Das Perseus-Protokoll
- Frankfurter Verlagsanstalt
- Erschienen: Januar 2012
- 3
- Frankfurt am Main: Frankfurter Verlagsanstalt, 2012, Seiten: 315, Originalsprache
Denk ich an Griechenland...
"Denk ich an Griechenland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht." Heinrich Heines "Nachtgedanken" in leicht abgewandelter Form könnte die Stimmung beschreiben, die europäische Finanzexperten in den letzten Jahren umtreibt, wenn sie an die griechische Staatsverschuldung denken. Petros Markaris, der wohl bekannteste griechische Krimi-Autor in Deutschland, hatte sich in seinem letzten Roman Faule Kredite des Themas Schuldenkrise angenommen, konnte aber nicht so recht überzeugen. Der falsche Autor zum Thema und dazu ein zu phlegmatischer Ermittler, wie Krimi-Couch-Rezensent Thomas Kürten in seiner Besprechung bemängelt. Besser gemacht hat es Kai Hensel in seinem Debütroman Das Perseus-Protokoll, einem temporeichen, auf den Punkt gebrachten Polit-Thriller, der die Dynamik des Subgenres intelligent mit Eckpunkten der neueren griechischen Geschichte verknüpft. Der Autor sucht nicht nach Ursachen für Griechenlands desolate wirtschaftliche Situation, schon gar nicht maßt er sich irgendwelche Lösungen an, aber er erhebt den mahnenden Zeigefinger der Erinnerung. Erinnerung daran, dass dort in Krisenzeiten schon einmal "Vorausdenkende" das Zepter in die Hand genommen haben. Das Perseus-Protokoll ist nicht nur Polit-, sondern auch Verschwörungsthriller und Hensels Szenario wirkt besonders realistisch, weil es auf eine historische Vorlage fußt.
Es gibt viele Gründe Kai Hensels Debüt zu loben. Einer davon ist auch, es mag marginal erscheinen, dass er konsequent auf eine irgendwie geartete Liebesgeschichte verzichtet. Dabei ist seine Heldin eine junge attraktive, vor allen Dingen eine alleinstehende Studentin. Da drängt sich doch eine männliche Begleitung in Gestalt eines athletischen Beaus oder eines ältlichen Kommissars geradezu auf. Hensel zeigt, dass es gut ohne geht, ja, sogar besser
Maria Brecht, in Kasachstan geboren, schon als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland emigriert, hat sich nach erfolgreichem Schul- und Studienabschluss an der Diplomaten schule des Auswärtigen Amtes beworben. Die Zeit vor der Weiterbildung nutzt sie, um noch einmal richtig Sonne zu tanken, Mit ihrer Freundin und deren Sohn tummelt sie sich an Kretas sandigen Stränden oder ist mit dem Mountainbike in den Bergen unterwegs. Auf einer Tour trifft sie in einer einsamen Schlucht auf einen alleingelassenes Auto, dessen Fahrer sie bei einer Pinkelpause überrascht. Sie fragt ihn nach einer Erfrischung, registriert mehr aus den Augenwinkeln einen auffällig armierten Koffer im Wageninnern und verdächtig dunkle Flecken, die von der Heckklappe des Wagens ins nahegelegene Gebüsch führen. Einer inneren Stimme folgend bricht sie die eh stockende Konversation mit dem Fremden ab und schwingt sich auf ihr Rad. Sie ist nur eine kurze Strecke weit gekommen, als sie das Anspringen eines Motors hört, der Mann nimmt die Verfolgung auf. Es gelingt ihm, Maria von der Straße abzudrängen. Sie stürzt einen Abhang hinunter, kann sich aber ihren Verfolger mit gezielten Steinwürfen vom Leibe halten. Ihre Anzeige bei der Landpolizei scheitert an der Sprachbarriere. Tags darauf kontaktiert sie ein Kommissar, der anscheinend besser über den geheimnisvollen Fremden informiert ist. Er rät ihr eindringlich ein paar Tage auf Staatskosten in einem bewachten Hotel in Athen zu verbringen. Maria wundert sich zwar, da sie aber zur Zeit ein bisschen klamm ist und frisches Geld aus Deutschland ordern muss, kommt ihr ein kostenloser Aufenthalt ganz gelegen
Athen empfängt Maria, wie es aus Schlagzeilen zu erwarten war: stillliegende Baustellen, bestreikter öffentlicher Personennahverkehr, Staus auf den Straßen, Müll an den Straßenrändern, Hitze und Smog. Maria fühlt sich sichtlich unwohl, nicht allein wegen der Zustände in der Stadt oder wegen ihrer vergeblichen Bemühungen an Geld heranzukommen, sondern auch das Gefühl, ständig beobachtet zu werden, geht ihr an die Substanz. Ihre Wahrnehmung täuscht sie nicht. Verschiedene Interessengruppen haben sie unter Observation, weil sie irrtümlich annehmen, Maria sei im Besitz wichtiger Informationen. Auch der Fremde aus den Bergen ist längst in der Stadt, hier muss er seinen Auftrag erfüllen, hier kann er seine späte Rache vollenden. Maria könnte ein Störfaktor werden, deshalb beschließt er...
Kai Hensel hat allen Teilen seiner Erzählung Zitate bekannter Persönlichkeiten vorangestellt. Zu Teil I zitiert er u.a. Goethe aus: Maximen und Reflexionen (Aus Kunst und Altertum 1826):
Unter allen Völkerschaften haben die Griechen den Traum des Lebens am schönsten geträumt.
Goethe bezieht sich in seinen Gedanken allerdings auf die Griechen der Antike. Die Griechen der Gegenwart haben den Traum eines schönen Lebens auf einem Schuldenberg geträumt. Von allen Völkerschaften, die ein Gleiches taten und tun, hat es sie zuerst und am schlimmsten getroffen. Ein Ausweg aus der Krise steht noch in den Sternen. Neoliberale Maßnahmen wie Privatisierung, Sozial- und Stellenabbau stoßen auf massiven Widerstand seitens der Bevölkerung; sozialdemokratische Rezepte wie Konjunkturprogramme und Wachstumsinitiativen werden nicht fruchten. Man kann nur hoffen, dass Griechenland nicht dahin gelangt, was Kai Hensels fiktives Perseus-Protokoll beinhaltete.
In Hensels Thriller ist der realpolitische Hintergrund nicht bloße Kulisse. Der Autor hat sich firm gemacht mit der vergangenen und gegenwärtigen Geschichte Griechenlands. Ein Aspekt soll hier noch Erwähnung finden, da er im Thriller zu wesentlichen Motiven führt – das ist die Flüchtlingsproblematik. Griechenland ist EU-Außenstaat und aufgrund seiner durch die vielen Inseln bedingten, unüberschaubaren Küstenzonen ein Eingangstor für Flüchtlinge und Vertriebe aus Asien und Afrika. Die Küstenwachen sind angewiesen, eine Anlandung von Flüchtlingen auf jeden Fall zu verhindern, denn aufgrund einer EU-Regelung - der so genannten Dublin II-Verordnung - ist in der Regel das Land für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig, das dem Flüchtling ermöglichte, europäischen Boden zu betreten. Das heißt, dass Asylsuchende, die es z.B. bis nach Deutschland geschafft haben, ohne Prüfung ihres Antrags nach Griechenland abgeschoben werden können. Damit ist Griechenland überfordert und insbesondere dessen Grenzsoldaten. Es kommt zu nachweisbaren Auswüchsen und Exzesse:
Die griechische Küstenwache zwang uns auf hoher See, wieder in unsere Schlauchboote zu steigen. Vorher machten sie mit Messern kleine Löcher hinein. Jede Gruppe bekam nur ein Paddel ausgehändigt. Unsere Schuhe wurden einfach ins Meer geworfen. Es war sehr schwer für uns, mit den beschädigten Booten und nur einem Paddel an die Küste zurückzukommen [...].
Mit einer ähnlichen, aber auf einen Thriller zugeschnittenen Szene beginnt Kai Hensels Roman, der alle Beachtung verdient. Er hat den Rezensenten dazu animiert, Griechenlands Geschichte zu rekapitulieren und sich mit der Flüchtlingsproblematik an Griechenlands Außengrenzen zu beschäftigen. Wenn Krimi oder Thriller bei aller spannenden Unterhaltung auch einen Blick über den eigenen Horizont evoziert, dann gehört er zu den besten seiner Zunft und sollte gelesen werden.
Kai Hensel, Frankfurter Verlagsanstalt
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