Blind vor Wut

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2012
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  • New York: Lancer, 1972, Titel: 'Child of rage', Originalsprache
  • München: Heyne, 2012, Seiten: 356, Übersetzt: Peter Torberg
Blind vor Wut
Blind vor Wut
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Tim König
68°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2012

I've had my face dragged in fifteen miles of shit, and I do not like it

Gott ist nicht tot. Er hat nur den Verstand verloren. Der göttliche Verstand landete bei Allen Smith, den Protagonisten aus Blind vor Wut und Howard Lansdale aus der Kurzgeschiche Ein Pferd in der Babywanne. Alles andere ging den Bach runter.

Ein Vorwort versucht uns zu warnen: Child of Rage, so der Originaltitel von Blind vor Wut, sei vieldiskutiert, aber wenig gelesen geworden. Es sei ein verwirrtes, wütendes Buch. Es gehe nicht nur an die Grenzen des Verständnisses, sondern auch an die Grenzen des Erträglichen.

Doch das Buch widerspricht zu Beginn: Allen erzählt seine Geschichte durchaus verständlich, zeichnet die Situationen detailgetreu. Man kann auf nahezu jeder nächsten Seite erwarten, dass der Krimi beginnt. Doch das tut er nicht. Und das Vorwort behält Recht, denn die beiden einzigen Motive, die Thompsons Buch nicht nur als Handlungsursache durchgängig beherrschen, sind Schmerz und Hass.

Dabei zeichnen Allen und Howie, beide Ich-Erzähler, ihre Geschichten kaum anders als Harry, nein, Hieronymus Bosch: Grelle Farben, schizophrene Situationen in präzisen Strichen. Zwischen sadistischer Genugtuung und großer Kunst changierend: Neben einer fast fantastisch ausgeprägten, kunstvollen Symbolik, stehen Szenen extremer psychologischer, später auch physischer Gewalt.

Damit beweist Jim Thompson in seinem letzten Buch nicht nur, dass er intensiv und schmerzhaft schreiben kann, sondern vor allem, wie viel er seinen Leser abverlangt: Ein Text, schmerzhaft wie ein Tritt ins Gesicht. Ein kurzes Beispiel: Allen, der selbst das Kind einer weißen Edelprostituierten und einem schwarzen Freier ist, foltert ein 16jähriges schwarzes Junkie-Mädchen in einem Hotelzimmer, bis es totenblass und stumm liegen bleibt. Dass Kapitel endet: "Würde sie dem Grab entsteigen und die Schwarzen erlösen? Lesen Sie nächste Woche weiter!" Wir erfahren es konsequenterweise nie.

Die perfide Art der Gewaltdarstellung, scheint einem System zu folgen: Wenn Gott wahnsinnig geworden ist, wieso soll die Geschichte dann mehr als Wahnsinn enthalten? Warum sollte überhaupt noch irgendetwas erklärt werden?

Blind vor Wut enthält keine stringenten Erzählungen, sondern nur Schläge in die scheinbare Pietät und Gefasstheit des Lesers. Es gibt daher kaum ein prekäres Thema, das Jim Thompson hier nicht in seine gekränkten, brutalen Arschloch-Protagonisten legt: Ödipale Komplexe, mehrere Formen von Inzest, Schwulen- und Frauenhass, Rassismus ("Nigger in die Scheißhäuser!"), Schizophrenie usw. Das heißt nicht, dass Thompson ein Rassist wäre, aber sein Protagonist Allen scheint alle Probleme dieser Welt zu beherbergen und auszuleben: er ist Täter, Opfer und Messias in einer Person. Und er will Läuterung: Er geißelt die Welt, er geißelt sich.

Obwohl Herbie Lansdale ähnlich tickt, ist er sich bewusst, dass er Hilfe bräuchte, medizinische Hilfe, die er natürlich nie annehmen würde. Man kann damit Ein Pferd in der Babywanne als Gegenentwurf zu Blind vor Wut lesen, bei dem die Ausgangssituation sehr ähnlich ist, der Unterschied aber nur eine Nuance ist. Man kann es aber auch als Kommentar Thompsons zu seiner geistigen Verfassung lesen. Dabei bietet sie wohl nur für Thompson-Liebhaber einen echten Mehrwert.

Der einzige Frieden, den der Leser noch finden kann, ist das Ende der Geschichte; bis dahin aber nichts als Wut, blinden Hass. Wenn man den Ich-Erzählern folgt, dann wird man wütend. Blind vor Wut gibt keine Antwort, Blind vor Wut gibt keine Erklärungen und -so simpel es klingt- nichts als Wut. Das kann nicht jeder genießen.

Muss man auch nicht. Denn Blind vor Wut ist nichts anderes als der letzte Wutschrei eines enttäuschten, aber genialen Krimi-Autors, am Rande des Wahnsinns – und vielleicht darüber hinaus.

Blind vor Wut

Jim Thompson, Heyne

Blind vor Wut

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