Der Tod bin ich
- Kunstmann
- Erschienen: Januar 2013
- 3
- München: Kunstmann, 2013, Seiten: 400, Originalsprache
Die Weltformel
Der Name "Max Bronski" ist ein Pseudonym. Wer sich dahinter versteckt, ist seit 2006, als der Autor mit Sister Sox, dem ersten der vier bisher erschienenen Romane aus der Wilhelm-Gossec-Reihe, an die Öffentlichkeit trat, ein wohlgehütetes Geheimnis. In einem per E-Mail geführten Interview (2010) mit der "Süddeutschen" gibt er sich, auf seine Person angesprochen, auch sehr zugeknöpft. Er bestätigt, dass er in München lebt, wo auch seine "Gossec"-Romane spielen. Humorvoll sollen diese sein, wie man so liest. Ein Grund, weshalb der Rezensent sie bisher gemieden hat. Seit seinen leidvollen Lese-Erlebnissen mit den Krimi-Grotesken von Rita Falk oder des Duos Klüpfel/Kobr ist ihm bajuwarischer Humor im Krimi verleidet.
Ganz ohne Humor, sachlich nüchtern, aber nichtsdestotrotz recht spannend kommt nun Max Bronskis Einzelroman Der Tod bin ich daher. Der Titel geht auf ein Zitat des amerikanischen Physikers Robert Oppenheimer zurück. Oppenheimer war während des 2. Weltkriegs wissenschaftlicher Leiter des verderbenbringenden "Manhattan-Projektes". In Erinnerung an die Explosion der ersten (Test-)Atombombe in der Wüste New Mexicos hat er gesagt: "Now, I am become Death, the destroyer of worlds"- was wiederum der Bhagavad Gita entlehnt ist, die bei Oppenheimer hoch im Kurs stand.
Physik also ist das Thema von Max Bronskis Roman – genauer gesagt die militärische Nutzbarkeit von Entdeckungen in den Naturwissenschaften. Dazu führt uns der Autor zurück ans Ende der 1950er Jahre – der Zeit des "Kalten Krieges", der atomaren Auf- und Wettrüstung, der Spionage und Gegenspionage.
Die Handlung beginnt aber in der Gegenwart im Jahre 2006. Tino Senoner hat den Job als Gutsverwalter des Schlosses Ottenrain von seinem langjährigen Vorgesetzten Richard Eulmann, der sich in einem kleinen Holzhaus in der Nähe zur Ruhe gesetzt hat, übernommen. Da der Schlossherr ein gutmütiger Mensch und und recht anspruchslos gegenüber dem Arbeitseinsatz seines Verwalters ist, schiebt Tino, wie schon sein Vorgänger, eine ruhige Kugel. Aufsicht und Pflege des schlosseigenen Museums, ein bisschen Gartenarbeit – die meiste Zeit verbringt er mit seinem Gspusi Mira. Sein süßes Nichtstun endet jäh, als Richard Eulmann vor seinem Häuschen erschossen aufgefunden wird. Tage später wird Tinos Tante Irmi auf dem elterlichen Hof vermutlich vom selben Täter erschossen. Tinos Mutter verschwindet darauf spurlos. Tino versteht die Welt nicht mehr. Völlig geplättet ist er, als er dann auch noch erfährt, dass er Eulmanns Alleinerbe ist.
Rückblende. Leipzig 1957. Berthold Oftenhain, Sohn eines aufmüpfigen, evangelischen Pfarrers, hat gerade sein Physikstudium mit Bravour abgeschlossen. Seine Berufsaussichten sind blendend in der DDR der damaligen Zeit. Doch die Predigten seines Vaters stören die dünnhäutigen Mitglieder des MfS. Der Unbeugsame wird verhaftet und im Stasi-Knast Bautzen eingekerkert. Auch auf Berthold wird Druck ausgeübt, so dass dieser beschließt, sich nach Westberlin abzusetzen. Dort wird er von amerikanischen Geheimdienstlern empfangen, die äußerst interessiert sind an einem hochbegabten Physiker, der u.a. auch in Moskau studierte. Sie wollen ihn bei Professor Petri in Zürich einschleusen. Petri hat dort den Lehrstuhl für Theoretische Physik und arbeitete jüngst an der sogenannten Weltformel. Von ihr erhoffen sich die Amerikaner bahnbrechende Technologien. Nicht nur sie, denn die Sowjets haben Oftenhain noch nicht aufgegeben und sie haben seinen Vater als Druckmittel in der Hinterhand. Oftenhain muss feststellen, dass es nicht weit her ist, mit der Freiheit im Westen. Quasi als Doppelagent muss er die beiden feindlichen Lager zufrieden stellen. Und die Briten mischen auch noch mit.
Der Tod bin ich ist ein Agenten- oder Spionageroman – in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren angesiedelt. Geheimagenten der Sowjets, Amerikaner und Briten tummeln sich im Nachkriegs-Deutschland, stets auf der Suche nach dem kleinsten technologischen Fortschritt, der dazu beitragen könnte, eine Vormachtstellung in der Welt zu erlangen. Wissenschaftler forschen nicht in verschlossenen Elfenbeintürmen, sondern stehen unter ständiger Beobachtung. Ihnen stellt sich die Frage: Gebe ich meine Erkenntnisse preis, wohl wissend, dass sie möglicherweise missbraucht werden könnten? Ob nun der Berthold Oftenhain des Romans in den Besitz der Weltformel gelangt ist oder ob er das Wissen Anderer weiterentwickelt hat, wird nicht bekannt. Das, was er in Erfahrung bringen konnte, transkribiert er in Notenschrift und kann so sein Geheimnis bis in die Gegenwart retten..
Einer ähnlichen Fragestellung oder Problematik widmete sich schon Friedrich Dürrenmatt in seinem Theaterstück "Die Physiker" aus dem Jahre 1961. Der dröhnende Nachklang der Atombombenabwürfe über Japan und auch das atomare Wettrüsten veranlassten Dürrenmatt dazu, sich politisch zu engagieren. Schriftsteller drücken sich unter anderem in ihren Werken aus. So sind "Die Physiker" - drei an der Zahl – in einer Irrenanstalt untergebracht. Möbius soll im Besitz der Weltformel sein, weigert sich aber strikt, sie zu veröffentlichen. Die beiden Anderen – Einstein und Newton mit Decknamen – sind wohl Agenten des Westens bzw. des Ostens. Sie versuchen, Möbius zu überreden, die Formel offenzulegen. Während die Drei noch diskutieren, hat die Chefärztin der Anstalt Möbius´ Unterlagen längst kopiert und will sie für ihre Allmachtsphantasien nutzen.
Max Bronski hat die Grundideen aus Dürrenmatts Bühnenstück auf die größere Bühne des Romans gestellt. Er erzählt in einer beschaulichen, dem Ernst der Sache wohl angemessenen Art, läuft dabei leider auch Gefahr, ein bisschen einschläfernd zu wirken. Bei Spionageromanen denken wir schnell an Tempo und Action. Bronski bedient sich dieser Spannungselemente nur in gemäßigter Form. Seine Agenten töten lautlos, unspektakulär. Die Attraktivität seines Plots resultiert hauptsächlich aus dem faszinierenden Thema Weltformel. Die Weltformel, auch Einheitliche Feldtheorie oder Theory of Everything ist seit gut hundert Jahren bevorzugtes Forschungsobjekt namhafter Wissenschaftler. Dass sie noch zu keinem Ergebnis gekommen sind, mag nicht verwundern, gilt es doch den Ursprung des Universums mit dem Mikrokosmos der subatomaren Teilchen in Verbindung zu setzen.
Max Bronski hat nun keine Facharbeit darüber geschrieben, aber einige Zusammenhänge müssen schon erläutert werden. Das liest sich dann eher philosophisch als mathematisch.
Freunde anspruchsvollerer Unterhaltung, die auch mal gerne zwischen den Zeilen über Gott und die Welt nachdenken, werden an Der Tod bin ich ihre Freude haben. Trotz einiger Durchhänger kann man die Kombination aus Agentenroman und Physik-Historie als gelungen bezeichnen.
Max Bronski, Kunstmann
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