Vergiftet
- Blanvalet
- Erschienen: Januar 2012
- 3
- Oslo: Gyldendal, 2011, Titel: 'Fantomsmerte', Seiten: 396, Originalsprache
- München: Blanvalet, 2012, Seiten: 416, Übersetzt: Günther Frauenlob & Maike Dörries
Cleverer Journalist ermittelt in eigener Sache
Der Online-Journalist Henning Juul bekommt einen Anruf aus dem Gefängnis, der ihn förmlich elektrisiert. Tore Pulli, ein wegen Mordes verurteilter Krimineller, will von Juul Hilfe bei der Aufklärung seines Falles haben, weil er nach wie vor behauptet, er sei unschuldig. Der Häftling lässt durchblicken, etwas über den Tod von Juuls Sohn zu wissen. Der Journalist beginnt zögernd zu ermitteln, und wird bald tiefer in die Angelegenheit hinein gezogen, als ihm lieb ist. Denn vor dem ersten Treffen mit Juul wird Pulli unter mysteriösen Umständen ermordet. Der Täter wurde durch Erpressung dazu gezwungen. Er flieht in ein Ferienhaus, doch die Verbrecher sind ihm schnell auf den Fersen. Derweil sucht Henning Juul weiter nach Antworten, denn er hofft, auf diese Weise zu erfahren, warum Tore Pulli am Abend des Brandes, bei dem Juuls Sohn ums Leben kam, vor dem Haus des Journalisten in einem Auto gesessen hat. Während Juul den Mord-Fall mit Tore Pulli als verurteiltem Täter immer weiter aufrollt, kommt er den tatsächlich gesuchten Antworten nur schrittweise näher.
Ein Journalist mit ausgeprägter Spürnase ist der sympathische Protagonist in der Henning-Juul-Reihe von Thomas Enger. Neben Polizisten und Privat-Detektiven sind Journalisten ebenfalls beliebte Ermittler in der Kriminal-Literatur. Und Juul ist ein besonders cleverer Vertreter seines Berufsstandes. Er versteht es hervorragend, Zusammenhänge zu finden und zu verknüpfen, und er scheut nicht vor ungewöhnlichen Recherche-Methoden zurück. So geht er kurzerhand selbst in ein Body-Building-Studio, um den starken Jungs intensiv auf den Zahn zu fühlen.
Dabei wird sein kriminalistisches Engagement enorm von persönlichen Motiven befeuert. Der Flammentod seines kleinen Sohnes Jonas beschert ihm nach wie vor Alpträume. Und der Hinweis des verurteilten Mörders Tore Pulli erscheint ihm aufgrund der geschilderten Details glaubhaft genug, um der Sache entschieden nachzugehen. Mit der Ermordung des Häftlings setzt der Autor dann allerdings ein kräftiges Ausrufezeichen – der Roman könnte zu Ende sein, doch weit gefehlt. Es folgen weitere Überraschungen, und Thomas Enger baut einen Spannungsbogen auf, der den Leser wirklich zu fesseln versteht.
So mysteriös sich die Umstände des Todes von Jonas Juul darstellen, so verzwickt ist auch der Mord, der Tore Pulli angelastet wurde. Juuls Nachforschungen in dieser Sache sind überaus zäh und bringen zunächst wenig konkrete Ergebnisse. Aber da es weitere Tode gibt, verbeißt sich der Journalist immer weiter in die Sache, und geht dabei auch einige persönliche Risiken ein. Er ist kein tougher Ermittler wie manche Polizisten, aber Juul ist ausgesprochen clever und äußerst hartnäckig.
Thomas Enger erzählt eine Geschichte voller Brutalität und gnadenloser Verbrechen, aber das erledigt er in einer teilweise recht blumigen Sprache, um nicht zu sagen: im Plauderton. Seine Protagonisten – nicht nur Henning Juul – sind klar und scharf konturiert. Bei den zahlreich vorkommenden Bodybuildern und kleinen Ganoven kommt der Autor an einigen Klischees nicht so recht vorbei, aber das macht er mit seinem gelungenen Haupt-Protagonisten wieder wett. Es ist aber kein Wunder, dass Henning Juul besonders authentisch wirkt, immerhin ist Thomas Enger selbst als Online-Journalist tätig, er weiß also ganz genau, wie es in der Medien-Branche zugeht.
Etliche der auftretenden Rätsel werden im Laufe des Finales mit faustdicken Überraschungen gelöst, anderes hat man so vielleicht auch erwartet. Ein Thema bleibt jedoch offen, und da können sich die Leser auf den dritten Band aus der Henning-Juul-Reihe freuen, der im Frühjahr 2013 erscheinen soll. Dieser neue skandinavische Autor lässt jedenfalls aufhorchen, und ich prophezeie einfach mal: Thomas Enger wird sich eine große Fan-Gemeinde erarbeiten – auch in Deutschland.
Thomas Enger, Blanvalet
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