Der Wärter
- Heyne
- Erschienen: Januar 2012
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- New York: Mulholland, 2011, Titel: 'Hell & gone', Seiten: 286, Originalsprache
- München: Heyne, 2012, Seiten: 400, Übersetzt: Frank Dabrock
Genialer Schund
In den vergangenen fünfzehn Minuten wäre Charlie Hardie fast ertrunken. Man hatte ihm aus kürzester Entfernung in den linken Arm und seitlich in den Kopf geschossen und sein Gesicht nur knapp verfehlt.
Die Frage, ob es nicht besser gewesen wäre, Charlie Hardie bereits auf Seite 23 ertrinken zu lassen, werden sich wohl viele Leser dieses brutalen Krimis stellen, der kontrovers zwischen Schund und Genialität pendelt. Der zweite Band der Charlie Hardie-Trilogie Hell & Gone, den man in der Übersetzung aus dem Amerikanischen von Frank Dabrock im Wilhelm Heyne Verlag zu Der Wärter umgetauft hat, bietet auf ca. 380 Seiten ein Feuerwerk an Folter, Verzweiflung und Irrsinn und kann nur sehr aufgeschlossenen Thriller-Lesern präsentiert werden.
Der ehemalige Polizist gerät in die Fänge einer skrupellosen Geheimorganisation, die für ihr unterirdisches Gefängnis, gefüllt mit lauter Monstern, einen Direktor für die ebenso monströsen Wärter benötigt, der mit eiserner Hand und Elektroschocker regiert und für Zucht und Ordnung sorgt, wobei in allen Belangen mehr gezüchtigt als geordnet wird.
Im Endeffekt verschwimmen die Grenzen zwischen Häftlingen und Wärtern, denn für beide gilt ... hier kommt keiner lebend heraus.
Aber Charlie Hardie, den man mit der Drohung seiner Familie etwas anzutun, in dieses Verlies verschleppt hat, hat einen extremen Überlebenswillen und gegen den Willen von Freund und Feind versucht er mit seinem übermenschlichen Durchhaltevermögen und Überredungskunst ein Team zu bilden, das den Weg nach oben finden kann ...
Swierczynskis Sprache ist ein Haufen zynischer Betrachtungsweisen gepaart mit proletenhaftem Gaunerslang, der locker und leicht zu lesen ist, wenn man sämtliche stilistischen Ansprüche ad acta legt, was in diesem Fall aber auch bestens zur Thematik passt, in der fast ausschließlich in den Niederungen des menschlich Fassbaren gewildert wird. Selten ist mir ein Buch in so einer Schrottschreibweise vor die Augen gekommen, dagegen ist Ken Bruen schon fast hohe Literatur. Im Gegensatz zu diesem, sind die Personen von Duane Swierczynski allerdings deutlich besser skizziert und es kristallisieren sich im weiteren Verlauf durchaus Charaktere heraus, die in all ihrem Elend schon fast Mitleid beim Leser erregen könnten.
Der Wärter hat eine durchaus interessante Grundidee, wie sich Probanden eines wissenschaftlichen Experiments unter Zwangseinflüssen psychisch verändern und je nach Führung zu Gefangenen und Wärtern werden. Dazu noch die Strategie, dass nur der Härtere überlebt und schon hat man einen Strafvollzug, der, wie die Geschichte zeigt, keineswegs ins Reich der Absurdität zu verbannen ist. In diesem Sinne übertreibt der Autor gar nicht, denn die Wirklichkeit hat seine Fiktion in manchen Ländern bereits überholt. Lediglich die Ausgangsbasis einer weltumspannenden Organisation, die alles diktiert, ist (noch?) nicht in dieser Form erkennbar.
Dabei wird auch klar, dass gerade durch die Verwendung von Zynismen und Sprachextremen die Schilderung des Grauens abgemildert wird, denn eine trockene Realschilderung solcher Zustände könnte dem Leser noch mehr an die Substanz gehen.
Der Wärter ist von Anfang an spannend und man kann sich der Faszination trotz Widerwillens kaum entziehen. Lediglich der Schluss ist dann unbefriedigend in seiner Einfallslosigkeit und so abrupt, dass man den Verdacht hegt, Swierczynski sei nichts mehr eingefallen, um seinen Helden für den dritten Teil der Charlie Hardie-Saga überleben zu lassen.
Ein Großteil der Leser wird diese Lektüre wahrscheinlich verdammen. Der Wärter ist für eine Minderheit geeignet, die gerne hard-boiled-Crime liest. Wie schon anfangs erwähnt schwankt der Thriller zwischen Schund und Genialität und in diesem Fall schlägt das Pendel eher auf der genialen Seite zu Gunsten Swierczynskis aus.
Duane Swierczynski, Heyne
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