Blackout
- Random House Audio
- Erschienen: Januar 2012
- 48
- Köln: Random House Audio, 2012, Seiten: 8, Übersetzt: Steffen Groth
Der Strom kommt doch aus der Steckdose
Eigentlich ist es eine katastrophale Entwicklung. Schon vor vierzig Jahren haben die sogenannten "Alternativ"-Wissenschaftler (u.a. vom Öko-Institut Freiburg) festgestellt und wurden deshalb belächelt, dass die fossilen Energieressourcen endlich sind, dass sich zukünftige Energieversorgung auf regenerative Träger und Energieeinsparung stützen muss, dass die Gewinnung von Atomstrom unkalkulierbare Risiken in sich birgt, dass Erzeugung, Verteilung und Verbrauch von Energie in möglichst dezentralen Einheiten stattfinden muss. Ein Themenkreis, der jahrzehntelang in der Politik nur stiefmütterlich, wenn überhaupt ernsthaft diskutiert wurde. Was seit den 1970er Jahren bekannt war, wird heute teilweise umgesetzt. Erst der Super-GAU von Fukushima im Frühjahr 2011 erhöhte den öffentlichen Druck so stark, dass es zu einem Umlenken, (Umdenken darf bezweifelt werden) der politischen Entscheidungsträger kam. Energiewende heißt jetzt das Zauberwort, doch wird der Wechsel leider in die Hände derer gegeben, die hauptsächlich für die jahrzehntelange Fehlentwicklung verantwortlich waren – den Energie-Großkonzernen, die ausschließlich dem Götzen der Gewinnmaximierung huldigen und schon geifernd ihre Finger nach staatlichen Subventionen für fragwürdige Großprojekte (Wind- und Solar-Parks) und Infrastrukturmaßnahmen ausstrecken.
Genug der Vorrede. In Marc Elsbergs Debütroman Blackout geht es um Stromerzeugung und Verteilung, genauer um die Verletzbarkeit des europaweiten Verbundnetzes und der verschiedenen Kraftwerke durch terroristische Anschläge. Der Autor zeigt, wie durch eigentlich simple Manipulationen Europa mit einem fast flächendeckenden Stromausfall lahmgelegt werden kann. Was nun wirklich bei einem länger andauernden Blackout passiert, kann keiner vorhersehen. Elsbergs Szenario macht einen realistischen Eindruck, was sich beim Leser mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend äußern könnte. Unser Leben lang sind wir daran gewöhnt, dass der Strom immer aus der Steckdose kommt oder andere wichtige Funktionen erfüllt. Man stelle sich bloß für den Privathaushalt vor: nicht kühlende Kühlschränke, auftauende Gefriertruhen, kein Frischwasser, nicht funktionierende Toiletten – abertausende von Städtern, die ihre Notdurft in den Parkanlagen verrichten müssten. Eine Horrorvorstellung im Kleinen, die im Konzert mit kollabierenden Netzen und marodierenden Atommeilern das Chaos perfekt machen. Die Katastrophe beginnt in Italien.
Piero Manzani, ein ehemaliger gefürchteter Hacker, lebt nun als IT-Berater in Mailand. Auf seinem Heimweg durch die allabendliche Mailänder Rushhour wird er an einer ausgefallenen Ampel in einen Crash verwickelt. Nicht nur das Ampelsystem ist von einem plötzlichen Stromausfall betroffen, sondern ganz Mailand sitzt im Dunkeln. Nach einem kurzen Abstecher zu einem Krankenhaus, das auch nur notdürftig durch eigene Generatoren mit Energie versorgt wird, checkt Manzani die Stromversorgung in seiner Wohnung. Das im Sicherungskasten eingebaute "Smart Meter" (moderner Mikroprozessor gesteuerter Stromzähler) war ihm als Computerfachmann schon immer suspekt. Jetzt zeigt das Display seltsame Zahlenkombinationen an, die in Manzani den Verdacht aufkommen lassen, dass das Gerät von außen manipuliert wird und es zu willkürlichem An- und Ausschalten des Zählers kommt. Träfe das auf ganz Italien zu, erkläre das den Zusammenbruch des Stromnetzes. Seine Hypothese will er am nächsten Morgen an offiziellen Stellen los werden, bei der Polizei stößt er auf Unverständnis, beim örtlichen Energieversorger wird seine Theorie skeptisch betrachtet. Obwohl Kommunikations- und Informationssysteme nur zeitweise funktionieren und nur bruchstückhaft Nachrichten versenden können, wird Manzani das ganze Ausmaß des Breakdowns bewusst. Nicht nur Italien ist betroffen, sondern mittlerweile hat sich die Störung auf alle europäischen Staaten ausgeweitet. Während einer Unterhaltung mit seinem Nachbarn Bondoni, dessen Tochter bei einer europäischen Behörde in Brüssel arbeitet, kommt Manzani die Idee, übergeordnete europäische Institutionen zu kontaktieren. Bondonis Tochter verbringt zwar gerade ihren Urlaub in den österreichischen Bergen, doch Manzani hofft durch ihre Vermittlung direkt die richtige Anlaufstelle für sein Anliegen zu finden. Gemeinsam mit seinem Nachbarn begibt er sich auf die erste Etappe einer beschwerlichen Reise.
Während Manzano und Bondoni gen Brüssel streben, ist in den Macht- und Schaltzentralen Europas die Hölle los. Krisenstäbe tagen, Katastrophenschutzmaßnahmen sind eingeleitet. In den Kraftwerken versuchen Techniker den unerklärlichen Fehlermeldungen auf die Spur zu kommen. Die Europäische Anti- Terrorzentrale und Interpol suchen fieberhaft nach potenziellen Drahtziehern. Als in Nordamerika ebenfalls die Lichter ausgehen, schielen die Fahnder verstärkt in Richtung Moskau und Peking.
Piero Manzano, zwischenzeitlich in Brüssel angekommen, gerät, wie es Überbringern schlechter Nachrichten des öfteren so geht, selber unter Verdacht. Doch er ist nicht untätig gewesen. Wann immer er Zugang zum Internet hatte, hat er dort nach verdächtigen Webseiten und kryptischen Chats Ausschau gehalten. Nicht ohne Erfolg. Trotz aller Bemühungen, der Lage Herr zu werden, verrinnt die Zeit zu schnell. Die Westliche Welt droht in einen finalen Abgrund zu stürzen.
Man kann Marc Elsbergs Debütroman nur als rundum gelungen bezeichnen. Mit schnellen Schnitten wechseln die Schauplätze innerhalb Europas, zeigen sowohl das physische und psychische Leiden der Bevölkerung, die kurzfristig bessere Stellung der Privilegierten, aber auch die krampfhaften Versuche, die komplexe Maschinerie wieder in den Griff zu bekommen. Der Leser wird daran erinnert, dass er in einer komplizierten Kunstwelt lebt und dass die Wand zum absoluten Chaos nur hauchdünn ist.
Elsberg hat die Handlung hochspannend mit realitätsnahen Charakteren inszeniert, ohne dabei auf Superhelden oder Superbösewichte zurückgreifen zu müssen. Als Laie kann man nicht immer die (computer-)technischen oder logistischen Abläufe nachprüfen, aber sie machen einen plausiblen Eindruck. Wer hinter den Anschlägen steckt, wird natürlich nicht verraten. Entgegen der Erwartung des Rezensenten sind die Motive der Hintermänner durchaus nachvollziehbar, wenngleich die Wahl der Mittel indiskutabel ist. Unrecht lässt sich nicht mit Unrecht ausgleichen.
Blackout ist ein Werk, das nachhaltig in Erinnerung bleiben wird und das uns mahnen kann, dass der Wohlstand des einen immer auf Kosten eines anderen beruht.
Marc Elsberg, Random House Audio
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