Wer im Trüben fischt
- btb
- Erschienen: Januar 2012
- 2
- München: btb, 2012, Seiten: 320, Originalsprache
Man pisst einem Toten nicht ans Bein...
"Toter-Vogel-Optik" nennt die Kollegin vom Krimi-Kiosk die Art von Covergestaltung, die auch Mechthild Lanfermanns Krimi-Debüt Wer im Trüben fischt "ziert". Was hat der dahingeschiedene Buchfink mit dem Inhalt des Romans zu tun? Nichts! Kritiker der verschiedensten Medien weisen schon seit längerem auf die Einfallslosigkeit derartiger Cover hin, doch scheint es, bei den Verantwortlichen in den Verlagen nicht anzukommen oder ignoriert zu werden. Billige, aber sicherlich preiswerte Aufmachung vermittelt leider auch den Eindruck, der Inhalt lohne nicht einer individuellen äußeren Gestaltung und damit verbunden, einer genaueren Betrachtung. Wäre Wer im Trüben fischt nicht zum "Krimi des Monats" einer beliebten Berliner Krimi-Buchhandlung erkoren worden, wäre er bestimmt ungelesen in den Archiven der Krimi-Couch-Redaktion verstaubt. Immerhin sieben von zehn möglichen Punkten (Pistolen) vergab der belesene Buchhändler. Grund genug, sich Lanfermanns Erstling vorzunehmen.
Die Autorin arbeitete lange Jahre als Reporterin und Redakteurin bei diversen deutschen Sendeanstalten. Zur Zeit ist sie Dozentin an einer Fachhochschule in Hannover und lehrt dort Hörfunk. Naheliegend, dass Lanfermann auch ihre Heldin, die dynamische Reporterin Emma Vonderwehr, in diesem Metier untergebracht hat. Hier zeigt sich einmal mehr, wie vorteilhaft sich Sachkenntnisse eines Autors auf eine authentische Atmosphäre auswirken können. Schauplatz des Geschehens ist unter anderem das Redaktionsgebäude des fiktiven Radiosenders "BerlinDirekt". Eine Lokalität, in der sich die Autorin wie zu Hause fühlt und die Szenen im Funkhaus strotzen nur so von der spannungsgeladenen Hektik eines Redaktions-Alltags. Die Magie dieser fieberhaften Betriebsamkeit ist ein Labsal für die desillusionierte Protagonistin.
Emma Vonderwehr ist von Bremen nach Berlin übergesiedelt, nachdem ihre Informantin in einem Vergewaltigungsfall Selbstmord begangen hatte. In der Hansestadt zur Persona non grata erklärt, versucht sie in Berlin einen Neuanfang bei einem lokalen Radiosender. Ihr erster Auftrag führt sie zu einer neugegründeten Universität. Beim Eröffnungsempfang ist der berühmte amerikanische Gastprofessor Tom Rosenberg verschwunden. Mit der ihr eigenen Dreistigkeit verschafft Emma sich Zutritt zum Uni-Gebäude und findet schnell heraus, dass der Professor nicht verschwunden ist, sondern tot in einem von außen abgeschlossenen Raum entdeckt wurde. Dem leitenden Kommissar Edgar Blume kann sie entlocken, dass die Polizei von einem Mord ausgeht. Wie sich herausstellt war Rosenberg, jüdischer Abstammung mit Wurzeln in Deutschland, trotz seiner unbestritten fachlichen Kompetenz bei seinen Kollegen nicht wohlgelitten. In seinem zum Bestseller avancierten Buch hatte er antisemitische Tendenzen in deutschen Akademikerkreisen angeprangert und das hatten einige ihm übelgenommen. In seiner ersten Woche in Berlin hatte er zudem damit begonnen, die Vergangenheit seines Großvaters zu lüften, der im Jahre 1934 aus Deutschland flüchten musste. Die Recherchen des Enkels scheinen schlafende Hunde geweckt zu haben. Sind sie vielleicht auch für seine Ermordung verantwortlich? Emma Vonderwehr folgt den Wegen des Professors durch Ämter und Archive und stößt dabei auf eine Gruppe Lokalprominenz, die auch heute noch von den Verbrechen der Vergangenheit profitiert.
"Man pisst einem Toten nicht ans Bein"- so die empörte Äußerung eines Enttarnten gegen Ende der Geschichte. Man mag es als drastische Übersetzung des Lateinischen "De mortuis nil nisi bonum" deuten. Gutes erzählt man gerne, Schlechtes umhüllt man lieber mit dem Mäntelchen des Schweigens. Die Vergangenheit ruhen lassen, heißt es so unverfänglich. Auch heute zu Beginn der zweiten Dekade des neuen Jahrtausends ist das schwärzeste Kapitel der deutschen Vergangenheit nicht abgeschlossen. Fast 70 Jahre nach Ende des NS-Terrorregimes sterben die direkten Zeugen, Opfer und Täter langsam aus, doch das Erbe ist auf die nachfolgenden Generationen übergegangen. Ob Nazi-Terrorzellen, rechtsradikale Demonstrationen oder Reichtum und Ansehen, die auf NS-Verbrechen gründen, das Erbe gedeiht weiter - offen oder im Verborgenen, wie die Autorin es uns vorstellt.
Auch wenn Mechthild Lanfermann in Wer im Trüben fischt thematisch kein Neuland mehr betritt, weiß sie, ihren Plot abwechslungsreich zu gestalten. Die Suche nach den Hintergründen des Verbrechens an Tom Rosenberg birgt einige Überraschungen. Aber es ist die burschikose Art der Heldin, die den Krimi lesenswert macht, die sicherlich auch in einer Serie eine gute Figur abgeben würde. Noch traumatisiert von den schrecklichen Ereignissen in Bremen, wächst sie mit den ihr gestellten Herausforderungen. Mit rhetorischem Geschick und Einfühlungsvermögen knackt sie so manchen Panzer, der sich in Jahren des Leugnens gebildet hat.
Was nun gar nicht zur selbstbewussten, wieder erstarkten Emma passt, ist, dass sie sich in die Arme des ältlichen Kommissars Blume werfen muss. Wenn´s denn schon unbedingt eine Liebesgeschichte sein muss, dann bitte nicht in dieser abgeschmackten Konstellation, deren Häufung in Kriminalromanen der letzten Zeit schon als inflationär zu bezeichnen ist. An sich ist das keine große Sache, doch in den Augen des Rezensenten wertet diese Frühling-Herbst-Beziehung die sonst so stimmige Heldin ab.
Wie schon erwähnt hat Emma Vonderwehr das Zeug zur Serienheldin und man möchte sie doch gerne wiedersehen wenn`s geht ohne Begleitung.
Mechthild Lanfermann, btb
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