Totenzimmer
- Tropen
- Erschienen: Januar 2012
- 7
- Kopenhagen: Gyldendal, 2010, Titel: 'Døderummet', Seiten: 329, Originalsprache
- Stuttgart: Tropen, 2012, Seiten: 333, Übersetzt: Günther Frauenlob
Eine neue Reihe mit einer ungewöhnlichen Heldin
Gerichtsmedizinerinnen in Kriminalromanen sind nicht mehr "in". Das liegt nicht an dieser doch faszinierenden Profession sui generis, sondern mehr an der Tatsache, dass der Buchmarkt in den letzten Jahren mit Gerichtsmedizin-Romanen geradezu überschüttet wurde, und auch daran, dass die bekanntesten Schöpferinnen dieser Gattung an einem kreativen Burn-out zu leiden scheinen. Ob nun Kathy Reichs, Patricia Cornwell oder Tess Gerritsen – ihre schnittfesten Heldinnen sind nicht mehr die Publikumsmagneten, die sie einmal waren. Das mag auch daran liegen, dass sie zu konventionell gestrickt und zu berechenbar waren, als dass man länger von ihnen lesen möchte. Unkonventionelle Heldinnen wie zum Beispiel Carol O' Connells Kathy Mallory oder Christine Lehmanns Lisa Nerz sind sicherlich gewöhnungsbedürftig, ihr Handeln nicht immer nachvollziehbar, was durchaus auch nerven kann, aber eins sind solche Figuren nie: langweilig.
Schon Ende der 1990er Jahre hatte die dänische Autorin Susanne Staun eine ungewöhnliche Protagonistin am Start – Fanny Fiske, eine überaus kompetente, Männer verschlingende Profilerin. Leider wurde ihr aus verschiedenen Gründen nicht die Aufmerksamkeit zuteil, die sie verdient hätte. Nur der erste (Die Signatur des Todes, dtv 2002) der fünf bisher erschienenen Romane wurde ins Deutsche übersetzt.
Mit Totenzimmer nimmt Susanne Staun einen zweiten Anlauf, um auf dem deutschen Büchermarkt Fuß zu fassen, und ihre Erfolgsaussichten sind diesmal deutlich besser. Der Plot ist abwechslungsreich und spannend und wie die einleitenden Worte des Rezensenten schon vermuten lassen, setzt die Autorin für ihre neue Reihe auf eine Gerichtsmedizinerin.
Maria Krause, Ende 40, wird stellvertretende Leiterin des Rechtsmedizinischen Instituts im verschlafenen Odense. Auf diese Stelle hat sie sich beworben, um ihrer engsten Freundin Nkem nahe zu sein. Diese, eine aus Nigeria stammende Chemikerin, war zuvor an diese Einrichtung gewechselt. Die Eingewöhnung an ihrem neuen Arbeitsplatz fällt Maria nicht leicht, trifft sie doch auf eine Riege verknöcherter alter Männern, ihr beleibter Chef hält sich gar für einen unwiderstehlichen Casanova und macht unmissverständliche Avancen, was innerhalb der Belegschaft für böses Blut sorgt.
Nach einem Jahr hat Dr. Krause die meisten Klippen umschifft und aufgrund ihrer fachlichen Kompetenz die Anerkennung der Kollegen erlangt. Während eines Bereitschaftswochenendes wird Maria eines Nachts an den Fundort einer Leiche außerhalb von Odense gerufen. Die junge Frau ist von zahlreichen Messerstichen geschändet. Am Hals sind deutliche Würgemale zu erkennen. Auffällig ist dabei ein verschwommen-rosafarbener Abdruck wie von einem Handschuh, den Maria sofort mit ihrem ersten Fall in Odense in Verbindung bringt. Die Opfer haben zudem einige Gemeinsamkeiten und der Modus operandi ist in beiden Fällen gleich. Die Ermittler rechnen mit dem Schlimmsten – einem Serienmörder.
Ein Solcher stellt sich gleich zu Anfang dem geneigten Leser vor. In Form eines Tagebuchs schildert er seine Kindheit und Jugendzeit, erzählt von seinem Hass auf den dominanten Vater und seiner sexuellen Beziehung zu seiner unterwürfigen Mutter. Seine Gier nach Macht und Kontrolle artikuliert sich in ersten Übergriffen auf leichte Opfer in seinem Umfeld. Doch seine Beutegier scheint unstillbar, er schließt sich perversesten Jagdgesellschaften an.
Bisher hört sich alles nach einem "normalen" Serienmörder-Krimi an, was auch weitestgehend zutrifft, wäre da nicht Dr. Maria Krause mit ihren Eigenarten. Eine Frau, die von sich selbst sagt, in ihrem Kopf wären einige Schrauben locker. Im Alter von neunzehn hat Maria aus einem traumatischen Ereignis eine verstörende Erkenntnis gezogen, (auf das der Rezensent aus Gründen der Verschwiegenheit nicht näher eingehen kann). Infolge der Maria eine sonderbare sexuelle Vorliebe entwickelt, über die jeder "Normalo" verständnislos den Kopf schütteln wird, die Maria in höchste Not bringen kann. Glück für sie, dass sie sich hundertprozentig auf ihre bodenständige Freundin Nkem verlassen kann.
Überfliegt man die Leserkommentare auf einem anderen Portal, kann man feststellen, dass es vielen Lesern schwerfällt, mit Typen wie Maria Krause warmzuwerden. Anormale sexuelle Präferenzen und Wahnvorstellungen sind nicht dazu angetan, sich mit dieser Person zu identifizieren. Selbst eine Tolerierung fällt nicht leicht. Man bedenke, dass sich Maria ihrer Eigentümlichkeiten bewusst ist, ihre sexuellen Eskapaden freiwillig durchzieht und an ihren Fantasiebildern arbeitet. Zudem ist sie eine Frau, die sich nicht in das Korsett ihres Berufes zwängen lässt, sondern tatkräftig bei den Ermittlungen mitmischt.
Der Rezensent freut sich auf jeden Fall über diese originelle Heldin, die sich recht bizarr von den grauen Mäusen abhebt, die sonst so an den Obduktionstischen stehen. Maria Krause ist eine Figur mit viel Entwicklungspotenzial in welche Richtung auch immer.
Susanne Staun, Tropen
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