Stiller Tod

  • Tropen
  • Erschienen: Januar 2012
  • 2
  • Stuttgart: Tropen, 2012, Seiten: 380, Übersetzt: Ulrike Wasel & Klaus Timmermann
Stiller Tod
Stiller Tod
Wertung wird geladen
Jochen König
87°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2012

Ständige Angst und die Gefahr gewaltsamen Todes; und das Leben eines Menschen, einsam, armselig, tückisch, brutal und kurz

Roger Smith entwickelt sich mit Wucht zu einem Bastardsohn Patricia Highsmiths.

Sohn: Eine labile Kleinfamilie zerbricht an einem tragischen Unglücksfall. Ein soziopathischer Voyeur zieht seinen Nutzen daraus.

Bastard: Der rote Lebenssaft fließt mitunter in Sturzbächen. Messer wüten, Schädel werden eingeschlagen, die Kehle zerfetzt. Der weiße, von einer technisch aufwendig ausgestatteten Sicherheitsfirma bewachte, Villenvorort Kapstadts mit eigenem Strand, wird konterkariert durch Townships und Hinterhöfe, in denen Gewalt, Missbrauch und billiger, käuflicher Sex nicht die Ausnahme, sondern Regel ist. Dazwischen derangierte Persönlichkeiten soweit das Auge reicht.

Der Vater ist abgelenkt von einem Joint und Neugier, die Mutter provoziert, scharf auf außerehelichen Sex, zumindest unbewusst den Tod der ungeliebten Tochter. Sunny Exley ertrinkt an ihrem vierten Geburtstag, beobachtet vom hinkenden Ex-Cop und jetzigen Security-Mitarbeiter Vernon Saul. Der Sunnys Tod durch beherztes Eingreifen, durch einen einfachen Hilferuf hätte verhindern können. Doch er will sehen "was geschieht". Weil er es kann.

Damit löst er einen Strudel der Gewalt aus, der alle Beteiligten erfasst und ein in wenige Tage gepresstes Kondensat seines bisherigen Lebens ist. Saul ist ein perverser Samariter, eine monströse, zutiefst gedemütigte, an einer zynischen Version des Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom leidende Seele, die andere erst in tiefste Bedrängnis bringt und sich anschließend daran erfreut, sie aus dieser Bredouille zu befreien. Wobei diese "Befreiung" natürlich eine Fessel ist, die seine Versuchsobjekte auf Gedeih und Verderb an ihn bindet. Man muss kein Hellseher sein, um zu schließen, dass dieses Verhalten irgendwann in Wahnsinn und Tod enden wird. Fragt sich bloß für wen?

Manch einer mag Roger Smith seine destruktive Weltsicht vorwerfen, es gibt kaum eine Person im Roman, die nicht mental am Zerreißpunkt, manchmal auch darüber hinaus, agiert oder zumindest gebrochen ist von der eigenen Lebensgeschichte. Smith ist in dieser Beziehung atemberaubend konsequent und spiegelt in seinen Protagonisten letztlich nur das Leben in einem von Gewalt, Rassentrennung und –hass geprägten Südafrika wider. Während die Stripperin Dawn Cupido nicht mal Zahlen zu nennen vermag, wie viele Kinder in ihrem Viertel missbraucht, entführt, vergewaltigt und ermordet worden sind, igelt sich die weiße "Elite" in streng und elektronisch überwachten Edel-Ghettos ein. Nicht ahnend, dass genau dieser Zustand die Gefahr darstellt, die eigentlich abgewendet werden sollte.

Sunny Exleys überflüssiger Tod bringt Schmerz und Verlust aus den Townships an den sonnigen Strand. Nick Exleys Trauer lässt ihn, den Computer-Nerd, ins Virtuelle flüchten, wo eine künstliche Sunny permanent für ihn tanzt, die Leere aber nicht ausfüllen kann. Nick muss noch weiter in die Hölle aus Gewalt und Tod hinabsteigen, ehe eine echte Beziehung, die einen glatten Schlussstrich zieht, eine zweite Chance möglich erscheinen lässt. Dass dabei ausgerechnet seine Computerkenntnisse von großem Nutzen sind, ist ein letzter, sarkastischer Scherz auf Kosten einer Überwachungsgesellschaft, die Sicherheit mehr illusioniert als tatsächlich schafft.

Vernon Saul und Dawn Cupido sind die berüchtigten beiden Seiten derselben Medaille. Und beide auf ihre Art schillernde, ambivalente und faszinierende Charaktere. Beide Missbrauchsopfer, aus ähnlichen Verhältnissen stammend, steht Dawn für das Prinzip Hoffnung, währen Vernon eine ständige breiter werdende Spur von Gewalt und Vernichtung hinterlässt. Das Märchenhafte und der Alltag – Roger Smith kämpft sich so wütend wie klar durch beide Alternativen. Wenn am Ende ein Flieger in die Lüfte steigt, ist zwar eine Flucht möglicherweise geglückt, doch an den Verhältnissen und der aufgeladenen Schuld hat sich nichts geändert. Hoffnung ist das Ding mit Flügeln wie wir ja wissen. Manchmal fliegt es, doch noch öfter stürzt es ab.

Stiller Tod ist die faszinierende, düstere und spannende Chronik eines solchen Absturzes. Eigentlich mehrerer. Phönix? Wer weiß…

Patricia Highsmith würde garantiert gefallen, was der kleine, große Smith so treibt. Die explizite Gewaltdarstellung vielleicht nicht; der Rest hingegen schon.

Stiller Tod

Roger Smith, Tropen

Stiller Tod

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Stiller Tod«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren