Unter Trümmern
- Pendragon
- Erschienen: Januar 2012
- 4
- Bielefeld: Pendragon, 2012, Seiten: 448, Originalsprache
Packender Krimi vor zeithistorischer Kulisse.
Mainz, 1946: Paul Koch war seit über zehn Jahren nicht mehr in Deutschland, da es ihn Anfang der 30er Jahre zunächst nach Frankreich und später nach Spanien zog, wo er gegen Franco kämpfte. Doch jetzt ist er wieder zuhause und fragt sich zunehmend, warum er eigentlich zurückgekehrt ist. Als Kriminalkommissar sucht er den Mörder eines Wachtmannes, der bei einem Einbruch in ein Warenlager erschossen wurde. Zwei Tätern gelang die Flucht, ein dritter Beteiligter, Franz Hartmann, liegt schwer verletzt und nicht ansprechbar im Krankenhaus. Während Koch darauf wartet, dass ihm sein einziger Zeuge befragt werden kann, geschieht ein weiterer Mord. Peter Gerber wird erstochen auf dem elterlichen Bauernhof aufgefunden, doch obwohl es einige Unstimmigkeiten gibt, wird Koch von seinem Chef Arnheim angehalten, den Fall zum Abschluss zu bringen. Schließlich kommt es immer wieder vor, dass sogenannte DP (Displaced persons) in ihrer Not vor nichts zurückschrecken.
"Vielleicht hat sich der Mann ja getäuscht. Es war kein Mercedes. Oder er hat die Geschichte einfach erfunden, damit wir ihn in Ruhe lassen."
Nun platzte all der Ärger aus Koch heraus. "So einen Mist habe ich mir eben erst anhören müssen. Haben Sie sich das mit Arnheim gemeinsam überlegt? Auf wessen Seite stehen Sie, Siggi, auf wessen Seite…?"
Aber so einfach mag es sich Koch nicht machen, aber wem kann er in seiner Umgebung eigentlich trauen? Er, der zur Nazizeit im Ausland lebte, wird von seinen Kollegen gemieden, er selber wittert wiederum an jeder Ecke einen alten Nazi. Einmal dabei, immer dabei. Nur in Gerhard Reuber, der für Raub- und Schwarzmarktdelikte zuständig ist, sowie in seinem jungen Partner Siegfried Maus findet er Verbündete.
Diese sind auch nötig, denn plötzlich stirbt Franz Hartmann durch einen Verkehrsunfall. Aber wie konnte der Schwerverletzte das Krankenhaus überhaupt verlassen, um von einem LKW überfahren zu werden? Immer wieder führen die Spuren zu dem ebenso zwielichtigen wie aalglatten Unternehmer Helmut Brunner. Aus Sicht von Koch ein Kriegsgewinnler und damit der neue Klassenfeind schlechthin…
Unter Trümmern entführt seine Leser in das Jahr 1946. Genauer gesagt nach Mainz, welches von den Franzosen besetzt ist. Die Kriegsauswirkungen sind unübersehbar, viele Ortsteile liegen in Schutt und Asche, es fehlt am Nötigsten. So zum Beispiel an Medikamenten wie Dorothea "Dorle" Becker immer wieder erfahren muss. Ihr Sohn Rolf verlor im Krieg ein Bein, hat unerträgliche Schmerzen und kann selbst nachts kaum schlafen. In ihrer Not wendet sich Dorle an Brunner, der ihr verspricht zu helfen, freilich nicht ohne Hintergedanken. Zunächst aber soll Dorle für Brunner und dessen hochrangigen französischen Gast Lewwerknepp zubereiten. Schmecken die Lewwerknepp gibt es die Medikamente. Sollte es Ihnen jetzt gehen wie mir beim Lesen des Buches und Sie nicht wissen was die - gefühlt - hundert Mal erwähnten Lewwerknepp sind, dann "beschweren" Sie sich bitte beim Autor. Dieses eine Wort hätte gerne mal an einer Stelle ins Hochdeutsche übersetzt werden dürfen. So, hätten wir also einen Kritikpunkt gefunden.
Ansonsten ist Unter Trümmern nämlich eine spannende und durchweg unterhaltsame Geschichte, die in zwei Erzählsträngen (teilweise zeitversetzt) abläuft. Da sind die Ermittlungen von Paul Koch und das beschwerliche Leben der Dorle. Dorle benötigt nämlich für die Lewwerknepp (da sind sie schon wieder) Fleisch und das ist kaum zu bekommen, zumal wenn man nichts mehr hat, was man auf dem Schwarzmarkt eintauschen könnte. So sucht sie Peter Gerber auf, der mit ihrem Sohn Rolf vor Hitlers Machtergreifung eng befreundet war. Doch dieser weigert sich zu helfen. Dorle bricht daraufhin bei ihm ein, wird überrascht und greift als Peter zudringlich wird zum Messer (nein, kein Spoiler). Das schlechte Gewissen wird jedoch zunächst zurückgestellt, denn es geht um ihren Rolf. Endlich hat sie die wichtigen Medikamente erhalten, aber kaum zu Hause angekommen, erwartet sie ein weiterer Schock. So erzählt Unter Trümmern nicht nur zu was die Menschen in ihrer Notlage fähig sind, sondern auch von der Verrohung, die ein Krieg und/oder eine Diktatur auslösen können.
"Der alte Gerber hat ein Kopfgeld ausgesetzt für den, der ihm den Mörder seines Sohnes liefert."
"Und? Was zahlt er?"
"Drei Kilo Fleisch."
Paul Koch geht es kaum besser. Sein Nachbar verdient verbotener Weise sein Geld mit pornografischen Aufnahmen, hat aber dadurch immer reichlich Alkohol im Hause, den er gerne mit dem Kommissar teilt. Dieser sieht überall Nazis rumlaufen und macht sich so nur wenige Freunde. Auch der Umstand, dass seine Fäuste recht häufig in Bewegung sind, sorgt für Ärger im Büro und das er gar gegen den einflussreichen Brunner ermitteln möchte - und zwar nur gegen Brunner - dass bringt das Fass bei seinem Vorgesetzten zum Überlaufen. Man könne ja zumindest mal in Erwägung ziehen, dass es auch noch andere Tatverdächtige geben könnte.
Unter Trümmern ist eine detaillierte und nachdenklich stimmende Bestandsaufnahme des Nachkriegsdeutschlands. Hier ist nur wenigen Menschen klar, dass man das Geschehene zwar nicht vergessen darf, aber nach vorne schauen muss, damit es weitergeht. Ein packendes, zeithistorisches Werk.
Jürgen Heimbach, Pendragon
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