FBI - Die wahre Geschichte
- Fischer
- Erschienen: Januar 2012
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- Frankfurt am Main: Fischer, 2012, Seiten: 695, Übersetzt: Christa Prummer-Lehmair u.a.
Big Hoover is watching you
Nach seinem Buch über die CIA widmet sich Tim Weiner dem FBI, dem ungeliebten Konkurrenten im Kampf um die Vorherrschaft der Geheimdienste. D.h., gestartet wurde ohne das "F", das "Bureau Of Investigation" bekam seinen endgültigen Namen erst 1935, dem Jahr in dem J. Edgar Hoover zum ungekrönten Herrscher über das Reich der Geheiminformationen aufstieg, in jene Position, die er bis zu seinem Tod 1972 innehatte. Ein Mann, der nach einer kurzen Eingewöhnungsphase nahezu autark arbeitete, der sich von Justizministern, Präsidenten sogar, nichts vorschreiben ließ, stattdessen eine straff organisierte Behörde aufbaute, die nur am Rande etwas mit grenzüberschreitender Verbrechensbekämpfung zu tun hatte. Hoover war ein kluger Kopf – in den Bahnen seiner höchst eigenen Denkungsart -, wusste er doch bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts, was erst im Internet-Zeitalter obsolet werden sollte: Wir leben in einer Informationsgesellschaft, und der Wert eines Menschen, für handelnde Organisationen, beziffert sich nach den Informationen, die ich über ihn besitze. So lassen sich selbst bejubelte Köpfe von Weltmächten (vor)führen.
FBI – Die wahre Geschichte einer legendären Organisation ist ein Buch, in dem das Erschrecken gleich auf den ersten Seiten beginnt. Denn Begriffe wie "Rechtsstaatlichkeit", "Menschenwürde", "Gesetzestreue" etc. werden zu Marginalien, wenn die vermuteten Feinde der gewählten Lebensweise ins Visier rechtschaffener Männer mit Befugnissen geraten. Wer auch immer diese Befugnisse abgesegnet hat. Oder auch nicht. So lange niemand fragt, reichen selbst obskure Zusätze in abseitigen Gesetzesvorlagen, um das eigene Handeln bis hin zu Folter und Aushebelung alle bürgerlichen Rechte zu rechtfertigen. Das galt in den klar strukturierten Anfangsjahren unter Hoover ebenso wie in den zerfaserten letzten Jahrzehnten, in denen sich FBI-Direktoren die Klinke in die Hand gaben, um am Ende – ähnlich wie bei der verhassten CIA-Konkurrenz – lautstark über eine komplette Neustrukturierung nachdenken zu müssen.
"Wir wollen keine Gestapo, keine Geheimpolizei", notierte Präsident Truman am 12. Mai [1945] in sein Tagebuch. "Das FBI tendiert in diese Richtung. Sie versuchen es mit Sexskandalen und schlichter Erpressung […] Das muss aufhören."
Hoover interessierte nicht, was Harry S. Truman von sich gab. Er nahm es zur Kenntnis und ließ seine Behörde weiterarbeiten wie zuvor. Antikommunistischer Paranoiker, der er war, standen kommunistische Regungen ganz oben auf der Agenda des zu bekämpfenden Übels. Selbst als Mitgliederzahlen der Kommunistischen Partei(en) und ihre Bedeutung nur noch marginal war. Doch andere Bedrohungen der amerikanischen Lebensart, von Edgar J. Hoover interpretiert, hatte er im Visier. Darunter zwei völlig konträre: Die Bürgerrechtsbewegungen, insbesondere alle Aktivitäten, die von Martin Luther King ausgingen oder in seinem Umfeld stattfanden, und den Ku Klux Clan, dem das FBI einige empfindliche Niederlagen beibrachte. Wobei sich Infiltration als wirksamstes Mittel entpuppte. Manchmal waren mehr FBI-Informanten bei Clan-Treffen als Mitglieder ohne Behörden-Kontakt.
Tim Weiner ist kein radikaler Linker, dessen Bestreben es ist, die amerikanische Gesellschaft zu diskreditieren und ihre Behörden der Lächerlichkeit und Häme preiszugeben. Er hat Material gesammelt, und das Glück gehabt, das in den letzten Jahren viele Schriften zugänglich wurden ("mehr als 70 000 Seiten […] sowie mehr als 200 Zeitzeugeninterviews"), inklusive diverser Geheimdossiers an J. Edgar Hoover. Daraus resultiert ein Blick auf eine Organisation, die nichts anderes ist als en Staat im Staate, mit eigenen Regeln und Gesetzesentwürfen. Über Recht und Ordnung wird sich jederzeit hinweggesetzt, wenn es einem Ziel dient: die USA vor Schaden von außen und innen zu bewahren. Wie dieser Schaden und seine Verursacher aussehen, ordnete erst J. Edgar Hoover allein an, danach mussten seine – natürlich nicht speziell ausgebildeten - Nachfolger den Zeitläufen hinterher rennen, überfordert von politischen Ränkespielen, dem ewigen Zwist mit der CIA, der einen wirkungsvollen Informationsaustausch nicht zuließ, und den sich ständig verändernden Bedrohungen.
Es ist letztlich eine Herrschaft des unterschwelligen Schreckens, die J. Edgar Hoover durch seine Organisation errichten lässt. Von Verhaftungen ohne Haftbefehl, bis hin zu Abhöraktionen in die hintersten Winkel der Provinz, ohne Scheu auch die politischen Repräsentanten des vielbeschworenen "Land Of The Free" auszuhorchen. Im Weißen Haus findet sich garantiert ein intimes Plätzchen für eine Wanze.
Manchmal machen verfassungstreue Gerichte dem FBI einen Strich durch die Rechnung, manchmal auch unzufriedene (leitende) Angehörige wie Mark Felt, der als "Deep Throat", das "Watergate"-Debakel via Washington Post öffentlich machte. Über die Gründe darf spekuliert werden; eine Frage des Gewissens oder der Ärger darüber, nicht zum Nachfolger J. Edgar Hoovers bestellt zu werden?
Glücklicherweise spekuliert Weiner kaum. Er vertraut seinem Wust an Informationen, versucht sie zu bündeln, wodurch natürlich manches zu knapp abgehandelt wird. Wie die Verwicklungen des FBIs in Auslandsaktivitäten, insbesondere in Kriegssituationen (Korea, Vietnam, Irak). Aber die punktuellen Aussagen lassen die entsprechenden Schlüsse zu.
Klatsch verweigert sich Weiner ebenso wie spekulativen Übertreibungen. So wird das Bild vom homophoben Homophilen Hoover im rosa Tütü auf einer halben Seite abgehandelt. Laut Weiner gibt es nichts Gesichertes zu berichten, also berichtet er es auch nicht.
Das FBI als Organisation, die grenzüberschreitende Verbrechen bekämpft, kommt bei Weiner kaum vor. Der redliche G-Man, der unter Einsatz seines Lebens Drogenhändler, Mafiosi und Serienkiller verfolgt und verhaftet, wird zu einem Mythos, der von den Medien gepflegt wird. Ein Schachzug, den Hoover selbst vorantrieb.
Natürlich spielt der Aspekt der Verbrechensbekämpfung eine Rolle im Wirken des FBI, aber Weiner betrachtet in seinem Buch die Behörde strikt als Geheimdienst. Und viele Fakten geben ihm recht mit dieser eingeschränkten Sicht.
1959 waren in New York über 400 FBI-Agenten für die kommunistische Bedrohung zuständig, aber nur vier für die Mafia.
So altertümlich es klingen mag: FBI – Die wahre Geschichte einer legendären Organisation ist eine Sittengeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts. Ein spannendes Sachbuch, das ohne jede Hysterie darlegt, was in den letzten gut 120 Jahren falsch gelaufen ist und warum. Im Gegensatz zu James Ellroy, der J. Edgar Hoover als psychisch derangiertes Einzelphänomen mit zu viel Einfluss wahrnimmt, zeigt Weiner, dass der Alleinherrscher nur funktionieren konnte, weil es eine Gesellschaft gibt, bzw. gab, die seine Herrschaft trug. Und wer es bis dato noch nicht wusste: Die Entscheidungen über die Geschicke einer Nation werden im Schatten getroffen und nicht von politischen Aushängeschildern. Das hat nichts mit Dämonisierung und Verschwörungstheorien zu tun, sondern ist alleine einem kleinen Versprechen geschuldet: Dass die eigene und nationale Sicherheit das höchste zu schützende Gut ist. Und obwohl jeder Mensch weiß, dass Sicherheit eine Illusion ist, wird sich verzweifelt an diejenigen geklammert, die versprechen, dass diese Aussage nicht stimmt. Menschlich, nachvollziehbar und höchst fatal.
Dabei bieten, nicht nur laut Weiner, demokratische Verfassungen und Grundgesetze doch einen passablen Ausweg. Die eigenen ideale anzuerkennen und nach ihnen zu leben ermöglicht auch die Chance effektiv gegen Feinde von außen vorzugehen. Wenn Organisationen wie das FBI und die CIA (die bei Weiner noch schlechter wegkommt) dies begreifen, haben sie die Möglichkeit in der Zukunft das zu erreichen, wofür sie vorgeblich angetreten sind: Das eigene Land und seine Bewohner zu schützen und für ein lebenswertes Gemeinwesen zu sorgen. Doch bis dorthin ist es noch ein weiter Weg.
Tim Weiner, Fischer
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