Der Wind bringt den Tod
- dtv
- Erschienen: Januar 2012
- 1
- München: dtv, 2012, Seiten: 494, Originalsprache
Nordfriesische Geheimnisse im Überfluss
Ach ja, Der Wind bringt den Tod, dachte ich und wollte das Buch schon wieder in den unteren Bereich meines Stapels verpflanzen: Ich lasse mich doch nicht von einem reißerischen Titel verführen, der so deutlich darauf abzielt, Spannung schon auf das Cover zu bringen! Dann wollte ich nachschauen, wie das Buch im vielleicht schwedischen Original heißt, ganz sicher nicht so dramatisch und, um im Wortfeld zu bleiben, aufgeblasen; ich fand aber keine Übersetzerangabe. Da es sich um ein Buch von dtv handelt, stutzte ich – diese Angabe fehlt bei denen nie. Es handelt sich also um ein deutsches Original. In den Augen eines Süddeutschen spielt das Buch dann zwar trotzdem großteils fast in Skandinavien, nämlich nördlich von Hamburg. Dass es ein deutschsprachiges Buch, merkte ich schnell. Dazu später mehr.
Der Wind bringt den Tod – das ist allerdings dann doch nicht jener Wind, der allein die Antwort kennt, sondern der, der Strom liefern soll: Jule Schwarz arbeitet für das Unternehmen Zophiron, das rund um ein fiktives nordfriesisches Dörfchen namens Odisworth ein Windparkprojekt bauen will. Ihr Chef macht sie unerwartet zur Projektverantwortlichen, weil der bisherige Leiter, der aus dem Ort stammt, nicht die erwarteten Ergebnisse eingefahren hat. Der nächste Schritt auf der Karriereleiter, der Jule alles unterordnet.
Allerdings hat Jule, wie praktisch alle in diesem Buch, ein paar Geheimnisse, die besser unter Verschluss bleiben. Das hier erfahren wir zuerst: Jule war einige Jahre zuvor in einen tödlichen Unfall verwickelt; das Erlebnis und ihre Schuldgefühle brachten ihr eine ordentliche Fahrangst ein. Für den neuen Job aber muss sie fahren, eine Zweistundenstrecke von Hamburg eben nach Odisworth, um den Eingeborenen zu erklären, dass sie kein größeres Glück haben könnten, als dass ihr Dorf ausgerechnet für diesen großartigen Windpark ausgewählt wurde.
Ihr Therapeut, Lothar Seger, hat Jule lange darauf vorbereitet, irgendwann mit ihren Ängsten umgehen zu können, und tatsächlich nimmt sie die Hürde. Sie sagt sich ihr Mantra auf: "Meine Angst gehört zu mir, aber ich bin nicht meine Angst." Dieser Satz taucht vielleicht ein bisschen häufig auf, die Überwindung der Angst ist zwar ausufernd, aber glaubhaft und lesenswert geschildert.
Sie fährt also, allerdings stimmt mit dem Wagen etwas nicht; das Navi gibt komische Anweisungen, später hört sie ein Klopfen aus dem Kofferraum. Als sie in Odisworth ankommt und ihre Präsentation abspulen will, taucht ein Kriminalbeamter auf – natürlich äußerst gutaussehend. Eine Leiche wurde gefunden.
So ist also schon Jules erste Kontaktaufnahme mit den Dörflern gescheitert, und dieses Scheitern passiert ihr immer wieder. Hier liegt die große Stärke des Buches: Wie diese friesischen Dorfmenschen in ihrer verschworenen Gemeinschaft gezeichnet sind, wie sich Bauernschläue, gegenseitige Kontrolle, Verlogenheit und rustikale Gewalt zu einer für Jule undurchdringlichen Mauer vereinen, das kommt absolut glaubwürdig rüber. Das dörfliche Leben im flachen Land kennen die Autoren.
Ja, die Autoren: Ole Johan Christiansen und Thomas Plischke haben als Autorenduo schon einige Bücher veröffentlicht, meistens zwischen Esoterik und Science Fiction – nun verfassten sie halt einen Krimi und nennen sich Ole Kristiansen. Und da liegt das vielleicht größte Problem des Buches: Die Autoren glauben, sie können professionell schreiben und beherrschen alle Tricks, die man für einen spannenden Thriller braucht. Blöd ist nur, dass jemand, der mehr als fünf Krimis gelesen hat, schnell merkt, wenn sich die Autoren sagen: So, hier machen wir es mal richtig spannend. Da mag die Prosa meinetwegen professionell sein – sie ist allerdings ebenfalls blutleer. Sicher, hin und wieder werden richtig gute Spannungsmomente gesetzt. Manchmal hauen die beiden aber daneben und verirren sich im Groschenroman: Es gibt etwas zu viele Sätze der Kategorie "Zum Glück überlegte sie es sich im letzten Moment anders" oder "in Jule keimte ein erschreckender Gedanke". Das Blut gefriert zu schnell in den Adern, Entsetzen macht sich zu häufig breit, Mienen versteinern auch dann mal, wenn es die Story nicht unbedingt hergibt. Noch ein Beispiel für leider zu viele triviale Momente im Buch:
Jule spürte, wie ihr eine plötzliche Kälte den Rücken hinunterkroch und ihr Herz schneller zu schlagen begann. Sie ließ den Griff des Köfferchens los und drehte den Ring an ihrem Finger. Einmal, zweimal.
Und dann ist Der Wind bringt den Tod in einer Beziehung leider sehr deutsch: Das Frauenbild hängt etwas schief. Die Autoren verkaufen uns eine fast dreißigjährige Karrierefrau in den Dialogen mit ihrer "besten Freundin" als Spätpubertierende. Zunächst mal stellt sich die Frage, ob Frauen in diesem Alter, zumal sehr erfolgreiche Frauen, überhaupt noch so etwas wie eine beste Freundin haben; hört das nicht irgendwann auf? Ich kann mich an keine tragende weibliche Figur aus einem amerikanischen Roman erinnern, die so stark zwischen hartem Karriereweib im Kostüm und flippigem Jungmädchen hin und her pendelt, dass ihr schwindlig werden müsste, die sich auf fast schon grotesk naive Art über Flirts austauscht und Sätze denkt wie diesen hier:
Es war schön, einen Menschen wie Caro zu haben, mit dem man all seine Geheimnisse teilen konnte und der all seine Geheimnisse mit einem selbst teilte.
Wir wissen zu diesem Zeitpunkt bereits, dass Caro eben nicht alle ihre Geheimnisse mit Jule teilt. Sie wird also bewusst naiv geschildert und dadurch sehr papieren. In deutschen Krimis begegnen mir solche Frauen immer wieder. Das Problem liegt wahrscheinlich darin, dass Autorinnen wie Hera Lind oder Amelie Fried mit ihren Ergüssen erfolgreich sind. Jule lässt sich nämlich auch von eben dieser Caro leicht und schnell mit Plattitüden von irgendwelchen Dingen überzeugen, die sie ganz sicher in ihrem Job niemandem durchgehen lassen würde: Dort trumpft sie nicht zuletzt mit Menschenkenntnis. So darf Caro ihr eigentlich gegen ihren Willen Tarotkarten legen. Das war wohl eher der Wille der Autoren – denn diese komische Tarotgeschichte nimmt Einfluss auf die Story und dient ihr mehrfach als Beschleuniger. Wenn dann noch einer Karrierefrau beim Anblick eines aufgedrängten Traumfängers im Auto "ein mattes Lächeln" übers Gesicht "huscht", dann sind wir ganz nah am Esoterikschund gelandet.
Aber zurück zum Positiven, davon gibt es in diesem Roman durchaus eine ganze Menge. Die Spannung steigt kontinuierlich, was auch am guten, wenn auch manchmal überkonstruierten Bauplan für die Geschichte liegt. Der Schnitt ist schnell, die Perspektive wechselt fast nach jedem der kurzen Kapitel – insgesamt sind es 155, plus Pro- und Epilog. So kommen wir allen Protagonisten einigermaßen nah: Jule und ihren Kollegen, den Dorfbewohner, der Kripo ebenso wie der Dorfpolizei – und dem Täter, der irgendwo in diesem Kreis zu finden ist, was schnell klar wird. Aber wer ist es nun? Die Fährten, die auf seine Spur führen und auch mal in die falsche Richtung gehen, sind vor allem in der zweiten Hälfte geschickt gelegt. Ständig passieren durchaus unerwartete Dinge, das Ende ist packend, wenn auch nicht völlig überraschend. Okay, manchmal hilft der Zufall etwas zu sehr mit, aber das ist nicht so schlimm. Schlimmer ist, dass, wie beschrieben, die Figuren nicht alle glaubwürdig sind – und schlimm ist manchmal die Geschwätzigkeit: Es fehlt zum wirklich großen Krimi an allen Ecken und Enden die Präzision. Zur norddeutschen Antwort auf beispielsweise Val McDermid ist der Weg sehr weit.
Ole Kristiansen, dtv
Deine Meinung zu »Der Wind bringt den Tod«
Wir freuen uns auf Deine Meinungen. Ein fairer und respektvoller Umgang sollte selbstverständlich sein. Bitte Spoiler zum Inhalt vermeiden oder zumindest als solche deutlich in Deinem Kommentar kennzeichnen. Vielen Dank!