Verschleiert
- Argument
- Erschienen: Januar 2012
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- Kopenhagen: People´s Press, 2011, Titel: 'Drengen fra Agadir', Seiten: 306, Originalsprache
- Hamburg: Argument, 2012, Seiten: 256, Übersetzt: Gabriele Haefs
Islamismus goes Private Eye
"Ganz tolles Buch" – so hat Jenny Winge ihren Kommentar unten begonnen. Und eigentlich könnte ich das jetzt stehen lassen und sagen: Ja, Jenny hat Recht, das ist wirklich ein ganz tolles Buch!
Nur sporadisch schreibt Ditte Birkemose Krimis um die ungewöhnliche Privatdetektivin Kit Sorel. Der erste erschien 1996, und Verschleiert ist erst der vierte, wobei sie den dritten komischerweise unter dem Pseudonym Emma Høgh publizierte.
Diesen Fall will Kit eigentlich gar nicht annehmen, ihr alter Freund Harry überredet sie dazu. Er hat einen jungen Mann marokkanischer Herkunft unterrichtet, der nun offenbar in dubiose Kreise abgedriftet ist: Wird Mehdi gerade zum Terroristen ausgebildet? Hat er sich einer radikalen Zelle angeschlossen? Einiges scheint dafür zu sprechen. Außerdem hat sich Harry wohl in die Tante des Jungen verknallt, die einzige aus der ganzen Familie, die halbwegs vernünftig erscheint.
Schon die Eröffnungsszene spielt in Marokko, in der Medina von Marrakesch. Kit wird unmittelbare Zeugin eines Anschlags, bei dem einige Menschen ums Leben kommen. Von Kapitel zu Kapitel springt Birkemose gekonnt von Marokko nach Dänemark und zurück. In Dänemark bekommt Kit heraus, dass sich der nationale Sicherheitsdienst für Mehdi interessiert. Als Altlinke misstraut Kit natürlich solchen Organisationen; aber wenn es um diesen Jungen geht und vor allem um die vermeintliche Tante Leila, tauscht sie schon mal Informationen mit Geheimdienstleuten aus. Und dann – dann ist Leila plötzlich nach Marokko gereist. Wo sie ihr wahres Ich entdeckt haben soll, wie ihre Verwandten dort beteuern. Denn gemeinsam mit Harry lässt die Privatdetektivin Trailer und Hund zurück und fliegt in die arabische Welt.
Es ist natürlich eine fremde Welt, in die sie da stolpert. Vor allem die Familienverhältnisse, denen sie – auch in Dänemark – begegnet, sind schwer für sie zu durchblicken. Kit und Harry werden sehr gastfreundlich empfangen – auf den ersten Blick. Ganz offensichtlich aber werden wollen die Verwandten sie mit Fehlinformationen in die Irre führen. Und sie wollen, dass die Europäer dorthin verschwinden, wo sie hingehören: nach Dänemark. Natürlich bleiben die beiden. Nebenbei verdichten sich Gerüchte: Ist in Dänemark ein islamistischer Anschlag geplant? Steckt Mehdi mit drin?
Was bei der Beschreibung wie eine Politparabel klingt, ist ein behutsam erzählter Krimi mit ebenso politischen wie privaten Bezügen. Ditte Birkemose gelingt es spielend, das Potenzial, das im so genannten Kampf der Kulturen liegt, ohne jegliche Moralisierung in die Handlung einzuflechten. Sicher geht es ihr darum, Verständnis für das Miteinander einzufordern – aber ohne vordergründiges Moralgetue. Nachdenklich ist das allemal, es geht natürlich darum, wie Menschen, die in Mittel- oder Nordeuropa sozialisiert wurden, plötzlich zu religiösen Extremisten werden können. Kit Sorel versucht, das Fremde zu verstehen, sie ermittelt als Detektivin und trägt Fakten zusammen. Und die Autorin sieht ihr dabei zu, glücklicherweise ohne zu kommentieren. Ditte Birkemose schildert differenziert und humorvoll.
Es ist keine leichte Übung, aus einem derart brisanten Stoff einen eher leisen Roman mit feinen Beobachtungen zu komponieren. Das Konzept aber ist voll und ganz aufgegangen: Verschleiert ist kein internationaler Polit-Thriller, sondern ein kleiner, feiner interkultureller Detektivroman. Blendend übersetzt übrigens, soweit ich das beurteilen darf, von Gabriele Haefs.
Gerade durch diese literarische Tradition, nämlich die des klassischen Detektivromans, entwickelt dieses Buch seine wahre Qualität. Birkemose orientiert sich so versiert an den Klassikern des Genres, dass sie nie Gefahr läuft, die Geschichte für Weltverbesserungsgefasel aus der Hand zu geben. Und zwar deswegen, weil Verschleiert so ganz nebenbei eine Hommage an den Detektivroman ist. Sicher fallen Sätze wie der, dass der Islam eine Aufklärung bräuchte – geschickt legt Birkemose den Satz Leila in den Mund. Diese Autorin beherrscht die Kunst, vordergründig eine spannende, klar konstruierte Private-Eye-Story zu bauen – und im Hintergrund die komplette politische Brisanz köcheln zu lassen. Jeweils bestens recherchiert. War das bei den Gründervätern dieser Gattung anders?
Ditte Birkemose, Argument
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