastian Fitzek etwas dick auf, aber das ist im Grunde kein neues Phänomen bei diesem Autor. Es handelt sich hier schließlich um Spannungsliteratur, und man mag Fitzek einiges vorwerfen, aber sicherlich nicht, dass seine Romane nicht spannend genug sind. Die hier und da auftauchenden Stolperer in der Sprache mag man dem Autor durchaus verzeihen, und die Schilderungen derber Brutalität sind ohnehin Geschmackssache. Fitzek-Romane sind in aller Regel nichts für zarte Gemüter, das gilt ganz sicherlich auch für Der Nachtwandler.
Etwas zwiespältig ist für mich das Ende des Buches, deshalb habe ich meine Bewertung auch gegenüber der ursprünglichen Note etwas herab gestuft. Man kann das Finale als offenes Ende betrachten. Oder als krönenden Abschluss. Das möge jeder Leser nach der Lektüre für sich entscheiden. In jedem Fall ein lesenswerter, gut erzählter Thriller – perfekt für ein langes Wochenende oder eine einzige Nacht vor dem Kamin. Denn einschlafen wird zum Risiko.
Sebastian Fitzek, Droemer Knaur
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