Südstern
- Heyne
- Erschienen: Januar 2012
- 6
- München: Heyne, 2012, Seiten: 356, Originalsprache
Wenn die Straßenbullen mit den Großen spielen
Paul Braun und Erkan Genc kennen sich seit vielen Jahren. Der junge Türke und sein älterer Bruder haben Paul einst aus einer ausweglosen Situation befreit, und später wurden sie so etwas wie Brüder. Denn Pauls Vater ist tot, und seine Mutter lebt in der Psychiatrie. Mittlerweile sind Erkan und Paul Polizisten, kurz vor der Anstellung auf Lebenszeit. Frech, rotzig und neugierig – echte Berliner eben - schieben sie ihren Dienst in Neukölln und angrenzenden Stadtvierteln, schnappen die kleinen Fische. Und sind total begeistert, als plötzlich Murat mit einer Sonderkommission des BKA in Berlin auftaucht. Am Hermannplatz hat es einen merkwürdigen Mord gegeben, und nun soll es eine geheimnisvolle Razzia geben, hinter der offenbar mehr steckt, als man den beiden jungen Polizisten verraten will. Sie können es nicht lassen und sind bei der Aktion dabei. Paul beobachtet, wie ein verdeckter Ermittler zum Mörder wird. Niemand glaubt ihm, nicht mal sein Ziehbruder Murat. Gemeinsam mit Erkan gibt Paul jedoch keine Ruhe - und stolpert in ein Komplott hinein, dass sich die beiden Straßenbullen niemals erträumt hätten.
Jonas Hartmann hat mit seinem Roman Südstern eine außerordentlich spannende und in meinen Augen auch authentische Geschichte vorgelegt. Ob er damit die Lebenswirklichkeit in Neukölln und Kreuzberg im allgemeinen und bei der Berliner Polizei im besonderen tatsächlich trifft, werden Kenner der Hauptstadt unter Umständen ganz anders beurteilen. Aber Drogenhandel, Gewalt zwischen kriminellen Banden und der ganz normale Alltagswahnsinn in den Vierteln rund um das Tempelhofer Feld werden von Hartmann plastisch und hautnah geschildert. Zuweilen gestattet sich der Autor auch einige Stilblüten, die für mich jedoch zum Unterhaltungswert des Buches enorm beitragen.
Der Südstern, ein von wichtigen Verkehrsachsen gesäumter Platz, ist dabei insgesamt nur ein Symbol in der Geschichte, aber auch eine Art Grenzbereich. Hier stoßen verschiedene Stadtviertel zusammen, und um die Ecke ist das Hauptquartier des Berliner Landeskriminalamtes. Der Autor zeigt mit seinen Schilderungen der einzelnen Örtlichkeiten, die nie zu ausschweifend ausfallen, dass er es versteht, Lokalkolorit unaufdringlich und geradezu dezent in seinem Roman unterzubringen.
Seine beiden Protagonisten, Erkan Genc und Paul Braun, sind typische Berliner Jungs, die in den beschriebenen Stadtvierteln aufgewachsen sind. Ihre teilweise absurd reduzierte Sprache, ihr immer wieder geschildertes Lebensgefühl, das über den Underdog nur schwer hinausreicht, macht die beiden Figuren ungemein authentisch. Dazu tragen auch ihre zuweilen unsinnig anmutenden Dialoge bei. Im kurzen Intro schildert Jonas Hartmann, wie die Freundschaft zwischen Genc und Braun entstanden ist – und spannt damit geschickt einen Bogen, der bis zum Ende des Romans reicht. Die allzu menschlichen Facetten, die entlang dieser Linie abgearbeitet werden, sind gekonnt in den Handlungsfaden der Kriminalgeschichte eingewoben, und zuweilen wird der Fortgang der Ereignisse durch die Wirrungen und Irrungen in dieser Freundschaft für das Leben sogar noch ungemein befördert. Eine liebenswerte Randfigur, die allerdings eine zentrale Bedeutung erlangt, ist dabei Nina, die das Dreigestirn vervollständigt.
Wortkarg und gewissermaßen minimalistisch ist auch die Unterhaltung zwischen dem in Schwierigkeiten steckenden V-Mann des BKA, Stephan Kohn, ein Schulkamerad von Erkahns Bruder Murat, und seinem Begleiter aus den Reihen des ominösen Netzwerks. Hier geht es um die subtilen Mechanismen in derart kriminellen Zusammenhängen. Misstrauen, Katz-und-Maus-Spiele, die Übernahme von Verantwortung und vieles mehr. Durch den ständigen Wechsel zwischen der Perspektive der Ermittler und der Situation des tief im kriminellen Milieu feststeckenden Undercover-Agenten Kohn wird der Leser bestens auf dem Laufenden gehalten und der Spannungsbogen zuweilen dynamisch überdehnt.
Im ersten Drittel des Buches wird der Leser ziemlich gefordert, da es ständig neue Personen, Kommissionen, Zuständigkeiten und Sachverhalte gibt. Jonas Hartmann ist das durchaus bewusst, deshalb hat er am Ende des Buches ein überaus hilfreiches Personenregister angefügt. Wer da von Beginn an regelmäßig reinschaut, ist klar im Vorteil und hat schnell den Überblick. Die holperige und spannungsgeladene Kooperation von Landes- und Bundeskriminalamt ist von den üblichen Hahnenkämpfen begleitet, aber nachdem der Autor den Rahmen der Geschichte abgesteckt hat, geht es richtig zur Sache. Das Buch wirkt in Sachen Polizeiarbeit und Verhörmethoden wirklich gut recherchiert, insbesondere die psychischen Probleme verdeckter Ermittler werden hervorragend geschildert und thematisiert.
Jonas Hartmann hat mit Südstern ein wirklich bemerkenswertes Debüt vorgelegt. Personen, Dialoge und die ständig dynamischer werdende Handlung bilden eine gut erzählte Geschichte – feines Lesekino. An einigen kleineren Schwächen muss der Autor noch feilen, aber die beiden Straßenbullen Paul und Erkan haben noch einiges Potenzial, man kann sich also weitere Bände mit den zwei jungen Polizisten gut vorstellen.
Jonas Hartmann, Heyne
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