Der Cop

  • Heyne
  • Erschienen: Januar 2012
  • 5
  • New York: Penguin, 2011, Titel: 'The dispatcher', Seiten: 351, Originalsprache
  • München: Heyne, 2012, Seiten: 320, Übersetzt: Ulrich Thiele
Der Cop
Der Cop
Wertung wird geladen
Jürgen Priester
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonJun 2012

Im Western nichts Neues oder doch?

Die Heyne-Hardcore-Reihe hat sich als Format für Literatur mit härteren oder exzentrischen Inhalten etabliert. Aus den Sparten Spannung, Erotik und Underground bestehend, bietet die Abteilung Spannung, die uns am meisten interessiert, eine breitgefächerte Palette unbekannter, vergessener, unterschätzter, aber auch berühmter Autoren an. So finden wir hier die Taschenbuch-Ausgaben von David Peaces "Red Riding Quartett" und die ersten Zwei seiner "Tokio-Trilogie", Erst- und Wiederveröffentlichungen früherer Werke von Joe R. Lansdale, die aktuellen Titel des Südafrikaners Roger Smith oder zur Zeit – besonders erfreulich – die Erstausgaben älterer Titel des genialen Jim Thompson. Der Auflagenstärkste unter den gelisteten Autoren dürfte wohl der verstorbene Amerikaner Richard Laymon sein, aus dessen Kanon über wenige Jahre mehr als ein Dutzend Romane auf Deutsch erschienen sind, über deren Qualität hier nicht gerichtet werden soll, deren Beliebtheit aber der Gesamtreihe zu Gute kommt. Ein Bestseller-Autor wie Laymon verschafft einem Verlag den finanziellen Spielraum, auch nach Newcomern Ausschau zu halten.

Ein vielversprechendes Talent ist der Amerikaner Ryan David Jahn. Er debütierte 2009 mit Acts of Violence und räumte damit gleich den renommierten Debut Dagger Award ab.

In Deutschland erschien Ein Akt der Gewalt 2011 in der Heyne-Hardcore-Reihe, wobei der deutsche Titel sich zu sehr auf Jahns Interpretation des historischen Falles der Kitty Genovese konzentriert und damit zu kurz greift. Der Roman setzt sich aus verschiedenen Episoden zusammen, die sich um die erwähnte Bluttat spinnen. Unter anderem treibt dort der heimtückische Officer Alan Kees sein Unwesen. Ein korrupter Großstadt-Bulle, der nicht nur passiv die Hand aufhält, sondern aktiv und mit äußerster Brutalität ins Geschehen eingreift und sich über die Gesetze erhebt.

Mit seinem neuen Roman Der Cop verlässt der Autor die Metropole und führt den Leser ins ländliche Texas. Auch hier treffen wir einen Polizisten, der die allgemeingültige Rechtsordnung negiert und für sich das archaische Faustrecht in Anspruch nimmt.

Gelangweilt versieht Officer Ian Hunt seinen Dienst in der Funkleitzentrale des Polizeireviers in Bulls Mouth, Texas. Seitdem seine Tochter Maggie eines Nachts vor sieben Jahren aus dem Kinderzimmer des Hauses – quasi unter seinen Augen - gekidnappt wurde, ist er ein gebrochener Mann. Alle Suche nach ihr war vergeblich. Seine Ehe scheiterte und sein berufliches Engagement reduzierte sich auf ein Mindestmaß, dem ereignislosen Dienst in der Leitzentrale, den er mit Legen von Patiencen hinter sich bringt. Gerade mal zwei Monate ist es her, dass er und seine Ex-Frau in einem symbolischen Akt ihre Tochter zu Grabe getragen haben, als Ian in einer hysterisch aufgeregten Anruferin seine totgeglaubte Tochter wiedererkennt. Sie sei in einer Telefonzelle in der Innenstadt und werde verfolgt – stammelt sie hastig, bevor die Verbindung unterbrochen wird. Als Ian und die von ihm georderten Einsatzkräfte dort eintreffen, ist Maggie verschwunden. Befragungen in den benachbarten Geschäften ergeben nur vage Anhaltspunkte auf ein dunkles Fahrzeug. Die wiederaufgenommene Ermittlung stockt, bis der berühmte Schmetterlingseffekt eine Kette von Ereignissen auslöst, die den Polizisten die richtige Richtung vorgibt. Ein unauffälliges älteres Ehepaar rückt plötzlich in den Brennpunkt des Interesses. Als die Polizei an ihrem Haus auftaucht, zögern die Eheleute keine Sekunde, zu den Waffen zu greifen. Nach einem blutigen Schusswechsel gelingt ihnen mit Maggie als Geisel die Flucht. Mit ihrem Verschwinden endet auch die Krimi-Handlung, die Akteure verlassen den Boden von Recht und Ordnung und begeben sich in den rechtsfreien Raum des Wilden Südwestens.

Trotz einer schweren Schussverletzung nimmt Ian Hunt (nomen est omen) die Verfolgung auf. Er hat eine Ahnung, wohin die Entführer flüchten werden. Wie einst der Kopfgeldjäger mit dem Steckbrief: Wanted! Dead or Alive – jagt er sie durch eine filmreife Westernkulisse. Endlose Highways, staubige Landstraßen, umringt von trostloser Wüstenei, es geht durch Texas, New Mexico, Arizona bis ins südliche Kalifornien. Nur gelegentliche Tankstopps, mal eine Nacht in einem abgelegenen Motel, wo die drallen Töchter des Hauses mit prallen Brüsten und noch größeren Herzen dem waidwunden Jäger ein paar Stunden der Linderung verschaffen. Das Katz- und Mausspiel, wobei sich immer wieder die Rollen vertauschen, endet ganz stilecht in einer Geisterstadt in Kalifornien mit einem finalen Showdown.

Wenn man denn eine Trennlinie sieht – der Autor hat keine gezogen – so stellt sich der erste Teil von Der Cop als Polizeiroman dar. Jahn schildert die Aufklärungsarbeit im kleinstädtischen Milieu mit all ihren Seilschaften, Kungeleien und Animositäten. Mittendrin der Polizist und Vater Ian Hunt, der hin- und hergerissen zwischen neuer Hoffnung und alter Verzweiflung die Ermittlungen unnachgiebig vorantreibt. Denn mit Maggies Verschwinden ist ihm nicht nur die geliebte Tochter abhanden gekommen, sondern auch sein ganzes Leben. Die Jahre der Ungewissheit haben ihn mürbe gemacht und ihn in Apathie versinken lassen. Dabei war Maggie gar nicht fern. Perfide.

Im Keller eines Anwesens, nicht fern der Stadt, hauste Maggie wie ein geliebtes Haustier im Käfig – bestens versorgt von einem freundlichen, aber völlig durchgeknallten Ehepaar. Dass Maggie die ihr entgegen gebrachte Zuneigung nicht teilt, ist nicht erwähnenswert. Sie ist stinkwütend und nutzt jede Gelegenheit zur Flucht, was ihr auch kurzfristig gelingt.

 Versetzte man den zweiten Teil der Handlung zurück in der Zeit, machte aus Autos Pferde, aus Motels Postkutschen-Stationen, aus Präzisionsgewehren einfache Winchesters, man befände sich im wildesten Western. Die Verfolgungsjagd, die Jahn hier inszeniert, spielt mit all den Klischees, die wir aus der meist cineastischen Umsetzung des Genres nur all zu gut kennen. Jahns Adaption für die Gegenwart wirkt in keinster Weise antiquiert, wenn man an die waffenstrotzenden Schränke der Amerikaner denkt. Wer eine Waffe besitzt oder kauft, will/wird sie benutzen. Auch der sonst sehr sympathische Officer Ian Hunt ist von der ur-amerikanischen Vorstellung geprägt, dass ein Mann im Falle eines Falles sein Recht mit Waffengewalt einfordern darf. Abstoßend und faszinierend zugleich.

 Der Cop ist eine Tour de Force durch den Wilden Westen der Gegenwart. Autor Ryan David Jahn stellt die Kontrahenten präzise vor, bevor er sie über die öden Pisten und durch die Abgründe ihrer Seelen hetzt. Spannungsgeladen und gewalttätig präsentiert sich hier der ewige Kampf zwischen Gut und Böse, kommt nach 300 Seiten auf den Punkt und hinterlässt einen atemlosen Leser.

Der Cop

Ryan David Jahn, Heyne

Der Cop

Ähnliche Bücher:

Deine Meinung zu »Der Cop«

Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!

Letzte Kommentare:
Loading
Loading
Letzte Kommentare:
Loading
Loading

Dr. Drewnioks
mörderische Schattenseiten

Krimi-Couch Redakteur Dr. Michael Drewniok öffnet sein privates Bücherarchiv, das mittlerweile 11.000 Bände umfasst. Kommen Sie mit auf eine spannende und amüsante kleine Zeitreise, die mit viel nostalgischem Charme, skurrilen und amüsanten Anekdoten aufwartet. Willkommen bei „Dr. Drewnioks mörderische Schattenseiten“.

mehr erfahren