Kalter Trost
- Bastei Lübbe
- Erschienen: Januar 2012
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- Köln: Bastei Lübbe, 2012, Seiten: 320, Übersetzt: Gabi Reichart-Schmitz
Korruption und Gier zerstören Existenzen
Gunnhildur Gísladóttir und ihr Team werden in der isländischen Hauptstadt Reykjavík zu einem Tatort mit einer mehr oder weniger prominenten Leiche gerufen. Svana Geirs, aus verschiedenen Fernsehsendungen bekannte Fitness-Trainerin, ist in ihrer Küche erschlagen worden. Bei der Suche nach Tatverdächtigen stoßen die Ermittler zwar auch auf den entflohenen Gangster Ómar Magnússon, aber andere Spuren führen in höchste Kreise von Wirtschaft und Politik. Es stellt sich bald heraus, dass Svana eine Art privaten Club unterhalten hat, dem bekannten Größen aus dem öffentlichen Leben angehörten. Sie alle geraten nun als Verdächtige in das Visier der Polizei. Doch dann gibt es einen Brandanschlag, bei dem die Ehefrau eines der beteiligten Männer nur knapp mit dem Leben davonkommt. Weitere Verbrechen geben den Ermittlern Rätsel auf, die in akribischer Polizeiarbeit an der Lösung arbeiten müssen. Im Sumpf von Korruption, Gier und Lügen entpuppt sich das als Herkules-Aufgabe für Gunna und ihre Kollegen.
Es ist schon ungewöhnlich, dass ein englischer Autor einen "Island-Krimi" schreibt. Im Falle von Quentin Bates darf das jedoch nicht verwundern, schließlich hat der britische Journalist ein ganzes Jahrzehnt auf der Vulkaninsel gelebt und ist sogar mit einer Isländerin verheiratet. Wer nicht allzu viel Erfahrung mit Romanen über den nordeuropäischen Inselstaat hat, muss sich zunächst an einige Besonderheiten gewöhnen. Die Orts- und Familiennamen klingen für deutsche Ohren ziemlich merkwürdig, und das notorische "Du" der Isländer irritiert am Anfang gewaltig. Aber auch die Ermittlungsmethoden der Polizei sind dort etwas gewöhnungsbedürftig – dynamisch geht anders.
Dennoch baut Quentin Bates einen passablen Spannungsbogen auf, denn das Rätsel um die Ermordung der jungen Frau ist nur ein Aspekt der recht verzwickten Kriminalgeschichte.
Wirklich sympathisch ist seine weibliche Hautfigur. Gunnhildur Gísladóttir, von guten Freunden und Kollegen nur Gunna genannt, ist eine Witwe, die mit ihrem Schicksal mittlerweile wohl ganz gut zurecht kommt. Sie hat eine jugendliche Tochter, und die daraus resultierenden familiären Konflikte bieten abwechslungsreiche Unterhaltung. Bates versteht es jedoch, diesen persönlichen Hintergrund seiner Protagonistin unaufdringlich und wie selbstverständlich in seine Geschichte einzubauen. Überhaupt zeigt der Autor mit diesem Buch, dass er ein guter Erzähler mit einem angenehm zu lesenden, flüssigen Stil ist.
Die zwei Handlungsstränge, die Bates nebeneinander laufen lässt – aus dramaturgischen Gründen darf ich hier nicht allzuviel verraten – führen Ermittler und Leser in trauter Eintracht in die Irre. Man lernt bei der Lektüre so einiges über die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse in Island, und die Folgen der jüngsten Banken- und Finanzkrise werden gut in die Geschichte eingebaut. Es ist nicht gerade ein Polit-Thriller, was Bates da vorgelegt hat, aber kommt dem in einigen Aspekten doch recht nahe.
Zwar passieren nach dem ersten Mord noch weitere Verbrechen, aber hier und da würde man sich doch etwas mehr Dynamik wünschen. Der Autor verzichtet jedoch auf Action und gewalttätige Szenen, selbst der zweite Mord wird eher betulich geschildert. Vermutlich passt sich Quentin Bates hier dem Lebensstil seiner Wahlheimat an, zumindest gewinnt man diesen Eindruck bei der Lektüre. Dennoch gelingt es ihm, den Leser bis zum Schluss mit seiner Geschichte zu fesseln – und auch zu überraschen. Die Banalität mancher Zusammenhänge, die dann im Finale enthüllt werden, ist schon verblüffend. Für Freunde skandinavischer Krimis ist Bates auf jeden Fall zu empfehlen, auch wenn sich sein Stil von dem schwedischer oder norwegischer Autoren deutlich unterscheidet. Sollte er weitere Romane über Gunnhildur Gísladóttir und ihr Team schreiben, darf man gespannt sein, ob diese Figur noch weiteres Potenzial bietet.Quentin Bates, Bastei Lübbe
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