Teufelsfrucht

  • Kiepenheuer & Witsch
  • Erschienen: Januar 2011
  • 8
  • Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2011, Seiten: 304, Originalsprache
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Matthias Kühn
85°1001

Krimi-Couch Rezension vonMai 2012

Besseresser versus Geschmacksverstärker

Xavier Kieffer hat sich eine Idylle geschaffen: In der Luxemburger Unterstadt betreibt er ein kleines, feines Restaurant, das eher deftige regionale Spezialitäten auf der Karte hat – beispielsweise Gromperekichelcher, Bouneschlupp, Judd mat Gaardebounen und Mummentaart. Wer diese Leckereien nicht kennt, dem hilft entweder eine Reise nach Luxemburg oder ein Blick ins Register.

Aber Kieffer hat wesentlich mehr drauf. Schon als junger Koch sahnte er Preise ab, ihm wurde eine große Zukunft vorausgesagt. Unter anderem von seinem Lehrmeister, dem Sternekoch Paul Boudier, der von seinem Schüler ziemlich enttäuscht war. Aber Kieffer fühlt sich wohl in seiner Heimatstadt, auch wenn er wohl, wie Boudier sagt, in jedem Pariser Einsterner zumindest Souchef werden könnte; ohne Ambitionen auf einen Stern kocht es sich jedoch gelassener, man braucht so weniger Personal und weniger Logistik – und so kann Kieffer sich ganz auf das konzentrieren, was er mag: gutes Essen, gute Weine, Ruhe und Gespräche mit Gästen wie dem finnischen EU-Beamten Pekka Vatanen.

Dass nun plötzlich ein Kritiker des wichtigsten Gourmetguides Frankreichs an einem seiner Tische Platz nimmt, wundert Kieffer also: Sein Lokal erfüllt schließlich überhaupt nicht die Voraussetzungen für die Sterneküche. Noch mehr aber verwundert es Kieffer, dass dieser Kerl schon nach der Vorspeise aufgibt und sein Huesenziwwi gar nicht mehr probiert. Allerdings hat dieser Mann eine gute Entschuldigung: Er ist nämlich vor dem Hauptgang tot.

Das Restaurant wird sofort geschlossen, die Polizei in Person des leicht an Maigret orientierten Kommissars Manderscheid verdächtigt Kieffer – und der ermittelt fortan selbst. Dies ist kein Polizeiroman, sondern, wie der Untertitel sagt, ein "kulinarischer Krimi". Mich stört dieser Untertitel: Hätten die Krimis von Vásquez Montalbán einen solchen Untertitel nötig gehabt? Aber die PR-Abteilungen der Verlage sehen das heute eben anders.

Natürlich ist das ein kulinarischer Krimi, aber in erster Linie ist es ein erstklassiger deutschsprachiger Kriminalroman, der ein solches verkaufsförderndes Etikett nicht braucht. Früher wäre ein solcher Roman in einer noblen Krimireihe erschienen, und dieses Buch hätte jede Krimireihe geadelt. Denn wie Kieffer nun, ohne jede Ahnung von Polizeiarbeit, Nachforschungen betreibt, wie er nach Paris reist, in die französische und die schwäbische Provinz, wie er nach und nach Informationen sammelt und schließlich durch ein paar Fehler selbst in große Gefahr gerät – das ist hervorragend komponiert und strukturiert. Dabei liegt immer der Geschmack außergewöhnlicher Küche über den Seiten.

Hillenbrand, der seine Liebe zu Luxemburg während eines mehrmontaigen EU-Praktikuns entdeckte, ist selbst "verrückt nach Technologie und gutem Essen", wie er auf seiner Homepage schreibt; seine Technikliebe lebt er in diesem Krimi glücklicherweise nicht sonderlich aus. Unter dem Pseudonym Tom König schreibt er manchmal einigermaßen witzige die Kunden-Kolumne "Warteschleife" bei Spielgel Online – das größere Format des Krimis liegt ihm mehr als die Glosse. Und die fehlerhaften Texte auf seiner Homepage offenbaren immerhin eines: Teufelsfrucht ist bestens lektoriert.

Bereits im Prolog des Romans wird klar, worum es geht: Eine exotische Frucht, die über erstaunliche Eigenschaften verfügt, kann mehr wert sein als ein Klumpen Gold oder eine Palette Plutonium. Vielleicht gibt es ja tatsächlich Leute wie diesen Aaron Keitel, die durch die Welt reisen und solche gastronomische Perlen suchen. Nun findet dieser Keitel allerdings eine schon sehr ungewöhnliche Frucht, die sich nach dem Prolog wie ein Schatten über das ganze Buch legt.

Einleuchtend ist die Beschreibung des Foodscouts jedenfalls. Es liegt auf der Hand, dass die gehobene Küche mit bislang unbekannten Zutaten punkten kann, wenn es gelingt, das Zeug irgendwie zum Schmecken zu bringen. Wie das funktionieren kann, zeigt Hillenbrand überzeugend; und ebenso zeigt er, vor allem durch den deutschen Forscher Klaus Scheuerle, wie die Nahrungsmittelindustrie unsere Geschmacksknospen in die Irre führt und uns mittels Neurotransmitter lukullische Erlebnisse vorgaugelt, während wir durchgeweichte Pappe verzehren. Das alles kommt kein bisschen belehrend daher: Es ist ein gut recherchierter Teil einer spannenden Story.

Natürlich steht und fällt Teufelsfrucht mit der Figur des Xavier Kieffer. Und da ist Hillenbrand die Charakterisierung durch und durch gelungen. Nebenfiguren wie sein finnischer Stammgast, der zur kriminalistischen Hilfsfigur avanciert, mögen etwas hölzern gezeichnet sein – den nie zur wahren Geltung gekommenen Spitzenkoch Kieffer begleitete ich sehr gern, selbst beim Einkauf seiner neuen Garderobe, mit der er vor allem die Erbin des Gourmetguides Gabin beeindrucken will; dieser "Guide Gabin" ist eine Art Ersatzbibel für den Michelin. Und: Allein die Begegnung mit dem Pampa-Prinzen, der eine tragende Rolle spielt, macht das Buch zum puren Vergnügen.

Endlich mal wieder ein deutscher Krimi, an dem ich so gut wie nichts zu mäkeln habe. Na ja, vielleicht ist das regionale Flair doch etwas zu sehr auf einen entsprechenden Markt abgestimmt. Und ebenso vielleicht ist das Finale ein bisschen aufgesetzt. Aber das alles ist halb so schlimm, und bis dahin bietet Teufelsfrucht wirklich jede Menge beste Unterhaltung. Ein wirklich erstaunliches Debut.

Teufelsfrucht

Tom Hillenbrand, Kiepenheuer & Witsch

Teufelsfrucht

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