Töte deinen Nächsten
- Grafit
- Erschienen: Januar 2012
- 3
- Dortmund: Grafit, 2012, Seiten: 288, Originalsprache
Killer und Maulwürfe bei den Eidgenossen
Johanna di Napoli ist Polizistin bei der Stadtpolizei in Zürich. Viel Alkohol, zu viele One-Night-Stands und eine ausgeprägte Abneigung gegen Vorschriften und Vorgesetzte machen ihr mächtig zu schaffen. Um die eigenwillige Quotenfrau wegen eines drohenden Strafverfahrens aus der Schusslinie zu nehmen, wird sie damit beauftragt, sich um die Drohungen gegen vier in der Schweiz lebende Deutsche zu kümmern. Einer von ihnen ist der Leiter eines neuen schweizerisch-deutschen Nuklearforschungsinstitutes. Bei ihren Recherchen im Institut sieht sie zwei verdächtige Männer – die bald eine wichtige Rolle spielen werden. Zur Einweihung der Einrichtung kommt eine hochrangige Delegation aus Deutschland, und bei einem Attentat wird der Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion erschossen. Urplötzlich steckt Johanna in einem Wirrwarr aus Spionage, Russen-Mafia und alten Rechnungen, die blutig beglichen werden. Zusammen mit ihren persönlichen Problemen entsteht ein brisanter Cocktail, der es wirklich in sich hat.
Michael Herzig präsentiert den Lesern in seinem dritten Roman um die ebenso eigenwillige wie sympathische Polizistin Johanna di Napoli einen wirklich fesselnden Mix aus politischen Intrigen, Maulwürfen in der Schweizer Polizei, Fremdenhass unter den Eidgenossen und dem langen Arm des organisierten Verbrechens. Die offensichtlich strafversetzte Johanna di Napoli ist dabei eine höchst unorthodoxe Protagonistin. Das Buch beginnt damit, dass sie in einem fremden Bett aufwacht, sich aus der Wohnung schleicht – und nicht einmal mehr weiß, mit wem sie Sex hatte. Herzig knüpft nahtlos an die Vorgänger-Romane an, aber man kann auch durchaus problemlos mit diesem Buch in die Reihe einsteigen.
Angesichts der großen Wellen, die die Haftbefehle der Schweizer Behörden gegen deutsche Steuerbeamte im Frühjahr 2012 schlagen, hat der Autor mit seinem Kernthema tatsächlich ins Schwarze getroffen. Hassbriefe und Droh-Schmierereien gegen Deutsche sind in der Schweiz offenbar nichts wirklich ungewöhnliches, wenn man Herzig in seinen Nachbemerkungen glauben darf. Auf alle Fälle wirkt der Roman hervorragend recherchiert, von guten Orts- und Milieukenntnissen ganz zu schweigen. Der spannende Plot wirkt von Beginn an gut durchkonstruiert, und trotz aller Überraschungen bleibt die Geschichte auch durchgängig glaubhaft.
Allerdings operiert der Autor weniger mit falschen Fährten für Leser und Ermittler, als vielmehr mit einer Art Verdichtung der Erkenntnisse. Zusammenhänge erschließen sich durch neue Fakten anders als zuvor, und der dadurch aufgebaute Spannungsbogen wird erfreulicherweise durch die persönlichen Befindlichkeiten der ungewöhnlichen Protagonistin keineswegs beeinträchtigt. Michael Herzig gelingt es vielmehr, die Persönlichkeit von Johanna di Napoli zum festen Bestandteil seiner Geschichte zu machen. Der Roman ist sowohl im Hinblick auf die verschiedenartigen Charaktere, als auch hinsichtlich der Handlung überaus komplex gestaltet – der Leser wird bei der Lektüre richtig gefordert, was ich persönlich als angenehm empfunden habe. Töte deinen Nächsten ist definitiv keine Einschlaflektüre.
Die Vergangenheit der Protagonistin wird erfrischend beiläufig erzählt, so dass der Leser über ihre spezielle Feindschaft zur Verbrecher-Dynastie Hügli und deren Affinität zur russischen Mafia informiert ist. Vor diesem speziellen Hintergrund geht es dann um das Kernthema. Nachrichtendienste, Informanten, unwissentlicher Landesverrat und das damit verbundene Beziehungsgeflecht – durchzogen von gegenseitiger Abhängigkeit und gnadenlosem Eigennutz. Und weil es um die heiß begehrte Nukleartechnologie geht, ist nicht allen Mitspielern bewusst, mit welch glühenden Eisen sie es da zu tun haben. Das Verwirrspiel um gute und böse Länder, um Freunde und Feinde, um Risiken und Chancen hat Michael Herzig äußerst authentisch und nachvollziehbar aufgebaut und dem Leser erklärt – wenn dieser denn aufmerksam genug bei der Sache ist.
Neben Johannas Kollegen, die mal gegen sie Intrigen schmieden, mal ihre Hand über das "Kampfweib" halten, ist der deutsche Berufskiller eine bemerkenswerte Figur in diesem Roman. Eine zwielichtige Figur, stets gewaltbereit, aber auch mit rationalem Denken ausgestattet. Eigentlich will er sich zur Ruhe setzen, aber dann gehen ihm die Pferde durch. Dieser ambivalente Akteur bereichert die Geschichte ungemein, auch weil die übrigen Kriminellen daneben eher verblassen. Lobenswert ist übrigens auch, dass Michael Herzig sich jeglicher Abschweifungen enthält, dieses Buch hätte kaum kompakter gestaltet werden können. Eine höchst kurzweilige Lektüre, die deutlich macht, dass die Geschichte der Johanna di Napoli noch lange nicht zu Ende erzählt ist.
Michael Herzig, Grafit
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