Der Sturm
- Fischer
- Erschienen: Januar 2012
- 1
- Frankfurt am Main: Fischer, 2012, Seiten: 335, Originalsprache
<cite>Der Sturm</cite> im Wasserglas
Als vor einigen Monaten, vier Wochen vor seiner Veröffentlichung, der Roman Der Sturm von einem bis dato unbekannten Per Johansson in der Krimi-Couch-Redaktion auftauchte, dachten wohl die meisten Rezensenten: Nun ja, noch ein Schwede, der sich im schon übervollen Becken nordischer Kriminalliteratur zu seinen ersten Schwimmversuchen anschickt. Das Interesse, sich seiner anzunehmen, war nicht besonders groß. Dann wurde an anderer, unerwarteter Stelle ("Die Welt") aufgedeckt, dass es weder einen schwedischen Schriftsteller namens Per Johansson gibt, dessen abgedruckte Vita demnach ein Fake ist, noch dass ein schwedisches Original, "Stormen" betitelt, existiert, was eine Übersetzung aus dem Schwedischen durch eine ebenfalls nicht existente Übersetzerin selbstredend ausschließt.
Per Johansson – ein Pseudonym also, was ja grundsätzlich nichts Verwerfliches ist, doch der Enthüller, ein Insider (Feuilleton-Redakteur) in diesem Fall, vermutet hinter der Geheimniskrämerei einen gut oder schlecht, wie man´s nimmt, getarnten Versuch, einen Roman zu nutzen, um einem früheren, missliebigen Kollegen eins auszuwischen. Als Krimi-Fan freut man sich zu lesen, dass sich auch die Herren des Höheren Feuilletons mit Krimis beschäftigen. Wie nun der Rechercheur ausgerechnet auf einen Roman eines völlig Unbekannten gestoßen ist, entzieht sich unserer Kenntnis, vielleicht hat er ja doch einen Tipp bekommen. Auf jeden Fall schien es ihm ein Leichtes zu sein, eine Verbindung zwischen dem Romanhelden und dem Feuilleton-Chef der "Süddeutschen Zeitung" Thomas Steinfeld herzustellen, der später auf Anfrage seine Autorschaft (in Koproduktion mit dem Arzt Martin Winkler) eingesteht. Ein aufgeflogenes Pseudonym, was soll´s. Weit pikanter scheint da eine andere Mutmaßung zu sein: das Profil eines Mordopfers soll dem aktuellen Herausgeber der "FAZ" Frank Schirrmacher nachempfunden sein. Ob da was dran ist, dürfte Interpretationssache sein. Autor Thomas Steinfeld dazu:
Man habe keine andere Absicht gehabt, so Steinfeld, als mit Ernst, Können und Humor einen guten Kriminalroman zu schreiben. Alle Ereignisse und Figuren in diesem Roman seien daher fiktiv, viele davon sind artifiziell zugespitzt. Die Gleichsetzung einer Romanfigur mit einer Person des öffentlichen Lebens widerspreche den Grundlagen des Umgangs mit fiktiver Literatur, so Steinfeld. (zitiert nach: S. Hammelehle, Spiegel online, 15.8.12)
Das ganze Kasperletheater hat Steinfelds Roman mehr Aufmerksamkeit zukommen lassen, als er sonst erlangt hätte, denn Der Sturm ist nicht mehr als Krimi-Köttbullar in IKEA-Qualität. Man verpasst nichts, was andere nicht schon besser gemacht haben.
Damals wollte er nur weg. Weg aus der biederen südschwedischen Provinz. Dann kehrte er mittellos und desillusioniert heim. Nach seinen Sturm- und Drangjahren, in denen er sich u.a. als Revoluzzer in Paris versuchte, fristet Ronny Gustavsson sein karges Dasein als Reporter eines kleinen Lokalblattes in seiner Heimat. Berichte über Abi-Feiern, Versammlungen, entlaufene Katzen oder Verkehrsunfälle bestimmen seinen Alltag. Ein bisschen Entspannung bieten ihm die Songs seines Lieblingsmusikers Bob Dylan. Als in der Scheune eines abgelegenen Gehöfts die Leiche eines Unbekannten gefunden wird, ist er zufällig ganz in der Nähe. Der Tod weist ihm eine neue Perspektive im Leben. Er klemmt sich hinter den Fall. Die Identität des Toten – ermordet, was augenscheinlich ist – kann zuerst nicht festgestellt werden, keine Papiere, kein Mobiltelefon oder sonstige Anhaltspunkte. Erst als der Schlüsselbund des Toten auftaucht, wird die Sache einfach. Ein registrierter Spezialschlüssel führt zu einem deutschen Journalisten aus Berlin. Es tun sich viele Fragen auf. Verbrachte der Mann seinen Urlaub hier oder war er beruflich unterwegs? Was sind die Motive für seine Ermordung? Ronnys investigative Fähigkeiten sind eher beschränkt, den Landpolizisten fehlt die Erfahrung in Mordermittlungen. Die Sache zieht sich.
Währenddessen lässt sich im fernen New York der zwielichtige Richard Grenier sein neues Domizil einrichten – skandinavisch unterkühlt, alles edel und exklusiv, Geld spielt keine Rolle. Grenier ist Inhaber einer Software-Firma, die PC-Sicherheitssysteme für Großbanken installiert, pflegt und kontrolliert. Eine machtvolle Position mit der Lizenz zum Geldabschöpfen inklusive. Grenier hat nicht nur ein Faible für skandinavisches Design, sondern unterhält auch gute Kontakte nach Schweden.
In Schweden braut sich derweil ein Sturm zusammen. Sowohl ein physikalischer, der in ein Unwetter ausarten wird, als auch ein digitaler, von langer Hand vorbereitet. Es hat einen weiteren Todesfall gegeben, und diesmal ist Ronny Gustavssons Bekanntenkreis betroffen. Sich seiner Defizite bewusst, hat sich Ronny der Hilfe ehemaliger Kommilitonen aus seiner Pariser Zeit versichert. So hat er Lorenz Winkler, jetzt Philosophie-Professor in Berlin, kontaktiert, der ihm einiges über den ermordeten Journalisten erzählen kann. Vor Ort steht ihm Benigna Klint, ebenfalls Kommilitonin, aber auch alte Schulfreundin, mit Rat und Tat zur Seite. Für sie empfindet Ronny mehr als freundschaftliche Gefühle, die zu seinem Pech nicht erwidert werden. Benigna ist Mittelsperson zu einem exzentrischen Philanthropen von altem schwedischen Adel. In der Piratenpartei engagiert, hat Wilhelm af Sthen seine Finger in vielen virtuellen und realen Netzwerken. Teile seines Schlosses sind zu einer Computer-Zentrale umgebaut, in der sich meist jugendliche Nerds nach Lust und Laune austoben dürfen. Liegt hier vielleicht auch der Schlüssel zum Mord an dem deutschen Journalisten?
Der Sturm stürmt nicht stürmisch genug, als dass er die Leser im Sturm erobern könnte. Er gleicht eher einem lauen Lüftchen, das durch eine pittoreske schwedische Landschaft streicht, aber niemandem den Atem nimmt. Da helfen auch die wohlfeilen Worte von Håkan Nesser auf der Vorderseite und die von Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk auf der Rückseite des Schutzumschlages nichts, die den Roman in den höchsten Tönen loben. Das Autorenduo Steinfeld/Winkler versteht es nicht, Spannung aufzubauen. Es mag ja eine Form von Realismus sein, die Ermittler unbedarft durch die Gegend irren und gelegentlich über einige Hinweise stolpern zu lassen, aber Nervenkitzel entsteht so nicht. Außerdem nerven die penetranten Einsprengsel über heimisches Liedgut, Brauchtum und schwedische Geschichte. Genuine Schweden wie z. B. ein Henning Mankell müssen ihre Originalität nicht ständig unter Beweis stellen und sie tun es auch nicht.
Lässt man das ganze eitle Vorgeplänkel weg und orientiert sich daran, was Thomas Steinfeld als seine Absicht erklärt hat, nämlich "mit Ernst, Können und Humor einen guten Kriminalroman zu schreiben", muss man feststellen, dass ihm das nur bedingt gelungen ist. Zu harmlos kommt die Haupthandlung, die im ländlichen Schonen spielt, daher. Die großen Themen der Autoren, die Labilität der Weltwirtschaft angesichts immenser Staatsschulden und des Fiat-Money und die Manipulationsanfälligkeit des internationalen Geldverkehrs, können nur gestreift werden, wirken aber allein schon wegen ihrer realen Brisanz wie aufgesetzte Fremdkörper.
Es hat ja schon einiges an Kritik gehagelt und die Autoren konnten feststellen, dass man einen guten Krimi nicht so einfach aus der Lamäng schreibt. Wenn man nicht schon ein angeborenes Talent dazu hat und der Besuch einer Krimischreibschule zu eher zweifelhaften Ergebnissen führt, hilft nur Eines: Krimis lesen – je mehr, desto besser.
Per Johansson, Fischer
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