M wie Mord
- Scherz
- Erschienen: Januar 1963
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- New York: William Morrow, 1947, Titel: 'T as in trapped', Seiten: 250, Originalsprache
- Bern; Stuttgart; Wien: Scherz, 1963, Seiten: 190, Übersetzt: Rosa Rudel
- Klagenfurt: Kaiser, 1972, Seiten: 129, Übersetzt: Rosa Rudel
Vertrauen ist tödlich, Misstrauen ratsam
Architekt Wayne Bannerman nimmt einen neuen Auftrag an, obwohl er lieber in New York bliebe, um seiner Lebensgefährtin Martha im Kampf mit dem Noch-Ehemann beizustehen, der sie einfach nicht freigeben will. Nun trifft Bannerman den verhassten Rivalen ausgerechnet in der Stadt, in der er für einige Zeit arbeiten wird: Auch John Avrillian hat hier zu tun; er recherchiert im Fall der schönen Hellseherin Julia Sandeau, die vor zehn Jahren ihren Gatten umgebracht haben soll aber vor Gericht freigesprochen wurde.
Dies ist eine kleine Stadt, und zufällig treffen sich Bannerman und Julia, die ihn im Avrillian verwechselt. Deshalb lockt sie den Architekten in ihr Haus und schüttet ein Wahrheitsserum in seinen Drink. Bannerman verliert das Bewusstsein. Als er am nächsten Morgen erwacht, findet er Julia tot mit einem Dolch im Leib. Voller Panik und Furcht, im Delirium selbst zum Mörder geworden zu sein, verwischt er seine Spuren, flüchtet und begegnet im Zug nach New York Avrillian, der ihm auf den Kopf zusagt, Julias Mörder zu sein, den er in einem Artikel bloßstellen werde; zuvor wolle er Bannerman allerdings zappeln lassen.
Bannerman setzt auf sein Glück. Sollte die Polizei ihn ausfindig machen, hat er sich ein Alibi zurechtgelegt. Nur Martha erzählt er die Wahrheit. Um sich zusätzlich abzusichern, beginnt Bannerman selbst zu ermitteln und stellt fest, dass praktisch jede Person, die er kennt, in den Fall verwickelt ist. Sein Chef, dessen Gattin, sein neuer Auftraggeber, ein Angestellter mit geheimer Doppel-Identität und der undurchsichtige Avrillian haben Julia Sandeau noch am Tag ihres Todes oder in der Mordnacht selbst aufgesucht. Alle haben sie gute Gründe, die junge Frau, die nicht nur in die Zukunft sah, sondern auch als Erpresserin gut verdiente, aus dem Weg zu räumen, alle wissen voneinander und alle belauern und manipulieren sich. Den Letzten in dieser Kette werden die Hunde beißen: Der elektrische Stuhl wartet &
Die Aussichten sind dunkel
In den Jahren ab 1929 setzte in den USA nie erwarteter und deshalb umso beängstigenderer Niedergang ein. Der Weltwirtschaftskrise folgte die "Große Depression", die Millionen Bürgern Arbeit, Heim und Stolz raubte. Damit verbunden waren politische Umbrüche. Eine zunehmende Radikalisierung der Verzweifelten ängstigte jene, die den Status Quo fixiert sehen wollten, solange sie selbst von der Krise nicht betroffen wurden.
Der allmähliche Aufschwung im Zuge des "New Deal" wurde relativiert, als sich die USA ab 1941 nicht mehr dem II. Weltkrieg entziehen konnten. Nunmehr rückten ganze Jahrgänge in ferne Länder ab. Häufig kehrten sie nicht mehr zurück. Die Heimkehrer fanden sich ab 1945 in einem Land wieder, das gelernt hatte, ohne sie zu funktionieren. Vor allem die Frauen hatten ihre Unentbehrlichkeit an der "Heimatfront" verinnerlicht und Gefallen an den daraus resultierenden Freiheiten gefunden. Die Rückkehr zum Frieden verlief deshalb keineswegs konfliktfrei. Hinzu kamen neue Bedrohungen aus dem Ausland: Auch die "Roten" hatten inzwischen die Atombombe, und überall schienen sie die USA unterwandern zu wollen.
In dieser Stimmung blühte ein neues Genre auf, das nur auf solchem Boden gedeihen konnte. Unterhaltsam verschlüsselt aber denkbar düster spielten Schriftsteller und Drehbuchautoren mit den Elementen Angst, Unsicherheit, Pessimismus. Im Kino zählte man diese in den 1940er und 50er Jahren entstehenden Filme zum "Film Noir". Ihm eng verwandt waren die Kriminalromane und -storys des "Crime Noir", das eigene Großmeister wie James M. Cain (1892-1977), Cornell Woolrich (1903-1968) oder W. R. Burnett (1899-1982) hervorbrachte.
Die Polizei, dein Feind und Schrecken
Lawrence Treat gehört nicht zu den ´typischen´ Noir-Autoren. Als schreibender Profi in einer schlecht zahlenden Unterhaltungsindustrie griff er jedoch aktuelle Trends auf, um sie verkaufsförderlich in seine Werke einfließen zu lassen. Die "Noir"-Elemente in M wie Mord kommen primär im Mittelteil zum Tragen, wo Treat präzise beschreibt, wie sich das Netz um den vielleicht sogar schuldigen Wayne Bannerman immer fester zuzieht.
"Noir"-typisch hat er nicht einen Augenblick daran gedacht, sich nach dem entdeckten Mord der Polizei zu stellen. Bannerman fürchtet um seinen Ruf, er will seine Martha nicht alleinlassen, und er traut der Polizei nicht. Problemlos verwischt und manipuliert er deshalb Beweise und hofft, der Gerechtigkeit durch die Lappen zu gehen selbstverständlich vergeblich, denn stattdessen hat er sich eine Grube gegraben, in die er immer tiefer rutschen wird.
Im ´normalen´ Noir-Krimi würde ihm die Polizei auf die Spur kommen und durch die Mangel drehen. So ergeht es Bannerman zwar ebenfalls, aber es fehlt das Element des Schicksalhaften. Die Polizei arbeitet professionell und muss ihn deshalb früher oder später entdecken: Treat ist ein früher Vertreter des "Police Procedural". Er schildert Ermittlungs- und Vernehmungspraktiken möglichst authentisch. Der Forensiker Jub Freeman der auch in anderen Treat-Krimis auftritt ist ein früher Vertreter der "CSI"-Spezialisten, die heute an Tatorten wahre Wunder wirken. In den späten 1940er Jahren sind die Methoden verständlicherweise deutlich rustikaler, doch Treat gelingt es, ein Umdenken in der Polizeiarbeit zu verdeutlichen: Nicht mehr der harte Bulle, der den Verdächtigen Stunde um Stunde und unter Androhung von Gewalt unter Druck setzt, um ihn zu "brechen", löst den Fall, sondern der Experte, der sorgfältig gesicherte Spuren zu entschlüsseln weiß.
Liebe macht schwach, Vertrauen tötet
"Noir"-Frauen sind mysteriöse und verdächtige Geschöpfe, in den Augen der zeitgenössischen Männer erschreckend selbstständig und außerdem berechnend. ´Weibliche Schwäche´ wird vorgetäuscht und planvoll eingesetzt, um verliebte und daher geistig eingeschränkte Männer zu manipulieren. Selbst haben diese Frauen keine Gefühle; entwickeln sie dennoch welche, ist es meist ihr Ende. Ansonsten tötet sie irgendwann ein betrogener und vor Wut und Schwäche rasend gewordener Mann.
In M wie Mord repräsentiert Julia Sandeau diese "Noir"-Frau. Sie setzt ihre Schönheit ein, lässt sich aushalten, verdient als Erpresserin dazu und ist sogar mit einem Gattenmord davongekommen, weil sie die Jury um den Finger wickeln konnte. Ihr Tod ist ebenso tragisch wie unvermeidbar.
Zwar ist Martha Avrillian keine verworfene Schönheit. Sie entspricht dennoch nicht mehr dem zeitgenössischen Klischee, sondern lebt getrennt, ohne deshalb unter einem schlechten Gewissen zu leiden. Als sie eine Chance sieht, ´ihrem´ Mann zu helfen, greift auch Martha indizienmanipulierend in den Fall ein. Dafür zahlt sie ihren Preis und erlebt im Polizeirevier ein Verhör "dritten Grades", bei dem womöglich wie in der guten, alten Zeit ein Stück Gummischlauch die Geständnisfreude unterstützt; in diesem Punkt schweigt sich Treat aus.
Das Verhängnis als Kette
Nicht nur aller guten Dinge sind drei. Wenn das Pech zuschlägt, wird die Kette sogar länger. Immer wieder ist es die Tücke des Objekts, die noch den genialsten Plan zunichtemacht. Wayne Bannerman muss es erleben: Man hat ihn mit dem Opfer gesehen, sein Nebenbuhler ist ausgerechnet ein Kriminalreporter, der ihn hasst, und kann sich zudem ein ihn belastendes Indiz beschaffen, die unauffällige Flucht vom Tatort endet beinahe vorzeitig vor den Fäusten eines betrunkenen Matrosen.
Hinzu kommt die Erkenntnis, dass der Freund dein Feind sein könnte. Jede der auftretenden Figuren hat etwas zu verbergen und ist bereit, die eigene Haut durch Verrat zu retten. Nicht einmal die ermittelnden Beamten sind ohne Fehl und Tadel. Mitch Taylor hat in einem früheren Fall Vorschriften missachtet und wurde degradiert. Nun lässt er sich für ein Interview bezahlen und gerät erneut in Schwierigkeiten. Jub Freeman hat Ärger mit dem neuen Chef und steht vor der Kündigung. John Avrillian, der als Journalist der Wahrheit besonders verpflichtet sein sollte, vermischt Arbeit und Privatleben und gießt außerdem Öl ins Feuer, um einen nur schwelenden Kriminalfall in seinem Sinne anzufachen.
Menschen sind schwach und zwar auf beiden Seiten des Gesetzes. Diese eigentlich simple Erkenntnis wurde vom Gros der Krimi-Autoren lange ignoriert. Treat gehörte zu jenen, die es in ihre Geschichten einfließen ließen. Die realitätsnahe Ambivalenz lässt Treat-Krimis deutlich ´frischer´ wirken als viele zeitgenössische Werke. In Deutschland wurde der Verfasser nur selten veröffentlicht. Ob es daran lag, dass sich im Land des "guten Goldmann-Krimis" die Leser lieber bestätigen ließen, dass Verbrechen sich niemals auszahlen?
Lawrence Treat, Scherz
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