Im Süden

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2012
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  • New York: Mulhholland, 2011, Titel: 'The Bayou trilogy', Seiten: 470, Originalsprache
  • München: Heyne, 2012, Seiten: 650, Übersetzt: Christine Strüh, Adelheid Zöfel, Teja Schwaner & Lothar Strüh
Im Süden
Im Süden
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Jochen König
87°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2012

There's a bad moon on the rise...

Under The Bright Light, der erste Band der "Bayou Trilogie" erschien kurz vor James Lee Burkes Dave Robicheaux-Debüt Neon-Rain, doch eilfertige Kritiker "schmückten" Daniel Woodrell mit dem Emblem ein "James Lee Burke ohne Abitur" zu sein, was Woodrell derart traf, dass er für einige Zeit das Schreiben einstellte. So ist es im "Bonusmaterial" nachzulesen, bei dem es sich um nichts anderes als ein ansprechendes Vorwort Frank Göhres handelt.

Dabei haben Burkes und Woodrells Romane wenig mehr gemein als die Born-On-The-Bayou-Verwandtschaft und die Einbeziehung der einzigartigen Landschaft ins Geschehen. Wobei dies Burke wesentlich exzessiver betreibt als Woodrell in seinem ersten Roman. Burkes gelegentlicher, dann aber expliziter, Hang zu Mystik und der Auseinandersetzung mit dem Katholizismus geht Woodrell ab, seine Protagonisten hängen zumeist viel zu tief im bedrohlichen Tagesgeschäft fest, um sich Gedanken über die spirituelle Erlösung machen zu können. Wenn es doch passiert, dann kurz, knapp, geprägt von präziser Alltagsweisheit. Und während Burke eher elliptisch erzählt, mit einer klaren Hauptfigur, bevorzugt Woodrell kaleidoskopische Zersplitterung.

Spätestens im dritten Roman John X ist Rene Shade, der die ersten beiden Bücher zusammenhielt, nur noch eine gleichwertige Figur unter anderen. Steht zuerst John X, der treulose Vater der Gebrüder Shade im Mittelpunkt, gewinnen später die frühreife Tochter Etta samt adoptierter Mutter Monique sowie der fiese Killer Lunch, vor dem John mit seinem Kind auf der Flucht ist, an Raum. Letztlich ist das Einzige wozu solch ein Vergleich taugt, die Erkenntnis, dass beide Autoren wunderbar nebeneinander bestehen können und trotz ähnlicher Interessen andere Blickwinkel wählen. Wobei in den letzten Jahren, zumindest hier in Deutschland, James Lee Burkes hervorragende Bücher äußerst stiefmütterlich bis gar nicht mehr behandelt werden, während das Interesse an Daniel Woodrells Werken wächst.

Im Mittelpunkt der Trilogie steht die fiktive Stadt St. Bruno, irgendwo in den stickigen Sümpfen Louisianas gelegen, als Dreh-, Angel und Fluchtpunkt. Hier lebt und arbeitet die Familie Shade. Der ehemalige Boxer Rene als Cop, seine Brüder Tip und Francois als Barbesitzer, bzw. Staatsanwalt. Mutter Monique betreibt den örtlichen Bllardsalon. Die Billard-Legende John X. Shade, Vater der drei Brüder, hat seine Familie vor Jahren sitzen gelassen und hat sich weitgehend in Luft aufgelöst. Im dritten Band wird er allerdings nach St. Bruno zurückkehren. Die elfjährige Halbschwester der Brüder und gute Vorsätze im Schlepptau.

In St. Bruno herrscht ein geregeltes Gesellschaftsleben: Politik, Justiz und Verbrechen praktizieren den Schulterschluss; so lange Geld fließt, jeder Ganove und Glücksspieler in seinem Segment tätig ist, herrscht eitel Sonnenschein. Die Pfründe sind aufgeteilt, Zuwiderhandlungen gegen den gesellschaftlichen Konsens können durchaus tödlich enden. Möglich sogar, dass ein Cop beauftragt wird, den (inoffiziell) amtlich abgesegneten Tötungsbefehl auszuführen. Ein Gehabe, dass dem angeschlagenen Boxer mit Gerechtigkeitssinn Rene Shade massiv gegen den Strich geht. Versucht er im ersten Roman vorgeblich den Mord an einem dunkelhäutigen Politiker und der Revanche-Tat an seinem mutmaßlichen Mörder aufzuklären, wird er schon hier nicht nur zum Verfolger sondern geradezu Beschützer eines ortsfremden jungen Killers, der mit großen Plänen nach St. Bruno reiste. Zwar wirbelt er Staub auf, doch am Ende herrscht wieder Ruhe in der ehrenhaften Gesellschaft St. Brunos.

Im zweiten Roman wird das Gefüge noch nachhaltiger gestört. Ein tumbes Trio sprengt gewaltsam eine geschützte Glücksspielgesellschaft. Ein toter Polizist bleibt zurück. Rene wird eingeschaltet, mit dem drängenden Verlangen, dass eine Verhaftung der lebenden Täter nicht gewünscht sei. Dieses Ansinnen widerstrebt dem Aufrechten, und so wird er gleichzeitig zur Nemesis und verhindertem Schutzengel der Gangster, denen es spielend gelingt, sich immer tiefer in die Bredouille zu reiten.

Im abschließenden Band ist Rene konsequenterweise suspendiert und hat Zeit sein Privatleben zu meistern. Und damit seine berufliche Zukunft. Abseits von St. Bruno? Die schwangere Dauerfreundin Nicole fordert ihren Lover, der sich nach Stabilität sehnt. Rollenverhältnisse werden von Woodrell geradezu spielerisch umgekehrt. Während der Mann sein Interesse am Eheleben entdeckt, kämpft die Frau um die Bewahrung ihrer Unabhängigkeit.

Die Bayou-Trilogie ist prall voller Anekdoten, Geschichten, Schicksale; Woodrell gibt Nebenfiguren erzählerischen Raum; wichtiger als Kriminalfälle, Ermittlungen und Schilderungen durchaus vorhandener, recht exzessiver, Gewalttätigkeiten ist ihm die Auslotung dessen, was das Leben mit Inhalten ausfüllt. Der Kampf um Anerkennung, Selbstbestimmung und –befriedigung, die Sehnsucht nach dem "Mehr", das in den täglichen Anforderungen und Restriktionen untergeht und letztlich der Umgang, die Befreiung oder der Untergang zwischen Schuld und Sühne. Zumindest bei den Menschen, die sich nicht gedankenlos mit Alltagsfunktionalität zufrieden geben. Davon siedelt Woodrell einige Exemplare in und um St. Bruno an. Zerbrechende und Zerbrochene, Lebende wie Tote, Menschen am Beginn des Kampfes, der Leben heißt und Menschen an dessen Ende. In der Mitte die Saturierten, Zufriedenen, Glücklichen und Unglücklichen, die gar nicht mitbekommen, wenn etwa aus dem Ruder läuft. Oder bereits gelaufen ist.

So ist insbesondere John X viel näher an Cormac McCarthy als an James Lee Burke. Denn auch hier zeigt sich, dass Amerika No Country For Old Men ist. Während der bis dato verantwortungslose John X. Shade am Ende Schuld auf sich lädt, die er eigentlich gar nicht zu tragen bräuchte, bemerkt die unberechenbare, eiskalte, kleinwüchsige Ausgeburt eines perfiden Killers nicht einmal, dass seine Zeit längst gekommen ist, und er schon zu den Toten gehört.

So kann es sich John X auch erlauben mit einem Anti-Climax zu enden, einer nostalgischen Erinnerung eingekapselt in einem kleinen Witz, der dem Gestus, der Oberfläche huldigt, nicht dem Sein.

Man schlägt Im Süden zu und möchte wissen wie es weitergeht mit Rene, Tip und dem blassesten Bruder, Francois Shade, was aus Etta wird, aus Nicole und Monique. Und aus Lunch, dem kleinen Killer auf dem absteigenden Ast. Bei John X herrscht Klarheit. Innerer Frieden oder so. Tatsächlich? Sacken lassen…

Daniel Woodrell hat den Bayou verlassen. Schade eigentlich. Doch findet in den Ozarks seine Erfüllung, was in St. Bruno begann. Kleiner Umweg über den Wilden Westen inklusive.

Die "Bayou-Trilogie" war schon ein lesenswertes Unterfangen in den erstmaligen – unabhängig voneinander erschienenen – Veröffentlichungen im Heyne-Verlag (Cajun Blues, Zoff für die Bosse), bzw. bei Rowohlt (John X). Daran hat sich für den Sammelband in dezent überarbeiteter Übersetzung nichts geändert.

Im Süden

Daniel Woodrell, Heyne

Im Süden

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