Wenn die Nacht verstummt
- Argon
- Erschienen: Januar 2012
- 11
- New York: Minotaur, 2011, Titel: 'Breaking silence', Seiten: 302, Originalsprache
- Berlin: Argon, 2012, Übersetzt: Tanja Geke
Kate Burkholder und die Jauchegrube
Sie sind schon ein seltsames Völkchen, diese Amischen. Der Ursprung dieser gottesfürchtigen Glaubensgemeinschaft lag in der Schweiz. Seit dem 18. Jahrhundert siedeln sie in ländlichen Gebieten verschiedener amerikanischer Staaten mit Schwerpunkten in Ohio, Pennsylvania und Indiana. Viele von ihnen bestreiten ihren Lebensunterhalt mit einer traditionellen Landwirtschaft – einer gesunden Mischung aus Ackerbau und Viehzucht, die man heute als tiergerecht und umweltverträglich bezeichnen würde. Bei so viel Erfahrung darf man sich schon wundern, dass eine dieser Familien (die Slabaughs – wir werden von ihnen lesen) die hofeigene Jauchegrube ausgerechnet innerhalb ihrer Scheune gebaut haben soll, wodurch das Leben von Mensch und Tier durch austretende Gase gefährdet sein würde. Aber ohne diesen eigentlich unhaltbaren Zustand gäbe es keine Geschichte.
Wenn die Nacht verstummt – über die Aussagekraft dieses Titels verlieren wir jetzt kein Wort – ist die dritte Folge der Reihe um die sympathische Heldin Chief Kate Burkholder in relativ kurzer Zeit. Ist es die Heldin oder das fast schon exotisch anmutende Milieu der Amisch-Gemeinde oder sind es die spannenden Krimiplots, die Linda Castillos Kriminalromanen sowohl in den USA, als auch bei uns in Deutschland ein breites Publikum bescherten? Die Mischung macht´s!
Wir erinnern uns (oder erfahren es jetzt), dass Kate Burkholder die Polizeichefin von Painters Mill, einer kleinen fiktiven Stadt im nordöstlichen Ohio mit einer großen Amisch-Gemeinde ist. Wie schon im Vorgängerroman Blutige Stille, der mit einem nächtlichen Massaker an einer 7-köpfigen Amisch-Familie beginnt, stehen auch in Wenn die Nacht verstummt wieder Gewalttaten gegen diese friedfertigen Glaubensbrüder und -schwestern im Vordergrund. Prügelattacken auf einsamen Landstraßen, Brandanschläge auf Haus und Hof oder das sinnlose Abschlachten von Nutzvieh lassen auf einen unerklärlichen Hass schließen, den Burkholder anfänglich gar nicht einzuordnen weiß. Als dann noch drei Erwachsene der amischen Slabaugh-Familie tot in ihrer eigenen Jauchegrube aufgefunden werden, gerät die Polizeichefin leicht in Panik.
Bis zu ihrem achtzehnten Lebensjahr hat sie selbst als Amische gelebt und kennt die besonders engen Bindungen innerhalb einer Amisch-Familie. Die Ermordung, wie sich schnell herausfinden wird, von Vater, Mutter und Onkel lässt vier heranwachsende Kinder verwaist zurück, deren Ängste und Verzweiflung Burkholder tief berühren. Besonders das Schicksal von Salomé, der fünfzehnjährigen Schönheit der Familie, hat es ihr angetan, erinnert es sie doch an ihre eigene Pubertät, die von entsprechender Gewalt überschattet war.
Fingerabdrücke und Fußspuren führen im Fall der Hassdelikte recht schnell zu einem Ergebnis. Mehrere Verdächtige werden vorläufig festgenommen, die einiges gestehen, aber eine Beteiligung an der Ermordung der Slabaughs vehement von sich weisen. Burkholder sind auch schon Zweifel an deren Täterschaft in diesem Fall gekommen. Ein anderer Onkel der Slabaughs, der möglicherweise die Kinder adoptieren wird, hat sich verdächtig gemacht. Allmählich kristallisiert sich heraus, dass die Motive auch innerhalb der Familie zu finden sein könnten, denn dort ist es längst nicht so fromm und gesittet zugegangen, wie es den Anschein hatte.
Der Rezensent hat im Schlusssatz seiner Besprechung zu Blutige Stille darum gebeten, die Schlafzimmertüre der Heldin möge doch weitgehend geschlossen bleiben. Aber genau diese Tür hat die Autorin nun weit geöffnet und präsentiert haarklein das Seelenleben einer heillos überforderten Polizistin. Nichts ist geblieben von der Souveränität und Akribie, mit denen sie ihre ersten Fälle löste, die einen spannenden Plot kreierten. Schlaflosigkeit, Alkoholmissbrauch und depressive Schübe lassen auf ein nahendes Burnout-Syndrom schließen, gar eine komplette Dienstunfähigkeit befürchten. Schreckliche Erinnerungen an ihre Jugendzeit plagen sie; unter ihrer Unfähigkeit zur Mutterschaft leidet sie und Bilder von ermordeten oder zurückgeblieben Opfern verfolgen sie durch ihre Träume. Wäre da nicht ihr Freund und Kollege John Tomasetti, der ihr einen gewissen Halt geben kann, wer weiß, zu was Kate Burkholder in dieser prekären Lage fähig wäre. Wie die Slabaughs in den giftigen Dämpfen ihrer Jauchegrube untergingen, so droht der Sumpf der psychischen Überlastung Kate Burkholder zu verschlingen.
Linda Castillo hat ziemlich dick aufgetragen. Das sich ständig wiederholende Lamento über Burkholders schweres Los verliert schnell an Glaubwürdigkeit. Pseudo-Emotionalität anstatt echter Gefühle ist nicht geneigt, den Leser zu fesseln. Wie ein zäher Brei überlagert das Privatleben der Heldin die Krimihandlung, die sich dadurch auch nicht richtig zu entfalten vermag. Deshalb ist Spannung auch eher Mangelware.
In einem Interview sagte die Autorin, dass sie sehr gerne Serien schreibt und dass der hier vorliegende dritte Teil der Burkholder-Reihe dazu dienen sollte, die Serien-Charaktere weiterzuentwickeln. Das trifft wohl auf die beiden Hauptfiguren Burkholder und Tomasetti zu, wobei die Heldin, zumal sie auch noch aus der Ich-Perspektive erzählt, das Geschehen dominiert. Andere Akteure, sollte es denn welche geben, die von Anfang an dabei sind, haben beim Rezensenten keinen nachhaltigen Eindruck hinterlassen.
Das Alltagsleben der Amischen, das in allen drei Romanen eine wichtige Rolle spielt, ist nicht besonders aufregend, gleicht eher einem ruhigen Fluss als einem quirligem Wildwasser. Auch wenn die Autorin in Wenn die Nacht verstummt aufzuzeigen versucht, dass sich hinter der Fassade von Sittsamkeit und Bescheidenheit explosive Leidenschaft verbergen kann, die in einem Gewaltakt kumuliert, bleibt das der Stoff eines Familien-Melodrams, wenn gleichzeitig die Elemente des Kriminalromans vernachlässigt werden.
Linda Castillo kommt, wenn der Rezensent richtig informiert ist, aus der "Romantic Suspense"- Ecke. In diese Richtung bewegt sich die Autorin wieder mit dem vorliegendem Roman. Wer ihr da folgen will – bitte! Für Rezensenten verliert sie damit den Status einer ernstzunehmenden Krimiautorin. Schade eigentlich!
Linda Castillo, Argon
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