Elf Abenteuer des Joe Jenkins

  • Tally-Ho!
  • Erschienen: Januar 2012
  • 3
  • Straßburg; Leipzig: Singer, 1915, Seiten: 261, Originalsprache
  • Berlin: J. Singer, 1927, Seiten: 262, Originalsprache
  • Berlin: Tally-Ho!, 2012, Seiten: 212
Elf Abenteuer des Joe Jenkins
Elf Abenteuer des Joe Jenkins
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Michael Drewniok
70°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2012

Gute, alte Zeit mit soliden Übeltaten

 Unmögliche Übeltaten sind die Spezialität des Detektivs Joe Jenkins, der im Europa des Jahres 1915 elf eben doch nicht so genialen Gaunern auf die Schliche kommt:

- Gestatten, Paul Rosenheyn. Eine kurze Vorstellung von Rob Reef, S. 7-9

- Das grüne Licht, S. 13-37: Über nur scheinbar gut versteckten Geheimpapieren leuchtet immer wieder ein unheimliches Licht, das Joe Jenkins einem sehr realen Verursacher zuordnen kann.

- Wenn die Toten wiederkehren, S. 38-54: Als die Gattin ihren verstorbenen Ehemann zu sichten glaubt, landet sie in der Zwangsjacke; Joe Jenkins sieht Zusammenhänge zwischen dem Spuk und einem reichen Erbe.

- Proszeniumsloge Nr. 1, S. 55-72: Dass ausgerechnet ein Prominenten-Mord den erfolgreichen Start einer neuen Zeitung begleitet, ruft Joe Jenkins auf den Plan.

- Der Geldbrief, S. 73-83: Der Raum war nachweislich fest verschlossen, trotzdem verschwand der titelgebende Brief; Joe Jenkins löst das Rätsel und damit den Fall.

- Ein Ruf in der Nacht, S. 85-97: Nächtliche Telefonanrufe und mysteriöse Botschaften ängstigen einen Fabrikanten, bis Joe Jenkins dem Geheimnis auf den profanen Grund geht.

- Das Haus im Schatten, S. 99-111: Was sein neuer Mieter in dem alten Gebäude treibt, dünkt den Besitzer so seltsam, dass er Joe Jenkins um Hilfe bittet.

- Das Logenbillett, S. 113-123: Der Einbruch scheint ein klarer Fall zu sein, bis Joe Jenkins entdeckt, dass der geleerte Safe von innen aufgeschweißt wurde.

- Rauch im Westwind!, S. 125-143: Die Elite der skandinavischen Flugpioniere wird durch eine Absturzserie dezimiert, der Joe Jenkins ein Ende zu bereiten gedenkt.

- Der Similischmuck, S. 145-170: Dass die junge Frau vom einem Hausierer Schmuck erwarb, dessen Wert sich im sechsstelligen Bereich bewegt, kommt nicht nur dem Gatten, sondern auch Joe Jenkins verdächtig vor.

- Die Amati, S. 171-192: Der Musikus fühlt sich von einem gespenstischen Doppelgänger verfolgt, aber nach Joe Jenkins´ Meinung spukt diesem Geist vor allem die wertvolle Geige seines Opfers im Kopf herum.

- Die Visitenkarte, S. 195-212: Immer wieder werden dem reichen Geschäftsmann die Visitenkarten eines längst verstorbenen Zahnarztes zugeschickt; Joe Jenkins klärt mit dem Rätsel auch eine alte Tragödie auf.

Von wegen "altmodisch"!

Das Jahr 1915 dürften die meisten Menschen des 21. Jahrhunderts mit der Zeit Napoleons oder gar dem Mittelalter gleichsetzen. Auf flimmernden, stummen Filmbildern eilen seltsam gekleidete Männer und Frauen zappelig über seltsame Schauplätze; man möchte sie fast bedauern, weil sie in einer Welt ohne Fernsehen, Internet oder Handy leben mussten.

Doch solches Mitleid wäre nicht nur fehl am Platz, sondern denkbar falsch. Das Leben in einer Großstadt wie Berlin – hier spielen die meisten Joe-Jenkins-Geschichten dieses Bandes – war 1915 erstaunlich modern. Es gab Elektrizität, Automobile oder das Telefon; diese und viele andere Errungenschaften waren längst im alltäglichen Einsatz, und Joe Jenkins bedient sich ihrer mit virtuosem Geschick. Hinzu kam ein Eisenbahnnetz, dessen Funktionalität die Kaputtsparer der Gegenwart schamvoll erröten lassen müsste: Jenkins hat kein Problem, jede Großstadt Europas binnen beachtlich kurzer Zeit zu erreichen, und über die Meere dieser Welt spannt sich zusätzlich ein dichtes Netz gut organisierter Schifffahrtslinien. Das Telegramm ersetzt sehr effizient SMS und E-Mail. Jenkins kann problemlos diesseits und jenseits des Großen Teiches arbeiten.

Die Selbstverständlichkeit, mit der sich die Protagonisten der hier gesammelten Geschichten in einer gar nicht primitiven Vergangenheit – die für sie natürlich Gegenwart ist – tummeln, bildet ein Jahrhundert später sicher die größte Überraschung für den Leser. Auch die Sprache stört nicht den Lektüregenuss, obwohl es natürlich steife Formulierungen und Begriffe gibt, die inzwischen dem Zahn der Zeit zum Opfer fielen. (Für die Neuausgabe griff Herausgeber Reef hier und da behutsam ein; aus einem "Nigger", der 1915 ebenso selbstverständlich wie heute undenkbar so genannt werden konnte, wurde beispielsweise ein "Schwarzer".)

Verbrechen ist nicht ganz zeitlos

Das Alter der Geschichten macht sich anderweitig bemerkbar. Der schon modernen Technik hinken die Menschen in ihrem Denken und Handeln deutlich hinterher. Die Gesellschaftsordnung wird noch stark durch eine Vergangenheit geprägt, die dem Adel quasi automatisch einen höheren Status zubilligte als dem womöglich ebenso vermögenden aber ´gewöhnlichen´ Fabrikanten und Geschäftsmann. In den Nischen dieses Kastensystems kann sich ein Mann wie Joe Jenkins frei bewegen. Er verkörpert in gewisser Weise die Zukunft: Nicht der in die Wege gelegte Stand, sondern Intelligenz und Erfolg öffnen Jenkins alle Türen. Dies gilt nicht nur für Deutschland, sondern auch für den Rest der (zivilisierten) Welt, denn Joe Jenkins ist das frühe Exemplar eines ´globalisierten´ Menschen, der sich um politische Grenzen wenig schert.

Diese Freiheit ermöglicht es ihm, hinter Fassaden zu blicken sowie sich die Starrheit des Systems zunutze zu machen. Jenkins ist selbstverständlich auch ein Meister der Maske. Als solcher imitiert er das zum jeweiligen Umfeld passende Verhalten und verschmilzt so mit den dort ahnungslos bleibenden Menschen, denen ein solches Verhalten fremd ist. Auf diese Weise gelingen Jenkins Tarnungserfolge, die der heutige Leser, dem die Getäuschten außergewöhnlich naiv erscheinen, schwer nachvollziehen kann. Zusätzlich irritierend ist ein sentimentaler Grundton, der Gefühle zur Rührseligkeit ausarten lässt: Jede Zeit rührt auf ihre eigenen Weise am Herzen des Lesers!

Ermittler der Stirn und der Faust

Zwar ist Joe Jenkins ebenso wie sein Vorbild Sherlock Holmes eine reine Kunstfigur. Dennoch gibt es beträchtliche Unterschiede, die sich nicht darauf beschränken, dass Jenkins wesentlich wagemutiger und aktiver wirkt. Noch wesentlich stärker als bei Arthur Conan Doyle steht für Paul Rosenhayn "der Fall" im Mittelpunkt. Das Cover der aktuellen Neuausgabe greift die Konsequenz zufällig aber zutreffend auf: Es zeigt Jenkins als Mann ohne Gesichtszüge.

In der Tat ist dieser Detektiv weniger Mensch als "thinking machine" – ein Ermittlungs-Roboter, dem Gefühle völlig fremd zu sein scheinen. Doyle ergänzte seine Holmes-Geschichten klug durch Passagen, die den Detektiv als beherrschten und exzentrischen aber eben auch menschlichen Helden zeigten. Die daraus resultierende Identifizierung des Lesers mit Holmes geht Jenkins vollständig ab. Zumindest in diesen elf Abenteuern zeigt er Teflon statt Gemüt. Selbst der Name ist nichtssagend, obwohl ihn Gut & Böse in aller Welt kennt und ehrfürchtig bzw. angstvoll ausspricht. Wir mögen Jenkins bewundern, aber wir bangen weder mit noch um ihn.

Zumal Jenkins niemals wirklich in Gefahr gerät. Manchmal gerät er in Fallen. Kurz darauf stellt sich heraus, dass er über deren Vorhandensein längst informiert war und Gegenmaßnahmen ergriffen hat. Jenkins kann und weiß im Grunde alles. Er scheint auf ein beachtliches Netz von Informanten und Helfern zurückzugreifen, doch Rosenhayn geht diesbezüglich nie ins Detail. Auch einen Watson, der nicht nur berichtet, sondern auch kommentiert, gibt es nicht.

Die Emotionslosigkeit einer Figur, die immerhin eine eigene Serie trägt, überrascht sehr. Dass Rosenhayn schnell schrieb und die Joe-Jenkins-Geschichten triviale Unterhaltung bieten sollten, muss dafür nicht verantwortlich sein, denn Conan Doyle war ähnlich rasch mit der Feder. Rosenhayn hat Jenkins womöglich absichtlich schwach konturiert. Seine Leser scheint dies nie gestört zu haben. Bis zu Rosenhayns Tod lasen sie begeistert immer neue Jenkins-Geschichten und -Romane.

Die Mechanismen der Spannung

Dafür griff Rosenhayn oft und tief in die Trickkiste. Was Spannung versprach, wurde aufgegriffen. Gern arbeitete der Autor mit Elementen des Schauerromans. Geister und verrückte Wissenschaftler schienen ihr Unwesen zu treiben und wurden von Rosenhayn mit entsprechenden stilistischen Mitteln heraufbeschworen, um in einem doppelt überraschenden Finale erstens auf menschliche Umtriebe zurückgeführt zu werden, während zweitens der Verursacher als Übeltäter identifiziert wurde. Dabei riss Rosenhayn meist die Maske vom Gesicht eines Biedermanns, der bisher als unverdächtiger Zeuge oder gar als Opfer galt.

Diese Szenen wirken heute wenig überraschend. Oft ahnt oder weiß der Leser bereits, wer hinter der jeweiligen Lumperei steckt. Hier gilt es zu berücksichtigen, dass Rosenhayn für ein Publikum schrieb, das 1915 noch längst nicht so ´erfahren´ und für das folglich vieles neu und erstaunlich war. So dürfte eine Geschichte wie "Proszeniumsloge Nr. 1", die schließlich in der Identität von Erzähler und Täter gipfelt, für Aufsehen gesorgt haben. Heute gilt immerhin anzumerken, dass Agatha Christie erst 1926 (in The Murder of Roger Ackroyd, dt. Alibi) auf diese Idee kam!

Bereits Anfang des 20. Jahrhunderts entstanden also in Deutschland Kriminalgeschichten, die sich auch heute noch spannend und interessant zugleich lesen. Selten genug werden sie der Vergessenheit entrissen, Dass Robert Schulze das Risiko einging, Joe Jenkins nach vielen Jahrzehnten eines reinen Archivdaseins wieder aufzulegen, sollte die verdiente Aufmerksamkeit in Gestalt vieler interessierter Leser finden. Krimi-Klassik ist keine rein britische Angelegenheit – auch hierzulande wurde sie gepflegt.

Elf Abenteuer des Joe Jenkins

Paul Rosenhayn, Tally-Ho!

Elf Abenteuer des Joe Jenkins

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