Nibelungenmord
- Knaur
- Erschienen: Januar 2011
- 2
- München: Knaur, 2011, Seiten: 383, Originalsprache
Frauen-Hass und Jugend-Liebe
Kriminalhauptkommissar Jan Seidel und seine Kollegen von der Mordkommission in Königswinter haben einen mysteriösen Fall zu lösen. In einer entlegenen Höhle im Siebengebirge hat man die Leiche einer Frau gefunden, die offensichtlich gewaltsam getötet wurde. Zeitgleich ist die Ehefrau eines ortsansässigen Notars unter mysteriösen Umständen verschwunden. Eigentlich wollte sie ihren Geburtstag feiern, aber eine Hausangestellte findet das Fenster ihres Schlafzimmer offen vor – von der Frau keine Spur. Künstlerin Romina Schleheck, die am Ortsrand von Königswinter ein verwunschenes Fachwerkhaus bewohnt, gerät in das Visier der Polizei. Denn sie ist die Geliebte von Michael Sippmeyer, dem Ehemann der Vermissten. Zwar stellt sich bald heraus, dass die Tote in der Höhle nicht Sippmeyers Ehefrau ist – aber nun steht die Polizei vor einem doppelten Rätsel. Zu allem Überfluss hat Jan Seidel auch noch mit familiären und höchst persönlichen Konflikten zu kämpfen, was die schwierigen Ermittlungen nicht gerade leichter macht.
Nach zahlreichen Kurzgeschichten hat die zweifache Trägerin des Friedrich-Glauser-Preises mit Nibelungenmord ihren ersten Roman vorgelegt. Mit dem Titel des Romans macht Judith Merchant gleich deutlich, wo ihre Geschichte angesiedelt ist. Weitaus geschickter als viele andere Autoren so genannter Regional-Krimis baut sie die Sagen aus dem Siebengebirge gut in ihre Geschichte ein. Künstlerin Romina Schleheck hat nämlich nach einer Schaffenskrise ihre eigenen Siegfried gefunden. Rechtsanwalt Michael Sippmeyer wird von Merchant als echter Beau beschrieben, bei dem die Damen nur so dahin schmelzen. Umso mehr ist er auf gesellschaftliche Konventionen bedacht, niemand soll von seinem außerehelichen Verhältnis etwas erfahren. Sippmeyer ist der typische feige Spießer, der von den süßen Früchten genießen möchte, ohne dafür gerade stehen zu müssen. Schleheck ist dagegen eine Künstlerin, wie man sie sich gerne vorstellt. Kreativ, mit lang anhaltenden Krisen, die aber auch für ihr tägliches Brot ungeliebten Kitsch herstellen muss.
Man kann sicherlich darüber streiten, ob der Rahmen für die Krimi-Handlung nicht ein wenig zu überladen ist. Da wird die Frage aufgeworfen, ob der Kampf von Ehefrau und Geliebter um den strahlenden Siegfried eskaliert sei? Die eine soll Brünhild repräsentieren, die andere Kriemhild – die Rivalinnen aus der Nibelungen-Sage. Aber durch die Verbindung mit den Bildern und eingebettet in die Beziehung der Kinder zueinander wird die ganze Geschichte wirklich rund gemacht. Zumal sich auf der Ebene darunter, bei den Kindern der Getöteten und der Vermissten, eine weitere Tragödie abspielt – für Verwirrung beim Leser ist reichlich gesorgt.
Gut gelungen finde ich auf jeden Fall die Figur des Kommissars Jan Seidel, der seine ganz persönliche Familien-Tragödie durchstehen muss. Der Ermittler hat mehr private Probleme, als ihm lieb sein kann. Durch einen dummen Fehltritt hat er gerade seine Hochzeit absagen müssen. Und er hat noch seine höchst eigenwillige Großmutter Edith Herzberger am Hals, die unbedingt selbstbestimmt leben will, und mit ihren Töchtern völlig über Kreuz liegt. Zudem ist die ehemalige Buchhändlerin auch noch überaus neugierig, und liebt es, ihrem Enkel bei seinen Fällen zu helfen. Zu welch kreativen Lösungen das führt, ist höchst amüsant zu lesen.
Die gut erzählte Geschichte von Judith Merchant handelt von Naivität, Jugendliebe, Hass und Verrat. Dabei hat sie einen sich stets steigernden Spannungsbogen geschaffen, der nach dem ersten Drittel dazu führt, dass man als Leser wirklich gefesselt wird. Die privaten Befindlichkeiten von Jan Seidel werden dabei so in die Story eingebaut, dass sie nicht störend oder ablenkend wirken, sondern die Handlung sogar vorantreiben. Das Duo Jan Seidel und Edith Herzberger kommt wirklich sympathisch rüber, und dürfte auch noch einiges an Potenzial für weitere Romane haben. Alles in allem ein beachtenswertes Debüt.Judith Merchant, Knaur
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