Die Unzertrennlichen

  • Zsolnay
  • Erschienen: Januar 2012
  • 3
  • Wien: Zsolnay, 2012, Seiten: 320, Originalsprache
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Jörg Kijanski
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2012

Bitterböse Satire und unterhaltsame Spurensuche

Eigentlich hat die Wiener Rechtsmedizinerin keinen Kontakt mehr zu ihrem Vater, doch als dieser plötzlich verstirbt und ihre Großmutter sie zur Beerdigung bittet, muss sich Sissi wohl oder übel in ihr Schicksal fügen. So fährt sie in ihr kleines Heimatdorf im Sausal in der Südsteiermark, wo ihr allseits gehasster Vater zu Grabe getragen wird. Doch siehe da, nahezu das gesamte Dorf nimmt an der Beerdigung teil, so als wolle man auf Nummer sicher gehen. Wie ein "Fingerzeig Gottes" kommt es daher nicht von ungefähr, dass ein Blitzeinschlag mitten in die Trauergemeinde, der Beerdigung ein abruptes Ende verpasst.

Zu Sissis Überraschung nimmt auch Stefan König an der Beerdigung teil, der sie prompt einlädt ihm bei der anstehenden Weinernte zu helfen. Sissi, deren ehemals beste Freundin Regina und Stefan waren unzertrennlich, was sich schlagartig änderte als Regina und Stefan heirateten. Doch Regina ist vor zwei Jahren bei einem Badeausflug auf der italienischen Insel Procida ertrunken, wenngleich ihre Leiche nie gefunden wurde. Als Sissi nun Stefan besucht stellt sie fest, dass Regina noch immer allgegenwärtig ist, das Haus gleicht einer Gedenkstätte. Dennoch landen Sissi und Stefan im Bett und nach und nach entwickelt sich eine ernstere Beziehung zwischen den Beiden. Allerdings fragt sich Sissi, warum Stefan damals den Tod seiner Frau einfach so hinnahm ohne weiter nachzufragen.

Kurz entschlossen macht Sissi einen kleinen Urlaub auf Procida, um herauszufinden, was damals wirklich passierte. Eine schöne Österreicherin, die unter denkwürdigen Umständen verschwand, ist auch nach zwei Jahren in den Köpfen der Einheimischen präsent. Was Sissi über ihre einstige Freundin allerdings in Erfahrung bringt, übersteigt ihre schlimmsten Befürchtungen und dies in jeder Hinsicht. Offenbar war Regina nicht die Freundin, die sie bestens zu kennen glaubte und selbst die Ehe mit Stefan war wohl nicht so toll wie es immer den Anschein hatte. Das Regina entführt wurde und womöglich noch leben könnte basiert indes nur auf den Aussagen zweier höchst zweifelhafter Zeugen. Oder war doch alles ganz anders…

 

"Ich werde Ihnen sagen, was wir alle hier über dieses Drama denken. Wir glauben, dass jemand sie mit dem bösen Blick verhext hat. Jemand von uns, verstehen Sie. Aus Missgunst. Eine Frau natürlich. Ich habe da so meine Vermutungen. Jedenfalls ist das die einzig plausible Erklärung."

 

Die Unzertrennlichen von Lilian Faschinger ist eine bitterböse Satire und damit zugleich ein Frontalangriff auf die spießige Kleinbürgerlichkeit, die hier durch die erzkatholische Dorfgemeinschaft im Sausal versinnbildlicht wird. So dreht sich die Handlung der ersten hundert Seiten, neben der Vorstellung der Protagonistin und der Figur des Stefan, vor allem darum, die ganze Verlogenheit der Dorfgemeinschaft vor Augen zu führen. Boshaft, zynisch und bisweilen gar niederträchtig wird alles schlecht geredet, was nicht den eigenen Moralvorstellungen entspricht, wobei die eigene Fahne dabei sehr gerne im Wind flattert. Erst mit Beginn des zweiten Drittels beginnt so langsam der kriminelle Handlungsstrang, der auf der Insel Procida dann richtig an Fahrt gewinnt. Doch auch hier bleibt die Autorin ihrem frechem Erzählstil treu.

 

"Wir Zeugen Jehovas sind der Ansicht, auch die Inselbewohner haben ein Anrecht zu erfahren, dass die furchtbare Schlacht von Armageddon unmittelbar bevorsteht und dass danach das Tausendjährige Reich endlich anbrechen kann."

"Ach, das Tausendjährige Reich? Davon habe ich gehört, allerdings in anderem Zusammenhang."

 

Die Polizei auf Procida hat den Vermisstenfall vor zwei Jahren schnell zu den Akten gelegt. Denn sollte es sich wider Erwarten doch um einen Entführungsfall oder ähnliches gehandelt haben, so hat womöglich noch die Gomorra ihre Hände im Spiel. Das kann der selbstverliebte Polizeichef Fausto Sacco nun schon gar nicht gebrauchen. Allerdings ist dieser nicht bei allen Insulanern beliebt:

 

"Ein dummer Mensch, ich frage mich, wie er über die Volksschule hinausgekommen ist. Ein Schwätzer. Aufgeblasen wie ein Pfau. Und so hässlich, finden Sie nicht auch? Ein Kopf wie ein Kürbis, ganz wie Mussolini, auch das Gehabe. Solche Ignoranten gehen gern zur Polizei, dort machen sie Karriere."

 

Die naive Sissi kommt mehr und mehr hinter das Geheimnis über das Verschwinden ihrer vormals besten Freundin. Doch wie sie aus Reginas Tagebuch entnehmen kann, beruhte die Freundschaft wohl nicht auf Gegenseitigkeit. So schreibt Regina über Sissi:

 

"Etwas unglücklich, ihr Erscheinungsbild, das muß ihr klar sein. Unweiblich. Flach wie ein Brett. Und die ein Meter achtzig, die sie misst! Sie müsste sich ganz anders anziehen, ich wüsste auch genau, wie, werde mich aber hüten, ihr zu raten. Mein Interesse an der Förderung weiblicher Konkurrenz hält sich in Grenzen. Schließlich gibt es Spiegel, in denen man sich betrachten kann.

 

Sexuelle Obsessionen und beispiellose Machtbesessenheit sowie das Herabreißen der aufgesetzten Fassaden bei einigen nur all zu selbstverliebten eitlen Gockel sind die Grundlagen dieses köstlich unterhaltsamen Romans, bei dem man sich allerdings auf den ersten hundert (von 320) Seiten fragt, wo denn bitte der Krimi bleibt. Doch wer derart glänzend zu unterhalten weiß, dem sei der ungewöhnliche Einstieg verziehen. So frech und böse war schon lange kein Krimi mehr.

Die Unzertrennlichen

Lilian Faschinger, Zsolnay

Die Unzertrennlichen

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