Vollnarkose
- Heyne
- Erschienen: Januar 2013
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- London: Headline, 2010, Titel: 'Dr. Yes', Seiten: 439, Originalsprache
- München: Heyne, 2013, Seiten: 400, Übersetzt: Alexander Wagner
Wo hast du den kleinen Affen her, Liebling?
Manches ändert sich nicht: Das "Kein Alibi" hat immer noch eine überschaubare Anzahl Kunden, der namenlose Buchhändler hegt weiterhin wesentlich mehr Sympathie für seine (antiquarischen) Bücher als für seine Mitmenschen, er hypochondriert, wenn auch nicht mehr ganz so exzessiv wie in den Vorgängern, bleibt ein großmäuliger Feigling, der liebend gerne seine schwangere Freundin Alison vorschickt oder ihre Visitenkarte verteilt, wenn es brenzlig werden könnte.
Und brenzlig wird es in der Tat. Denn als der Buchhändler und halbprofessionelle Detektiv den erfolglosen Kult-Krimi-Autor Augustine Wogan in seine Buchhandlung lotst, hat er alsbald einen Mitbewohner und später eine Leiche am Hals. Ein Selbstmord, den der Protagonist auf findige Weise als Mord enttarnt. Worauf Nordirland in Not gerät; zumindest ein Trio ist in Nöten: Zum Chef gesellen sich noch Alison und der ewig gebeutelte und malträtierte Handlanger Jeff (mit einer unseligen Vorliebe für Lyrik. Bei rätselhaften Machenschaften um die Schönheitsklinik des angesehenen Dr. Yeschnikow (kurz: Dr. Yes) tummeln sich nicht nur wunderhübsch modellierte Blondinen mit kriminellem und sonstigem Ehrgeiz, sondern auch vermeintliche Profikiller und brutale Schlägertypen.
Zum Finale trifft sich alles – standes- und genregerecht – im "Kein Alibi" und der literaturbeflissene Detektiv gibt den Hercule Poirot, für eine komplexe Auflösung des doch sehr konfusen Falles sorgend.
Das Verbrechen und seine Aufklärung sind nicht die Stärke des dritten Romans mit dem feigen, selbstverliebten, charmanten Ekel in der erzählerischen Mitte. Bateman legt zwar zahlreiche falsche Fährten, bringt seine Hauptfiguren gelegentlich in Bedrängnis, doch richtige Spannung stellt sich selten ein. Zu klein ist das Feld der Verdächtigen, zu viel darf der Buchhändler räsonieren und lamentieren, ohne dass jede Pointe sitzt, jede ätzende Bemerkung von galligem Humor ist. Man kennt sich halt, und in der Beziehung der Figuren verändert sich zu wenig, um hier die Dramatik hochzuhalten. Das läuft etwa wie folgt ab: Jeff erledigt einen Ermittlungsauftrag erfolgreicher als erwartet, der Erzähler ist neidisch, beleidigt Jeff, der sich nach Kräften wehrt, bis er vom Buchhändler verbal oder körperlich eine deftige Kopfnuss verpasst bekommt, worauf er sich schmollend verzieht, um aber immer wiederzukommen. Ohne das der Buchhändler einen Anflug von Unrechtsbewusstsein oder gar schlechtem Gewissen besitzt… Dieses wenig variierte Wechselspiel ist auf Dauer ziemlich ermüdend.
Demgegenüber gelingen Bateman hin und wieder großartige und überraschende Szenen. Wenn beispielsweise zwei Schläger den Hobbydetektiv erst verprügeln und seine Buchregale ausräumen – was ihn weit mehr als die gebrochene Nase schmerzt -, anschließend aber bei einem Pläuschchen verweilen, über verpasste Chancen und Möglichkeiten reden, um dann beim Aufräumen zu helfen. Worauf einer der Beiden den ersten Spenser-Roman Robert B. Parkers geschenkt bekommt, was der wenig eingeschüchterte, obwohl ängstliche Protagonist als "Kundenfang" verbucht.
Launig wird es ebenfalls, wenn der "Held" durchaus fundiert über Kriminalliteratur referiert; seine scharfzüngige Kritik ist oft zutreffend. Besonders im Blickpunkt steht im vorliegenden Roman Agatha Christie, an deren Werk sich Vollnarkose. Killer, Chirurgen und verdammt scharfe Schwestern gestalterisch orientiert. Ein Whodunit mit linden Überraschungen und Spitzen gegen Cluedo. Beim geradezu klassischen Showdown versammelt der Detektiv alle Verdächtigen an einem Ort seiner Wahl und liefert unter Anwesenheit der Polizei einen Beweis seiner überragenden deduktiven Fähigkeiten ab. Natürlich versetzt mit den für Bateman typischen, ironischen Brüchen.
Wie es im Buch heißt:
Kriminalliteratur basiert im Wesentlichen auf einer Reihe von Versatzstücken, die wie tektonische Platten in der Erdkruste nicht immer glatt ineinandergefügt sind und gelegentlich zusammenprallen, was Erdbeben und Vulkanausbrüche zur Folge hat, und es ist unzweifelhaft so, dass sämtliche Krimiautoren, trotz gewisser Unterschiede in Stil und Thematik, auf die von Agatha entwickelten Versatzstücke zurückgreifen. Sie ist die Quelle des Nils.
Agatha wusste, wie wichtig es ist, im Verlauf der Handlung immer wieder mal innezuhalten […].
Das haben Bateman und seine Hauptfigur verinnerlicht. Manchmal übertreiben sie es mit dem Innehalten, sonnen sich zu sehr im eigenen Glanze. Die Handlung tritt derweil auf der Stelle, während eng verwandte Wortgefechte wieder und wieder ausgefochten werden. Verbale Vollnarkose. Die unterhaltsamen Momente überwiegen zwar, doch für die Zukunft müssen Variationen, Veränderungen her, sonst läuft sich die Masche tot. Wie der magere Schlussgag, der, so erwartet wie banal, sinnlos verpufft.
Colin Bateman, Heyne
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