French 75
- Sutton
- Erschienen: Januar 2011
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- Erfurt: Sutton, 2011, Titel: 'French 75', Seiten: 201, Originalsprache
Rostock und seine Helden
Rostock wieder lieben lernen: Das ist kein einfacher Job. Richard R. Roesch alias Volker H. Altwasser scheint jedoch für einen standardisierten Regionalkrimi sowieso überqualifziert zu sein: In den letzten drei Jahren wurde er für fast alle großen deutschen Buchpreise nominiert. Vielleicht schleichen sich deshalb Arthur Rimbaud, Sergej Jessenin und Jack Unterweger, der intellektuelle Serienmörder, in den vermeintlich schlichten Rostock-Krimi hinein. Anstrengend, oder angestrengt wirkt French 75 darum nicht. Trotzdem sollte man wissen, dass man mit diesem "Rostock-Krimi" keinen Ost-Wilsberg kauft oder ein verirrtes Tatort-Drehbuch.
Zudem ist French 75 nicht ohne die nötige Schroffheit inszeniert. Der Kunstgriff ins entfremdete Herz Rostocks liegt im russischstämmigen Privatdetektiv und Protagonist Pawel Höchst. Dieser muss sich nicht nur mit seinem gebrochenen Ehrgefühl, der unfähigen Rostocker Polizei und ,dem Meistermörder' herumschlagen, sondern vor allem in einer Welt zurechtfinden, deren Komplexität den Privatdetektiven an und für sich eigentlich abgehängt hat. Doch gerade aus seinen Augen und seiner Lage kann man den Drang nach einer neuen Heimat wiederentdecken.
Zumal Höchst eigentlich kein Privatdetektiv ist, zumindest kein gelernter. Er ist ein ehemaliger Seemann, der sich seiner Frau zuliebe auf dem Festland niedergelassen hat und gleich bei seinem ersten ernstzunehmenden Fall Mist baut: Seine Mandantin wird ermordet – nachdem sie ihn um Hilfe gebeten hat. Sie hinterlässt einen Sohn, wie alle Opfer des ,Meistermörders'.
Doch von da an ist der Traditionalist Höchst bei der Ehre gepackt: Wegen ihm muss ein kleiner Junge ohne Mutter aufwachsen. Das ist die gute Seite der alten Werte – mit größter Willenskraft jagt er den Meistermörder.
Die schlechte Seite aber kommt nicht damit klar, dass seine eigene Frau Ehebruch begangen hat, als Höchst lange, einsame Monate auf See verbracht hat. Er verlässt Sohn und Frau. Was also nun? Mit den Werten brechen oder krampfhaft an ihnen festhalten?
Indirekte Antwort liefert ein zweiter Erzählstrang, in dem ein gefeierter Poet in unglaublicher Brutalität über die Mutterlosigkeit der Gesellschaft schreibt und schreit - seine Gedichte nehmen gerne mal mehr als zwei Seiten für sich in Anspruch, sind aber nur ein kleiner Teil der Episoden über das Jetsetleben eines Dichters. Das Jetsetleben eines Dichters?! Hier zeigt sich die Klippe zwischen intellektuellem Anspruch und der Realität des Regionalkrimis sehr deutlich. Einerseits kann der Zwiespalt für großartige Intensität sorgen, andererseits endet er oftmals in der Selbstparodie.
Doch gerade dieser Zwiespalt macht French 75 so spannend und individuell: Obwohl der Aufbau traditionell, die Wendepunkte geradezu vorhersehbar und der Stil eingängig ist, füllt Roesch das Label ,Regionalkrimi' mit einer durchaus interessanten und packenden Geschichte über das Verlieren und Wiederfinden fester Bezugspunkte. Und legt damit einen Grundstein für eine nachvollziehbare Liebe zu Rostock – auch, wenn es manchmal ein bisschen zu viel wird mit der Liebe zum Zwiespalt:
Europas meistgesuchter Verbrecher versteckte sich in der kaputten Stadt Rostock! Oh, Rostock, deine Helden!
Trotz solcher Spitzen bietet der Roman ein großartiges Leseerlebnis. Er sollte nicht an dem Anspruch, Spannung in der Heimat mit Expressionismus zu verbinden, zugrunde gehen. Auch, wenn er diesen Anspruch noch nicht in Perfektion erfüllt. Aber es ist eben ein waghalsiger Weg. Und sind das nicht die spannendsten?
Richard R. Roesch, Sutton
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