Die Bruderschaft der Nacht
- List
- Erschienen: Januar 2012
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- New York: Atria, 2010, Titel: 'The whisperers', Seiten: 409, Originalsprache
- Berlin: List, 2012, Seiten: 432, Übersetzt: Georg Schmidt
Böser Zauber aus dem Morgenland
Während des Zweiten Irakkriegs nutzten in Bagdad Diebe die Gelegenheit, das Nationalmuseum des Landes auszuplündern. Unter denen, die antike Schätze an sich gerafft haben, war auch eine Gruppe US-amerikanischer Soldaten. Ihre Beute haben sie nach Kanada geschafft. Nach und nach schlagen sie die Stücke los. Wird ein Käufer gefunden, bringt der ehemalige Truppführer und jetzige Truckfahrer Joel Tobias die Ware heimlich über die Grenze in die USA.
Dieses lukrative Geschäft erregt das Aufsehen jener gut organisierten Banden, die den Schmuggel zwischen den USA und Kanada unter sich aufgeteilt haben. Sie fordern einen Anteil, den ihnen die militärisch organisierte Gruppe bisher versagte. Allerdings nimmt die Zahl der Ex-Soldaten ständig ab. Posttraumatische Störungen und Selbstmorde nach schrecklichen Kriegserlebnissen galten bisher als Erklärung. Nur die Toten wissen es besser: Unter den Beutestücken aus dem Irak befindet sich auch eine vielfach gesicherte Schatulle. Dass darin drei uralte Dämonen gefangen sitzen, ist den historisch wenig interessierten Dieben unbekannt. Die Kreaturen wollen ihrer Natur gemäß das Böse säen, und so geschieht es auch in Nordamerika.
Unter denen, die von den Dämonen in den Tod getrieben wurden, ist der Soldat Damien Pratchett. Sein Vater, der in dem kleinen Ort Scarborough im US-Staat Maine ein Restaurant führt, will nicht an Selbstmord glauben. Er macht die Männer um Joel Tobias und deren krumme Geschäfte verantwortlich und engagiert den ortsansässigen Privatdetektiv Charlie "Bird" Parker mit entsprechenden Ermittlungen.
Parker ist ein Getriebener, der mit Gangstern ebenso häufig zu tun hat wie mit Geistern. Auch dieses Mal gerät er wieder zwischen die Fronten. Nicht nur die Ex-Soldaten sitzen ihm bald im Nacken, sondern auch andere, weniger irdische Mächte, die ebenfalls die Dämonen-Schatulle um wirklich jeden Preis an sich bringen wollen …
Alle Jahre wieder …
… kehrt ´Detektiv´ Charlie "Bird" Parker zurück, der sich in seinem aktuellen Fall endlich eingesteht, was wir Leser schon lange wissen: Er ist kein Kriminalist, und er war es nie. Stattdessen ist er ein Kreuzritter, der nicht mehr in eiserner Rüstung und mit dem Schwert in der Faust das Heilige Land befreien will, sondern sehr modern und gut bewaffnet den nicht unbedingt lebendigen aber trotzdem agilen Übeln dieser und anderer Welten zu Leibe rückt.
In seinem neunten Roman-Abenteuer spielen Gauner nichtsdestotrotz eine große Rolle. Das jenseitige Böse bedient sich seit jeher menschlicher Handlanger, die mit Geld und Macht geködert werden. Parker gerät zu allem Überfluss an ehemalige Soldaten, die auch im kriminellen Zivilleben nichts von ihrer Ausbildung vergessen und den antrainierten Tötungsreflex perfektioniert haben. Zu ihnen gesellen sich vertierte Drittwelt-Schmuggler, die Konkurrenten am liebsten abschlachten, sowie diverse US-Behörden, die durch die systematische Schwächung der Menschenrechte nach dem 11. September 2001 förmlich von der Kette gelassen wurden.
Auch auf dämonischer Seite geht es lebhaft zu. Zu den drei mehr schlecht als recht in ihrer Schatulle eingesperrten Dschinn gesellen sich ein vom Krebs zerfressener Mord-Erpresser sowie der "Kollektor", ein weiterer, vermutlich nur äußerlich menschlicher Kreuzritter, dem Parker bereits früher begegnet ist. Im Hintergrund lauert der "Käpt’n", der wahrscheinlich Satan höchstpersönlich ist, und wo noch Platz ist, tummeln sich "hohle Männer" u. a. verlorene Seelen.
Gedränge auf dem Schlachtfeld
Die Auflistung der beteiligten Parteien verdeutlicht das grundsätzliche Problem dieser Geschichte: Die Beteiligten sind so zahlreich, dass sie sich nicht nur quasi auf die Füße treten. Faktisch sind sogar noch mehr Figuren im Spiel, denn selbstverständlich geben sich auch Parkers Killer-Freunde Louis und Angel wieder die Ehre. Irgendwie quetscht Autor Connolly sie noch in eine Handlung, die ohnehin in ihren Fugen ächzt.
Eigentlich gibt es so etwas wie eine Handlung gar nicht. 400 Buchseiten vergehen über den Schilderungen spannender, interessanter oder unheimlicher Episoden, die in ihrer Gesamtheit einen Höhepunkt andeuten, der in der der erwarteten Wucht nie kommt. Die Auflösung ist beiläufig, mehr pflichtschuldig werden sämtliche Strolche vertilgt und die Tore der Hölle wieder verschlossen.
Connolly geht es dieses Mal allzu deutlich um ein anderes Thema. Er beschäftigt sich mit der Problematik einer US-Kriegsführung, die sich nach außen als perfekte Militär-Maschine darstellt, während nicht nur Kriegsverbrechen, sondern auch Verschwendung und Korruption alltägliche Zustände darstellen. Noch schlimmer ist die Behandlung der eigenen Soldaten, die ernsthaft verletzt als lästige Kostenfaktoren abgeschoben werden. Zudem gelten die an Körper und Geist versehrten Veteranen als hässliche Erinnerung an die Tatsache, dass Soldaten im Krieg verletzt und getötet werden können, was sich ungünstig auf die Rekrutenwerbung auswirkt.
Nicht dazugelernt, nie einsichtig
Am liebsten sind Regierung und Militär im Kampf gefallene Soldaten. Sie kehren im geschlossenen Sarg heim, sprechen nicht über ihre schrecklichen Erfahrungen und können als ´Helden´ mit Vorbildfunktion verklärt werden. Connolly widmet sich ausführlich der gar nicht zahlenarmen Minderheit, die überlebt hat, um sich nun sowohl mit den oft lebenslangen Negativfolgen ihres Kriegseinsatzes auseinandersetzen, als auch entdecken zu müssen, dass die ihnen bei der Einschreibung in die Soldatenrolle versprochene Leistungen und Renten unter fadenscheinigen aber rechtlich abgesicherten Gründen vorenthalten werden.
Normalerweise richtet sich die von den vergessenen Veteranen ausgeübte Gewalt gegen sich selbst, die mit Alkohol und Drogen gegen ihre Schmerzen und Ängste kämpfen. Connolly geht einen Schritt weiter. Er postuliert eine desillusionierte Soldatengruppe, die ihre Ausbildung einsetzt, um eigennützig einen Privatkrieg im eigenen Land zu führen. Die Gegner sind nun Justiz und Polizei, hinzu kommt die kriminelle ´Konkurrenz´.
Während diese Idee der Handlung zugutekommt, sorgen Connollys immer wieder eingeschobenen Medizin- und Psychologie-Lektionen ebenso für Stockungen wie seine Schilderungen dessen, was militärisch im Nahen Osten schiefläuft. Diese schon offensive Einbindung von Realitäten beißt sich zusätzlich mit dem übernatürlichen Element: Der Geist von Abu-Ghuraib duldet keinen Trivial-Spuk neben sich.
Die geheime Geschichte dieser Welt
Ohnehin sind die meisten der von Connolly eingeführten Gruselbolde damit beschäftigt, Anschluss an ihre Opfer zu finden, die sie erst im Finale zu fassen bekommen. Nicht einmal die drei angeblich so mächtigen Dämonen können sich frei entfalten. Als sie endlich aus ihrer Schatulle freikommen, benehmen sie sich beinahe handzahm.
Einmal mehr deutet Connolly eine ´parallele´ Historie zur bekannten Weltgeschichte an. Der in seiner Mehrheit ahnungslose Mensch teilt diese Erde seit Urzeiten mit Geistern und Dämonen aller Art. Offenbar geht dieser Zwist auf Luzifers Aufstand gegen Gott zurück, der mehr oder weniger heimlich bis in die Gegenwart fortgesetzt wird. Wirklich voran geht es in dieser Sache allerdings nicht. Connolly ergeht sich in Andeutungen, wo längst Erklärungen hätten folgen sollen.
Stattdessen bedient sich der Verfasser erneut bekannter Muster. Dazu gehört traditionell der ´Bösewicht des aktuellen Buches´, der nicht nur abgrundtief böse ist, sondern dem dies ins Gesicht geschrieben steht. Dem Teufelsdiener Hesod schmilzt das Fleisch von den Knochen, was ihn an die Seite früherer Connolly-Schurken wie Caleb Kyle, Pudd oder Brightwell stellt. Sein Ende ist ebenfalls obligatorisch und ausgesucht grässlich, um Platz für den nächsten verunstalteten Finsterling zu machen.
Wie könnte es weitergehen?
Weiterhin schreibt John Connolly spannend und hat die Dualität von Thriller und Horror im Griff. Doch längst lassen sich Handlungsroutinen erkennen, die auf ein zu ausgiebiges Auswalzen der Story hindeuten. Die emotionale Wucht der ersten "Parker"-Romane ist endgültig dahin. Das ständige Beschwören einer unheilvollen Stimmung erzeugt nur noch ein Echo der früheren Eindringlichkeit. Die "Parker"-Saga soll nach dem Willen ihres Schöpfers mehr bieten als eine Abfolge abenteuerlicher Episoden. Wenn er an diesem Konzept festhalten möchte, muss er den roten Faden wieder stärker spannen. Charlie Parker hat es nicht verdient, als simpler Ghostbuster zu enden!
PS.: Eine Bruderschaft der Nacht glänzt in dieser Geschichte übrigens durch Abwesenheit. Im Original trägt der Roman den Titel "Die Flüsterer", der wesentlich besser passt, für die deutsche Fassung aber offensichtlich käuferlockend ´aufgepeppt´ werden musste.
John Connolly, List
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