Der Architekt
- Knaur-Taschenbuchverlag
- Erschienen: Januar 2012
- 9
- Berlin: Knaur-Taschenbuchverlag, 2012, Titel: 'Der Architekt', Seiten: 384, Originalsprache
Psycho-Duell mit ungewissem Ausgang
Julian Götz ist ein Architekt, der mit seinen Bauten über die Jahre das Bild der deutschen Hauptstadt mitgeprägt hat. Seine Bauten haben Berlin verändert, und er selbst ist überzeugt, dass Architektur auch den Menschen prägen und verändern kann. Als seine Frau Christine und seine beide Töchter eines Nachts ermordet werden, hat Götz kein Alibi und landet im Gefängnis. Der Prozess gegen den bekannten Architekten ist ein gefundenes Fressen für die Medien, und auch der junge Drehbuchautor und Journalist Ben Lindenberger sitzt tagelang im Gerichtssaal, um die Vernehmungen zu verfolgen. Er sieht in dem Verfahren eine große Chance für seine Karriere. Mit einem Buch über Götz und den Mord an seiner Familie will er in die Riege der Bestseller-Autoren aufsteigen. Seine Nachforschungen führen ihn zu Familie von Julian Götz und in ihm völlig unbekannte Kreise. Er gerät schnell in einen Kreislauf von Geheimnissen, Machtgier und perfiden Intrigen. Zeitgleich erfährt der Leser in eingestreuten Erzähl-Stücken, wie Mia, eine junge Frau, in ein Gebäude gelockt wurde, aus dem sie nicht mehr entkommen kann. Rätselhafte Menschen und undurchschaubare Vorgänge machen das fensterlose Haus zu einer Hölle für sie – und es scheint keinen Ausweg aus diesem Labyrinth zu geben, das offensichtlich die Menschen verändert.
Wer Der Architekt von Jonas Winner zur Hand nimmt, muss Geduld mitbringen und sich auf ein ungewöhnliches Buch einlassen. Der Autor braucht so einige Seiten, bis er sein Szenario komplett aufgebaut hat, aber dann geht eine eigentümliche Faszination von der Geschichte aus. Eindringlich schildert der Autor die merkwürdige Atmosphäre im Gerichtssaal. Durch die Befragungen des Angeklagten und der Zeugen erlebt der Leser den Dreifach-Mord nachträglich mit, wodurch sich erst ganz langsam ein Bild von den blutigen Ereignissen im Haus von Julian Götz zusammenfügt. Ebenso wie Ben Lindenberger ist man sich als Leser lange Zeit völlig unsicher, was man von dieser Geschichte halten soll. Es läuft darauf hinaus, ob man dem gefeierten Architekten einen derart brutalen Mord zutraut – oder eher nicht.
Und dann prägen die Gespräche zwischen Götz und Lindenberger die Handlung. Hier treffen zwei völlig unterschiedliche Charaktere aufeinander, und schnell wird deutlich, dass die Frage, wer hier wen instrumentalisieren könnte, lange Zeit unentschieden bleiben wird. Der Architekt ist besessen von seiner Arbeit, und man erfährt, dass er schon früh mit extremen Formen der Architektur und der Gestaltung experimentiert hat. Er will Menschen durch seine Bauten beeindrucken, manipulieren, formen. Das geht so weit, dass es pathologische Züge annimmt. Ist so jemand auch bereit und in der Lage, in einem Blutrausch seine komplette Familie auszulöschen? Eine Frage, die den jungen Drehbuchautoren und den Leser gleichermaßen beschäftigt.
Und Lindenberger. Zweifellos auch eine außergewöhnliche Figur. Scheinbar leicht zu beeinflussen, vor allem von Frauen. Und doch in seinen Handlungen zielorientiert. Seine Gespräche mit Götz sind durchaus ein Lesegenuss, auch wenn es irgendwann vorhersehbar wird. Aber auch die sonstigen Psycho-Spielchen, denen der ehrgeizige Journalist ausgesetzt ist, haben hohen Unterhaltungswert.
Irgendwann taucht die Frage auf, wer in diesem ganzen Szenario eigentlich Akteur und wer nur Mitläufer ist. Die Frage bleibt lange unbeantwortet, und ich werde sie sicherlich nicht auflösen. Zum Finale hin, also im letzten Drittel, wird das Buch enorm spannend. Die Geister bei Lesern und Rezensenten dürften sich an zwei Dingen scheiden. Zum einen ist es wirklich gewöhnungsbedürftig, die Erlebnisse der Mia zu verfolgen und einzuordnen, weil bis kurz vor Schluss der Zusammenhang nicht mal im Ansatz deutlich wird. Aber das ist wohl von Jonas Winner durchaus so gewollt.
Zum anderen ist der Schluss des Romans derart ungewöhnlich, dass ich auch erst darüber nachdenken musste, wie ich das eigentlich finde. Da muss wohl jeder die Geduld aufbringen, und das Buch bis zum Ende lesen, um zu einer abschließenden Meinung zu kommen. Der Architekt ist in jedem Fall unterhaltsam und lesenswert, auch wenn es phasenweise anstrengend war. Ob ich diese Art von Plot häufiger lesen möchte – darüber muss ich noch länger nachdenken.
Jonas Winner, Knaur-Taschenbuchverlag
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