Mephistos Erben
- Fischer
- Erschienen: Januar 2012
- 1
- Frankfurt am Main: Fischer, 2012, Seiten: 479, Originalsprache
Viel Wind um wenig
Natürlich ist das ein Horror für eine Psychiaterin: Sie erfährt, dass eine ihrer Patientinnen Selbstmord begangen hat; zwei Tage, nachdem die zu einem Termin nicht erschienen war.
Dabei ist Lea Johannsen mit ihrem tollen Mann und ihren tollen Kindern eigentlich eine ziemlich unbeschwerte Persönlichkeit. Sie hat dazu noch einen tollen Kollegen, mit dem sie die Praxis teilt, und der ist in lateinischen Sprüchen und Philosophie dermaßen bewandert, dass es sogar für sie selbst manchmal schwer zu ertragen ist – diesem Ullrich fällt immer ein Zitat ein.
Jetzt aber ist eine ihrer Patientinnen tot, und das macht Lea ordentlich zu schaffen. Vor allem aus einem Grund: Lea konnte die Wahnvorstellungen der Kunsthistorikerin Susanna van der Neer nicht einordnen, weil sie zu keinem eindeutigen Krankheitsbild passten. Irgendetwas war da komisch. Von der Mordkommission – die sind auch sehr nett und liebenswert – erfährt Lea außerdem, dass es etliche offene Fragen gibt. Auf den Anrufbeantworter der jetzigen Ex-Patientin hat jemand die Zahl zwanzig gehaucht; der Bruder der Toten schließt zudem einen Selbstmord komplett aus; und so bleiben alle dran am Fall: Allen voran der Kommissar Franz Bender, der jedes Detail der Ermittlung mit der Psychiaterin erörtert, weil Lea von der Toten überraschend zur Gutachterin bestimmt wurde. Und die wiederum, also Lea, tauscht sich mit dem Kollegen Ullrich aus, der sie fast schon psychologisch betreut. Und natürlich immer eine lateinische Weisheit auf Lager hat.
Lea forscht also nach und kommt, begünstigt durch einige Zufälle, auf ein ominöses esoterisches Institut in der Nähe. Offensichtlich war die Tote in die Fänge einer skrupellosen Sekte geraten. In diesem Institut spielt Lea jetzt die interessierte Unschuldige, die sich über Kurse informieren will – aber sie wird festgehalten und hypnotisiert.
An diesem Punkt etwa beginnt der Roman tatsächlich spannend zu werden. Das Manko: Wir haben da schon fast die Hälfte des Buches gelesen. Wir wissen, wie Lea mit ihren Kindern umgeht, was es zu essen gibt, wie sie zu Fernsehen und Hausaufgaben steht, zu Alkoholkonsum von Jugendlichen, wo und mit wem sie joggen geht und was der Hund so treibt. Wir besuchen eine Schulveranstaltung und gehen gemeinsam einkaufen. Das wäre ja auch gar nicht schlimm, wenn es nur halbwegs interessant wäre, wenn die Figuren lebendig und die Schilderungen lesenswert wären. Aber die Menschen in diesem Roman bleiben hölzern, die Welt ist dann doch etwas zu gewöhnlich, um aufregend zu sein, hier werden durchschnittliche bürgerliche Gemeinplätze mit ebenso durchschnittlichem bürgerlichem Getue beschrieben, dass der Roman stellenweise keinerlei Bodenhaftung mehr hat. Und wenn die Autorin das selber merkt, versucht sie es auszugleichen – durch bedeutungsschwangere, aber plumpe und leere Sätze wie diesen hier:
Leas Blick fiel auf die Uhr über dem Eingang ihres Sprechzimmers, 16 Uhr 35. Scheinbar bewegten sich die Zeiger immer zu unpassender Zeit schneller vorwärts, als wollten sie den Gegenbeweis zu einer gleichförmigen linearen Zeitfolge antreten.
Sprachlich schwach ist Mephistos Erben immer wieder, und zwar von Anfang an. Aber zunächst mal zum Roman selbst: Der zerfällt in zwei Ebenen. Die erste, in Kursivschrift gehalten, zeigt die Entwicklung der Kunsthistorikerin, ihre Schuldgefühle, Unsicherheiten und Ängste. Hier verwirrt uns die Autorin bewusst mit einer wenig greifbaren Waber-Prosa, die vieles im Dunkeln lässt und so Spannung erzeugen will. Dieses Stilmittel ist ja nicht selten, bei guten Romanen erhöht so etwas die Anziehungskraft; hier aber wird dieser Strang mit zahlreichen Vergleichen aus der Kunstgeschichte und mit pathetischen Verbalkonstruktionen an den Rand der Beliebigkeit geführt, außerdem stört die ausufernde Ausführlichkeit. Die andere Ebene erzählt vor allem das alltägliche Leben von Lea und ihrem Umfeld – eingebunden in die Polizeiarbeit forscht Lea eben auf eigene Faust nach und begibt sich in Gefahr.
Zur Geschichte will ich gar nicht mehr viel sagen, schließlich betrifft sie ja doch in erster Linie das letzte Drittel – nur das: Die beiden Ebenen treffen sich, um eine Auflösung zu ermöglichen, die nicht viele überraschende Momente bietet. Bis zum Ende bleibt sich Sophie Heeger treu: Es gibt viele Passagen, die der Geschichte wenig förderlich sind und selbst bei der recht hohen Spannung gegen Ende immer wieder die Luft aus dem Erzählfluss nehmen.
Erzählfluss? Ach, das wäre schön. Immerhin steht auf dem Schutzumschlag, dies sei ein "literarischer Rhein-Main-Krimi" – und dann erscheint er auch noch im traditionsreichen Verlag S. Fischer. Aber literarisch würde beispielsweise schon bedeuten, dass die Autorin behutsam mit Adjektiven umgeht und sprachlich sauber schreibt. Schon auf den ersten Seiten allerdings ist die Hoffnung weg:
Nach einer Weile pfiff Lea nach dem Hund, der sich immer weiter entfernt hatte.
Halt! Er hatte sich weiter entfernt? Hatte er sich bereits weit entfernt oder entfernte er sich gerade weiter? Das ist, mit Verlaub, sprachlich unsauber. Und das, leider, zieht sich durch das ganze Buch. Manchmal hatte ich das Gefühl, eine schlechte Übersetzung in der Hand zu halten: "nicht mehr länger", "Herzattacke", "keine Idee" (statt "keine Ahnung") – und dann wird unentwegt zugezwinkert und hoffnungsvoll gefragt. Das literarische Ungeschick der Autorin lässt sich überall festmachen; hier ein kleiner Auszug, der dieses Problem schön aufzeigt – schwache Dialogführung und eine Erzählweise, die nicht auf einer leichten Hand beruht, sondern auf statischer Unbeholfenheit:
"Mensch, Lea, ich habe ja seit Ewigkeiten nichts mehr von dir gehört", wurde sie von Elisabeth freudig begrüßt.
"Da sagst du was, Elisabeth! Wie geht es dir?" Lea wollte nicht gleich mit der Tür ins Haus fallen, doch nach den üblichen Fragen zu Gesundheit, Familie und Beruf und der allgemeinen Stimmungslage kam sie zügig zum eigentlichen Anlass ihres Anrufes. Kurz schilderte sie das Problem und war gespannt, ob Elisabeth schon von diesem Institut gehört hatte.
Da wird also viel beschrieben, aber wenig erzählt. Und oft, das ist ganz ärgerlich, erklärt: Mir muss wirklich niemand sagen, was Rocky für ein Film ist oder wer Bibi Blocksberg ist.
Etwas aufgesetzt wirkt übrigens schon das Motto: Ars vera et falsa diiudicandi – also die Kunst, Wahres und Falsches zu unterscheiden. Was sich Sophie Heeger für ihren Zweitling vornehmen sollte: Die Kunst, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden.
Sophie Heeger, Fischer
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