Winterfest

  • Grafit
  • Erschienen: Januar 2012
  • 2
  • Oslo: Gyldendal, 2011, Titel: 'Vinterstengt', Seiten: 327, Originalsprache
  • Dortmund: Grafit, 2012, Seiten: 384, Übersetzt: Dagmar Lendt
Winterfest
Winterfest
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Andreas Kurth
80°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2012

Einbrecher, Killer und tote Vögel

Der Norweger Ove Bakkerud ist stinksauer. Da will er sein schönes Ferienhaus für den kommenden Winter vorbereiten, und muss feststellen, dass bei ihm eingebrochen wurde. Aus der Wut wird Entsetzen, als er im Nachbarhaus eine Leiche findet. Kommissar William Wisting und sein Team übernehmen den Fall und sichern den Tatort. Auf dem Rückweg zum Präsidium will Wisting einem offenbar verletzten Mann helfen, wird von diesem niedergeschlagen und seines Autos beraubt. Bei den nun folgenden Ermittlungen stellt sich heraus, dass die Polizei vor einem schwierigen Fall mit internationalen Verwicklungen steht. Kompliziert wird die Lage speziell für Wisting, als er herausfindet, dass der Wagen seiner Tochter Line – eine engagierte Kriminalreporterin – zur Tatzeit in der Nähe der Ferienhäuser war. Die junge Frau hat gerade Probleme in ihrer Beziehung und quartiert sich in der Hütte der Familie ein, die in der Nähe des Tatorts liegt. Wisting passt das gar nicht, zumal bald weitere Leichen gefunden werden. Aber Line bleibt stur, sie will ihre Ruhe haben – und aus der lässt sie sich auch nicht bringen, als tote Vögel in Massen vom Himmel fallen. Bis zur Aufklärung des Verbrechens haben William Wisting und seine Kollegen einige harte Nüsse zu knacken, und erst nach einer dramatischen Zuspitzung kommt es zum spannenden Finale.

Jørn Lier Horst zeigt auch in seinem neuen Roman mit dem Ermittler William Wisting, dass er über profunde Insider-Kenntnisse der norwegischen Polizeiarbeit verfügt. Aber nicht nur die Details der Ermittlungen sind recht authentisch, der ganze Roman ist so geschrieben. Da ist beispielsweise William Wisting, ein normal wirkender Polizist, der als Vater einige Sorgen im Hinblick auf seine Tochter hat, und der nach Einblicken in die Sozialstruktur in Litauen einen ganz neuen Blick auf bestimmte Verbrechen in seinem Land bekommt. Seine familiären Probleme wirken höchst gewöhnlich, er ist kein Sonderling, hat nichts mit Alkohol oder Tabletten zu tun, was ja bei den Protagonisten vieler Autoren leider in Mode gekommen ist. Westing ist einfach ein Polizist mit Herz und Verstand, der seine Arbeit ebenso gerne wie gut macht. Zudem ist er ein echter Teamplayer, der abends mit seiner Lebensgefährtin bei einem guten Tropfen abschalten und philosophieren kann. Ein wirklich sympathischer Ermittler, den man gerne bei seiner schwierigen Arbeit begleitet.

Die Geschichte selbst ist ein komplexer Fall, der zunächst für Leser wie Polizisten völlig unübersichtlich bleibt. Erst das Zusammentragen zahlreicher Einzelheiten, die zunächst kaum zusammen hängen, bringt die Ermittler in kleinen Schritten weiter. Beeindruckend war für mich vor allem die Reise, die Westing mit einem Kollegen nach Litauen unternommen hat. Dadurch sind nicht nur die Polizisten weiter gekommen, sondern Kommissar und Leser haben auch einiges zum Nachdenken über den Kriminalfall hinaus.

Bei den Einzelheiten der Ermittlungen ist der Autor akribisch in seiner Beschreibung, was zum Verständnis beiträgt. Es wird auch mal erklärt, warum bestimmte Fakten relevant sind. Das macht die Lektüre auch für Leser interessant und angenehm, die nicht schon Hunderte von Kriminalromanen verschlungen haben, und deshalb für etwas eingehendere Erklärungen noch dankbar sind.

Sehr gekonnt wird übrigens auch das Rätsel um die toten Vögel, was sich wie ein roter Faden durch weite Teile des Buches zieht, im Finale aufgelöst. Man denkt zunächst an eine Nebengeschichte, die gar nichts in diesem Roman zu suchen hat – und ist ob der Einfachheit der Erklärung am Ende wirklich verblüfft. Solche Details zeigen in meinen Augen, dass die gut erzählten Geschichten von Jørn Lier Horst von Anfang bis Ende hervorragend durchdacht sind.

Dazu trägt der lockere, und sprachlich dennoch anspruchsvolle Erzählstil des Autors bei. Er verknüpft seine atmosphärischen Schilderungen hervorragend mit der Kriminalgeschichte, die er stufenweise spannender macht, wobei der Leser durch die interessanten Charaktere und die Rätselhaftigkeit der Handlung von Beginn an gefesselt wird. Für mich war Winterfest der erste Roman von Jørn Lier Horst, aber das war überhaupt kein Problem. Es wird nichts aus den Vorgängerbänden voraus gesetzt, einige Details werden en passant erklärt, und das reicht völlig aus. Klar ist jetzt aber, dass dieses Buch nicht das letzte von Horst für mich bleiben wird, denn William Westing hat noch reichlich Potenzial – und der Autor ebenso.

Winterfest

Jørn Lier Horst, Grafit

Winterfest

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